Wie starb Söldner-Chef Prigoschin? Putin gibt Hinweis auf Absturz-Ursache

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Vor rund sechs Wochen soll der Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau gestorben sein. Nun schürt Russlands Präsident Putin einen Verdacht - ein Unfall soll es nicht gewesen sein.

Update vom 06.10.2023, 11.50 Uhr: Putin zum Tod Prigoschins - Granatsplitter gefunden

Rund sechs Wochen nach dem Tod des russischen Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin hat Kremlchef Wladimir Putin sich erstmals zu der Ursache des Flugzeugabsturzes geäußert. "In den Körpern der bei der Flugzeugkatastrophe Getöteten sind Fragmente von Handgranaten entdeckt worden", sagte Putin am Donnerstag beim Waldai-Diskussionsforum im südrussischen Sotschi. "Einwirkung von außen auf das Flugzeug gab es nicht, das ist ein bereits festgestellter Fakt", behauptete er zudem unter Berufung auf Ermittler. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht. Bisher hatten sich die Ermittler zur Absturzursache nicht geäußert.

Viele internationale Beobachter vermuten, dass der Kreml Putins früheren Vertrauten Prigoschin am 23. August töten ließ, weil dieser zuvor einen Aufstand gegen die russische Militärführung organisiert und dabei auch Kampfpiloten getötet hatte. Der Kreml wies eine Beteiligung zurück. Eine internationale Untersuchung zum Absturz von Prigoschins Privatflugzeug im russischen Gebiet Twer, bei dem auch neun weitere Insassen starben, hat Russland abgelehnt. Leider hätten die russischen Ermittler die Leichen nicht auf Alkohol oder andere Drogen im Blut untersucht, sagte Putin nun außerdem. Der Kremlchef sagte, dass zuvor bei einer Razzia in Prigoschins Heimatstadt St. Petersburg auch fünf Kilogramm Kokain sichergestellt worden seien.

Nach dem gescheiterten Söldneraufstand im Juni hatte der Kreml den Wagner-Kämpfern, die monatelang in der Ukraine kämpften, einen Eintritt in die reguläre russische Armee angeboten. Putin meinte, "einige Tausend Kämpfer" hätten mittlerweile solche Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium unterschrieben. Überprüfen ließ sich auch das nicht. Die Wagner-Söldner sollen nach früheren Angaben Putins in neuen Einheiten wieder im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden.

Update vom 27.08.2023, 14.45 Uhr: Russische Behörden bestätigen Tod von Prigoschin

Vier Tage nach dem rätselhaften Flugzeugabsturz haben russische Behörden offiziell den Tod des Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, bestätigt. Das meldete die Agentur Tass am Sonntag unter Berufung auf das Staatliche Ermittlungskomitee. Nach Identifizierung aller zehn Opfer eines Flugzeugabsturzes stehe fest, dass Prigoschin dazu gehöre.

"Im Rahmen der Aufklärung des Flugzeugabsturzes im Gebiet Twer wurde eine molekular-genetisch Expertise durchgeführt", teilte das Ermittlungskomitee demnach mit. "Ihren Ergebnissen zufolge wurde die Identität aller zehn Toten festgestellt. Sie entspricht der veröffentlichten Passagierliste."

Nach dem Absturz der Maschine beruhte die Nachricht vom Tod Prigoschins vor allem darauf, dass sein Name auf dieser Liste der Fluggesellschaft stand. Auch der militärische Anführer der Söldnertruppe, der Ex-Geheimdienstoffizier Dmitri Utkin, und andere Führungsfiguren von Wagner kamen ums Leben.

Die Ursache des Absturzes ist offiziell nicht geklärt. Allerdings gehen weite Teile der russischen Öffentlichkeit wie auch westliche Regierungen davon aus, dass der Privatjet gezielt zum Absturz gebracht wurde. Priogoschin (62) hatte zwei Monate zuvor im Juni eine Meuterei gegen die russische Militär- und Staatsführung angezettelt. Präsident Wladimir Putin nannte ihn damals einen Verräter.

Nach den ersten Nachrichten über Prigoschins Tod sprach Putin von einem talentierten Menschen, der aber schwere Fehler gemacht habe. Eine Verwicklung des Kremls in den Absturz wurde dementiert.

Wegen seiner Kritik an Korruption und Unfähigkeit der Militärführung im Angriffskrieg gegen die Ukraine war Prigoschin bei vielen Russen populär. Die Söldnertruppe Wagner kämpfte in der Ukraine, aber auch in Syrien und in vielen afrikanischen Ländern.

Update vom 26.08.2023, 17.30 Uhr: Kreml weist Verwicklung in Tod Prigoschins zurück

Der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat Anschuldigungen über eine Verwicklung des Kremls in den mutmaßlichen Tod des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin zurückgewiesen. "Das ist eine absolute Lüge", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. Rund um den Flugzeugabsturz gebe es viele Spekulationen, die "im Westen aus einer bestimmten Ecke befeuert" würden, wurde Peskow von russischen Nachrichtenagenturen zitiert.

Auch der Kreml habe noch keine Bestätigung für den Tod Prigoschins. Peskow riet, die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten, wie es auch Putin am Vorabend gesagt habe. "Wenn die offiziellen Ergebnisse zur Veröffentlichung bereit sind, werden sie auch veröffentlicht."

Auf halbem Weg von Moskau nach St. Petersburg war am Mittwoch ein Flugzeug abgestürzt. Alle Menschen an Bord kamen ums Leben. Laut Passagierliste saß auch Prigoschin, Chef der Privatarmee Wagner, im Flugzeug. Er hatte mit seinen Bewaffneten zwei Monate zuvor gegen Putin und Militärführung gemeutert. Im russischen Internet werden Vorwürfe erhoben, der Flug sei aus Rache sabotiert worden. Westliche Regierungen gehen ebenfalls nicht von einer technischen Ursache aus.

Peskow sagte, er könne zur Zukunft der Wagner-Bewaffneten nichts sagen. Nach russischem Recht gebe es gar keine private Militärfirma Wagner. Trotzdem habe die Gruppe natürlich existiert. Die Schattenarmee war in Syrien und vielen afrikanischen Ländern im Einsatz, sie kämpfte offen auch in der Ukraine.

Update vom 25.08.2023, 6.15 Uhr: Prigoschins Tod gibt Rätsel auf - Putin spricht über Söldnerchef

Zwei Tage nach dem mutmaßlichen Tod des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz herrscht noch immer keine Klarheit über die Umstände. Russlands Präsident Wladimir Putin bestätigte am Donnerstagabend nur indirekt den Tod seines einstigen Günstlings, der als Chef der Privatarmee Wagner zwei Monate zuvor gegen ihn gemeutert hatte. Allerdings geht auch die US-Regierung nach Medienberichten davon aus, dass Prigoschin bei dem Absturz am Mittwochabend ums Leben kam.

Eine offizielle Identifizierung der Leiche Prigoschins durch die russischen Behörden stand bis Freitag noch aus. Putin sprach indes schon in der Vergangenheitsform von dem "talentierten Geschäftsmann" und Söldnerführer. "Er war ein Mensch mit einem schwierigen Schicksal, und er hat ernsthafte Fehler gemacht", sagte er. Während der Meuterei der Wagner-Kämpfer gegen die russische Führung im Juni hatte Putin seinem langjährigen militärischen Handlanger Prigoschin Verrat vorgeworfen, ihm und seinen Gefolgsleuten dann aber die Ausreise nach Belarus ermöglicht.

Bei dem Flugzeugabsturz kamen zehn Menschen ums Leben. An Prigoschins Firmensitz in St. Petersburg und in anderen russischen Städten legten Trauernde Blumen nieder. Prigoschin und seine Wagner-Truppe hatten zwar wegen ihrer verdeckten Auslandseinsätze und wegen ihrer Brutalität auch im Inland keinen guten Ruf. Doch seine Kritik an Fehlern der russischen Militärführung machte ihn für viele Russen auch zu einem Helden. In sozialen Medien wurde der Vorwurf erhoben, das vermeintliche Flugzeugunglück sei in Wahrheit ein Attentat auf Prigoschin gewesen - eine Einschätzung, die auch viele westliche Politiker und Militärexperten vertreten.

Mutmaßlicher Tod von Prigoschin: Auch USA vermuten Attentat

Die New York Times und andere US-Medien berichteten unter Berufung auf US-Geheimdienstkreise, dass vermutlich eine Explosion an Bord des Flugzeugs den Absturz ausgelöst habe. Eine endgültige Schlussfolgerung sei noch nicht gezogen, eine Explosion aber derzeit die wahrscheinlichste Begründung, schrieb die New York Times. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministerium sagte, es gebe keine Hinweise, dass der Jet von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden sei. Dies hatten Prigoschin nahestehende Webseiten und Kanäle in sozialen Medien gemutmaßt.

In Deutschland sieht SPD-Chef Lars Klingbeil in dem mutmaßlichen Attentat ein Anzeichen für Putins schwindende Macht. "Wenn das am Ende alles so stimmt, wie wir gerade vermuten, ist das ein weiteres Indiz dafür, dass Putin nicht mehr alles im Griff hat, dass Putin nicht mehr in Russland alles steuern kann - nur noch mit Terror und mit Unterdrückung", sagte Klingbeil in Lüneburg bei RND vor Ort, einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Das ist erstmal auch ein Zeichen, das ein bisschen Optimismus gibt, dass dort langsam dieses System Putin auseinanderfällt."

Update vom 24.08.2023, 16.10 Uhr: Mutmaßlicher Tod Prigoschins weckt Spekulationen - und Trauer

Einen Tag nach dem mutmaßlichen Tod des Chefs der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, mehren sich die Spekulationen zur Ursache des Flugzeugabsturzes. So berichtete unter anderem der russische Telegram-Nachrichtenkanal Shot am Donnerstag (24. August 2023) unter Berufung auf Ermittlerkreise, dass der Absturz womöglich durch eine Bombe im Bereich des Fahrgestells ausgelöst worden sei. Zuvor hatte der Prigoschin nahestehende Kanal Grey Zone die Nachricht verbreitet, die Maschine sei von der russischen Luftabwehr abgeschossen worden. Die Autoren schrieben diesbezüglich von Mord.

Prigoschins Anhänger reagierten mit Trauer und Wut auf die Nachricht vom mutmaßlichen Tod des 62-Jährigen. Am Café "Patriot" in St. Petersburg, das viele Einwohner der Stadt mit Prigoschin und seiner Wagner-Truppe verbinden, seien massenhaft Blumen niedergelegt worden, berichtete die Tageszeitung "Kommersant" am Donnerstag. Auch aus anderen russischen Städten wie Nowosibirsk wurde von Trauer- und Gedenkaktionen berichtet. Am früheren Wagner-Firmensitz in St. Petersburg wurden neben Blumen auch ein Vorschlaghammer niedergelegt, teilte der Telegram-Kanal Grey Zone mit. Der Vorschlaghammer gilt als grausiges Erkennungszeichen der Wagner-Söldner, nachdem ein Video Angehörige der Gruppe zeigte, die damit einen angeblichen Überläufer ermordeten.

Kreml schweigt - Kiew dementiert Beteiligung

Der Kreml hat noch nicht auf die Todesnachricht reagiert. In den staatlichen Medien wird darüber ebenfalls nur am Rande berichtet. Kremlchef Wladimir Putin, als dessen Günstling Prigoschin lange galt, tauchte kurz nach dem Bekanntwerden des Absturzes bei einem Konzert zu den Feierlichkeiten des 80. Jahrestags der Schlacht von Kursk auf. Putin hatte Prigoschin nach dessen kurzzeitigen Aufstand gegen die eigene Militärführung als Verräter bezeichnet, offiziell ihm später aber Amnestie gewährt.

Der Absturz Prigoschins sei keine Überraschung gewesen, berichtete das unabhängige Internetportal Meduza unter Berufung auf einen ungenannten Informanten aus der Kremlverwaltung. "Es gab das Gefühl, dass er nach dem Aufstand schlecht endet, so etwas verzeiht man (im Kreml) nicht", zitiert Meduza den Beamten.

Ein potenzieller weiterer Verdächtigter hat bereits vorsorglich dementiert, in einen Anschlag auf Prigoschin verwickelt zu sein. Die Ukraine hat laut Präsident Wolodymyr Selenskyj nichts mit dem möglichen Tod der Wagner-Führung zu tun. "Alle begreifen, wer daran beteiligt ist", sagte er vor Journalisten am Donnerstag. Gleichzeitig nutze der Tod der Söldnerführung Kiew "im bestimmten Sinne".

Baerbock zu Prigoschin: Kein Zufall, dass Welt jetzt auf Kreml schaut

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte Verständnis für Spekulationen rund um Prigoschins mutmaßlichen Tod. Auf offizielle russische Verlautbarungen sei "kein Verlass", sagte sie am Rande eines Treffens mit ihrem kirgisischen Amtskollegen Dscheenbek Kulubajew in Berlin. Immer wieder werde man vom Kreml belogen. "Von daher ist es kein Zufall, dass die ganze Welt auch jetzt auf den Kreml schaut, wenn ein in Ungnade gefallener Ex-Vertrauter Putins plötzlich sprichwörtlich vom Himmel fällt, zwei Monate nachdem er einen Aufstand probte."

Man kenne dieses Muster, sagte Baerbock und erwähnte "Todesfälle und dubiose Selbstmorde, Fensterabstürze, die alle letztendlich unaufgeklärt bleiben". Die Grünen-Politikerin nannte es wichtig, "nicht auf irgendwelche Behauptungen, Fake News oder Versprechungen des russischen Präsidenten" zu vertrauen, sondern die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen "mit allem, was wir haben".

Auch Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda verdächtigte den Kreml, Prigoschin ausgeschaltet zu haben. "Das zeigt, dass das Regime in die nächste Phase eintritt und diese Leute, wie man sie auch nennen mag, bereits gegeneinander kämpfen", sagte er litauischen Medienberichten zufolge bei einem Besuch in der Ukraine. Das habe aber keinen Einfluss auf die Sicherheitslage. "Der Tod von Prigoschin, wenn er tatsächlich bestätigt wird, ändert wenig", sagte er. 

Keine eigenen Infos: EU will sich zum Fall Prigoschin nicht äußern

Die EU will den mutmaßlichen Tod des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin vorerst nicht kommentieren. Man habe die Berichte über den Flugzeugabsturz gesehen, aber die Informationen ließen sich nur sehr schwer verifizieren, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Dienstes am Donnerstag. "Kaum etwas, was in diesen Tagen aus Russland kommt, ist glaubwürdig."

Zu möglichen politischen Folgen der jüngsten Entwicklungen wollte sich der Sprecher ebenfalls nicht äußern. "Zum derzeitigen Zeitpunkt wäre das reine Spekulation", erklärte er. Bekannt sei allerdings, dass Prigoschins Söldnergruppe mit dem Namen Wagner zuletzt weltweit in vielen Krisenregionen präsent gewesen sei und dort einen negativen Einfluss ausgeübt habe.

Als Beispiele nannte der Sprecher die Ukraine, aber auch Syrien, Libyen und andere afrikanische Länder. Wagner habe dort eine Spur von Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des internationalen humanitären Rechts hinterlassen. "Wir hoffen, dass diese negativen Auswirkungen von Wagners Aktivitäten weltweit aufhören werden", ergänzte der Sprecher. Jeder wisse aber, dass dies nicht nur mit dem Namen des Anführers der Wagner-Gruppe zusammenhänge. "Uns ist bekannt, wie die Wagner-Gruppe organisiert ist, wie sie mit dem Kreml verbunden war und von ihm kontrolliert und finanziert wurde", sagte er. Dies sei ein komplexes Thema.

Update vom 24.08.2023, 6.30 Uhr: Söldnerführer Prigoschin nach Flugzeugabsturz für tot erklärt

Zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei gegen die russische Staatsmacht ist der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin nach einem Flugzeugabsturz in Russland für tot erklärt worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin zur Verbreitung seiner Videos nutzte, meldete am Mittwochabend den Tod des Chefs der Privatarmee Wagner.

Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija veröffentlichte eine Passagierliste, auf der unter anderen Prigoschin und der offizielle Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin standen. Alle zehn Insassen seien ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit. Eine amtliche Bestätigung oder eindeutige Belege für den Tod des langjährigen Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin gab es bis zum Donnerstagmorgen nicht.

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten Prigoschin und die Kämpfer seiner Privatarmee Wagner eine große Rolle gespielt, insbesondere bei der verlustreichen Eroberung der Stadt Bachmut. Am Donnerstag ist es genau anderthalb Jahre her, dass Putin den Angriff auf das Nachbarland befahl. Die Invasion begann am 24. Februar 2022. Am Donnerstag ist auch der Nationalfeiertag, an dem die Ukraine ihre 1991 erklärte Unabhängigkeit feiert. Präsident Wolodymyr Selenskyj versprach bei einer Konferenz, dass das Land die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim zurückholen werde.

Russischer Militärblogger spricht von Mord an Wagner-Chef

Der Embraer-Privatjet, auf dessen Passagierliste Prigoschin stand, war am Mittwoch nordwestlich von Moskau im Gebiet Twer abgestürzt. Zur Ursache gab es keine offiziellen Angaben, die Ermittlungen der Behörden begannen erst. Allerdings verbreiteten Grey Zone und einige Militärblogger die These, dass der Absturz kein Unfall gewesen sei. Grey Zone sprach von einem Abschuss durch die russische Flugabwehr. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. "Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands", hieß es in einem Post.

"Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben", schrieb der Militärjournalist Roman Saponkow auf Telegram. "Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral." Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

Auf den Tag genau zwei Monate vor seinem Tod meuterten die Wagner-Truppen und marschierten auf Prigoschins Geheiß auf Moskau zu, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Für Russlands Präsidenten Putin, der keine öffentliche Infragestellung seiner Autorität duldet, war es eine beispiellose Erschütterung seiner Machtposition. Er nannte Prigoschin daraufhin einen Verräter. Und selbst wenn sich beide Männer später noch einmal trafen, gingen viele Experten davon aus, dass Putin seinem einstigen Intimus den Ungehorsam nicht verzeihen werde.

US-Präsident Biden: Putin steckt hinter vielen Dingen in Russland

Der kremltreue russische Fernsehsender Zargrad stellte ebenfalls den Verdacht eines Mordkomplotts gegen Prigoschin in den Raum. Er gab aber dem ukrainischen Militärgeheimdienst die Schuld am Absturz des Flugzeugs. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in Kiew, es sei offensichtlich, dass Putin niemandem für jene Angst vergeben werde, die ihm die Meuterei eingeflößt habe. Prigoschins Schicksal sei ein Signal an die russische Elite, dass jede Illoyalität mit dem Tod bestraft werde.

US-Präsident Joe Biden schien sich nicht über Prigoschins Flugzeugabsturz zu wundern. Er wisse nicht genau, was passiert sei, sei aber nicht überrascht, sagte Biden am Rande eines Urlaubs im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf die Frage von Reportern, ob der Absturz seiner Ansicht nach auf das Konto Putins gehe, sagte Biden: "Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt." Er wisse aber nicht genug, um die Frage beantworten zu können.

Originalmeldung vom 23.08.2023, 20.30 Uhr: Flugzeugabsturz in Russland - Wagner-Chef Prigoschin wohl tot

Als Chef der gefürchtetsten Privatarmee der Welt war sich der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin der Todesgefahr stets bewusst. Ob bei seinen Einsätzen bis zuletzt in Afrika, davor im Krieg in der Ukraine oder auch vor exakt zwei Monaten, als er am 23. Juni den Aufstand gegen Moskaus Militärführung anzettelte und damit scheiterte - dem 62-Jährigen war klar, dass sein Leben schnell zu Ende sein kann. Zwar beteuerte er nach der gescheiterten Revolte, dass er keinen Machtwechsel geplant habe. Aber Kremlchef Wladimir Putin ist bekannt dafür, Verrat, noch dazu von Freunden, eiskalt zu bestrafen.

Zehn Menschen sollen am Mittwoch beim Absturz einer Passagiermaschine Prigoschins im Gebiet Twer getötet worden sein - so viele, wie die russischen Piloten, die durch seine Wagner-Kämpfer bei dem Aufstand getötet worden waren, wie Beobachter rasch kommentierten. Was genau passiert ist an Bord der Maschine, war zunächst unklar.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mutmaßlich bei Flugzeugabsturz gestorben

Aber die Behörden bestätigten sehr schnell, Prigoschin, der sich kurz zuvor erstmals per Video aus Afrika gemeldet hatte, habe auf der Passagierliste der Maschine gestanden. Der Wagner-Chef wollte auf dem afrikanischen Kontinent bei Konflikten in den einzelnen Staaten weiter Russlands und seine eigenen Interessen vertreten. Ein Teil seiner Truppe, die in Russland in Ungnade gefallen ist, wurde nach Belarus verlagert.

Zu hören war von Prigoschin seit der Revolte nur noch wenig. In Russland gab es die letzten viel beachteten Fotos, als er am Rande von Putins Afrika-Gipfel im Juli in St. Petersburg Gespräche führte.

Über Monate hinweg hatte er sich vor dem Aufstand wegen des chaotischen Kriegsverlaufs in der Ukraine mit der Militärführung in Moskau angelegt. Immer wieder warf er dem Verteidigungsministerium und dem Generalstab der Armee vor, Präsident Putin zu belügen. Mit dem bewaffneten Aufstand seiner mit Panzern und anderen schweren Waffen voll ausgestatteten Armee forderte er aber letztlich auch Putin heraus.

Prigoschin soll auf Passagierliste gestanden haben

Zwar bestätigte der Kreml, dass sich Prigoschin und Putin nach dem Beinahe-Putsch noch einmal im Kreml trafen. Aber Beobachter erinnerten daran, dass Putin öffentliche Bloßstellung wie durch Prigoschin niemals vergibt. Wie der Kremlchef kommt Prigoschin aus St. Petersburg. Über das Privatleben des Familienvaters ist wenig bekannt. Aber immer wieder inszenierte er sich selbst als Beschützer mit sozialer Ader. So unterhielt er Rehazentren für Kriegsversehrte.

Seine Popularitätswerte schnellten zu Zeiten der Wagner-Kämpfe in der Ukraine in die Höhe - auch, weil er mit seinem Kanal beim Nachrichtendienst Telegram Hunderttausende erreichte. Viele hielten die Aussagen, die an die russische Opposition erinnerten, für ehrlich - ein Ventil in Zeiten des Kriegs. Das schürte auch Spekulationen um politische Ambitionen des Wagner-Chefs. Er wies solche Absichten stets zurück.

Prigoschin genoss vielmehr den Ruf, mit seinem Firmenimperium Concord und anderen geschäftlichen Aktivitäten auf maximalen Gewinn aus zu sein. Dass er dabei extrem machtbewusst vorging, war auch dem Kreml klar. Seinen Einfluss nutzte er besonders, um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow unter Druck zu setzen, den Einsatz im Krieg zu erhöhen. Er warf ihnen vor, die Truppen nicht ordentlich zu führen.

Kommentatoren in Moskau mutmaßen Rache von Militärs 

Als nun die Nachricht vom Absturz des Flugzeugs kam, meinten Kommentatoren in Moskau, es könne sich um Rache der beiden Militärs gehandelt haben. Auch mehrere Generäle, die auf Linie waren mit Prigoschin, wurden zuletzt abgesetzt oder sind von der Bildfläche verschwunden - ohne Erklärung.

Niemand sonst in Russland traute sich solche Kritik wie Prigoschin, für die einfache Bürger zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Es gehe ihm darum, dass die Armee mit Würde und Stolz ihre Aufgaben erfüllen könne - und nicht in einem System von "Speichelleckerei, Kriecherei und Verantwortungslosigkeit", sagte er einmal. Der Söldnerchef kritisierte zudem, dass die Staatsmedien die Erfolge Wagners schmälerten oder sogar verschwiegen. Das Wort Wagner werde in den Medien "sorgfältig ausradiert" - wie Genitalien in einem Film übers Saunieren, sagte er.

Bekannt war Prigoschin aber auch als skrupelloser Unternehmer mit krimineller Vergangenheit. Er und Putin kannten sich lange. Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb ist der Russe, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, auch als "Putins Koch" bekannt.

Wagner-Truppen gelten im Westen als "Terrororganisation"

Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf soll sich mit seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik 2020 auch in die US-Präsidentenwahl eingemischt haben. Deshalb haben ihn die Vereinigten Staaten zur internationalen Fahndung ausgeschrieben. Die Wagner-Truppen gelten im Westen als "Terrororganisation", verantwortlich für Kriegsverbrechen in vielen Ländern.

Im September, nach einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, räumte Prigoschin erstmals ein, die Söldnertruppe schon 2014 für den Einsatz auf russischer Seite im ukrainischen Donbass gebildet zu haben. Zuvor hatte Prigoschin seine Verbindung zu den Söldnern nie eindeutig bekannt. Auch Moskau bestritt die Existenz jahrelang vehement.

Als zweiter Gründer ist der ehemalige Geheimdienstler Dmitri Utkin bekannt, der offizielle Wagner-Kommandeur. Auch er stand auf der Passagierliste der abgestürzten Maschine. Ihm wird eine Vorliebe für den deutschen Komponisten Richard Wagner nachgesagt - daher der Name der Truppe. Im Ukraine-Krieg spielte sie lange Zeit eine zentrale Rolle: Als Prigoschins größter militärischer Erfolg galt die blutige Eroberung der ostukrainischen Stadt Bachmut. Seine Männer sollen aber auch an dem Massaker in Butscha nahe Kiew beteiligt gewesen sein.

Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin stand ebenfalls auf Passagierliste

Wagner-Kämpfer waren in Syrien, anderen arabischen Ländern sowie in Afrika und Lateinamerika im Einsatz, und sind es auch heute noch. Dort liegt eine von vielen Geldquellen: Wagner bietet skrupelloses Personal und Dienstleistungen. Im Gegenzug gibt es Geld und Rohstoffe wie Gold und Diamanten. In Russland verdient Prigoschin Geld mit der Essensversorgung beim Militär, aber auch in Schulen und Kindergärten.

Die Wagner-Gruppe rekrutiert ihre Mitglieder unter Freiwilligen - im Ukraine-Krieg nicht zuletzt unter Häftlingen. Prigoschin lockte Schwerverbrecher mit dem Versprechen, nach halbjährigem Kriegsdienst die Begnadigungsurkunde zu erhalten. 32 000 Ex-Gefangene seien so in Freiheit gekommen. Etwa 10 000 frühere Häftlinge wurden nach Prigoschins Angaben allerdings allein im Kampf um Bachmut getötet. Bei Fluchtversuchen aus den Reihen der Armee soll die Hinrichtung drohen. Für Entsetzen sorgte etwa ein Video, das zeigen soll, wie ein abtrünniger Wagner-Mann mit einem Vorschlaghammer getötet wird.

Kommentatoren meinen stets, dass der Wagner-Chef seine Kritik mit dem Leben bezahlen werde. Wie andere Kritiker Putins zuvor.

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