Vier der fünf Richter stimmten für eine Verurteilung von Bolsonaro, nur Richter Luiz Fux votierte für einen Freispruch, da ihm zufolge die Beweise keine Grundlage für den Vorwurf eines versuchten Staatsstreichs geben würden.
Verteidigung kündigt Rechtsmittel an
Bolsonaros Anwälte reagierten mit scharfer Kritik auf das Urteil. «Die Verteidigung des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro nimmt die Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis, kann aber nicht umhin, tiefe Missbilligung und Empörung über die Mehrheitsentscheidung ausdrücken», zitierte das Nachrichtenportal «G1» seine Anwälte. Bolsonaro habe niemals gegen den demokratischen Staat gehandelt, an keinem Plan teilgenommen und auch nichts mit den Ereignissen vom 8. Januar zu tun gehabt.
Rechtslage: Welche Mittel Bolsonaro bleiben
Da das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wird, gibt es keine höhere Instanz. Innerhalb des STF gibt es aber Möglichkeiten. Bolsonaros Anwälte können formelle Unklarheiten im Urteil anfechten - größere inhaltliche Änderungen sind aber unwahrscheinlich. Danach wäre theoretisch noch ein weiterer Einspruch möglich, bei dem eine erneute Prüfung einzelner Streitpunkte im Plenum mit elf Richtern beantragt wird. Laut Experten ist dieses Mittel aber unwahrscheinlich, weil dafür mindestens zwei abweichende Stimmen benötigt gewesen wären. Erst wenn darüber entschieden ist, wird das Urteil rechtskräftig und vollstreckbar.
Die Anwälte können zudem auch beantragen, dass die Strafe in Form von Hausarrest verbüßt wird und dabei sein Alter und gesundheitlichen Zustand nach einem Attentat als Argumente anführen.
Parallelen zu den USA
Der Prozess hat auch eine internationale Dimension. Bolsonaro gilt als enger Verbündeter von US-Präsident Donald Trump und wurde bisweilen als «Tropen-Trump» bezeichnet. Die Bilder der Krawalle in Brasília erinnerten an die Erstürmung des US-Kongresses in Washington zwei Jahre zuvor. Trump selbst wurde in ähnlichen Vorwürfen angeklagt, ein Verfahren gegen ihn wurde jedoch kurz vor seiner erneuten Vereidigung eingestellt. Beide Politiker bezeichneten die Prozesse gegen sich als «Hexenjagd».
Das Strafverfahren gegen Bolsonaro führte zu diplomatischen Spannungen mit den USA. Trump verhängte Zölle von 50 Prozent auf zahlreiche brasilianische Produkte und belegte Richter Moraes persönlich mit Sanktionen.
Von dem Urteil zeigte sich Trump «überrascht» und erklärte, er kenne Bolsonaro gut, halte ihn für einen guten Präsidenten. «Das ähnelt sehr dem, was sie mit mir versucht haben, aber damit sind sie überhaupt nicht durchgekommen.» Trumps Außenminister Marco Rubio kündigte an, auf die «Hexenjagd» reagieren zu werden, ohne Details zu nennen.
Historische Dimension
Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel bezeichnete das Urteil als wichtigen Moment für Brasilien. Er verwies darauf, es habe in der Geschichte des Landes zahlreiche gescheiterte und erfolgreiche Putschversuche gegeben. Doch meist seien die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegensatz zu Ländern wie Argentinien, wo Militärs strafrechtlich verfolgt wurden, hatte es in Brasilien nie eine vollständige juristische Aufarbeitung gegeben. «Insofern ist das wirklich ein ganz, ganz wichtiger Moment», sagte Stuenkel, Professor für internationale Beziehungen an der renommierten Universität Fundação Getulio Vargas in São Paulo.
In der Vergangenheit wurden zwar bereits Ex-Präsidenten wegen Korruption verurteilt - etwa Fernando Collor de Mello und Lula, der inzwischen wieder im Amt ist. Eine Verurteilung wegen eines versuchten Staatsstreichs hingegen ist ein Präzedenzfall.
Reaktionen im gespaltenen Land - Proteste möglich
Brasilien ist stark polarisiert zwischen Anhängern des linken Präsidenten Lula und den Unterstützern seines rechten Vorgängers Bolsonaro. Viele sehen das Strafverfahren als politisch motiviert, andere als Beweis für die Stärke der Institutionen.
Die kommenden Wochen könnten von Protesten geprägt sein: «Es kann natürlich vereinzelt zu politischer Gewalt immer kommen», sagte Stuenkel. Größere Ausschreitungen hingegen hält der Experte für unwahrscheinlich. «Eine Verurteilung, unabhängig davon, was danach kommt, ist einer der wichtigsten Momente der Konsolidierung der brasilianischen Demokratie seit Ende der Diktatur», sagte Stuenkel.