In einer neuen ZDF-Doku zum Programmschwerpunkt Depression berichtet Jan Ullrich schonungslos über seinen Totalabsturz und seelische Qualen. Dass der gefallene Sport-Held heute das Leben genießt, mutet wie ein Wunder an - verdankt sich aber vor allem seiner Entscheidung, Hilfe zuzulassen.
Er war ganz oben und dann ganz unten. Es ist ein Klischeesatz, doch wer könnte leugnen, dass er auf den Werdegang des Jan Ullrich trifft wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge? Über die Bergankünfte der Tour de France wurde der gebürtige Rostocker im Nach-Wende-Deutschland zur Radsport-Ikone. Es folgten ein Dopingskandal und ein privater Totalabsturz - begleitet von schweren seelischen Problemen.
"Die Depression ist entstanden durch den langen Zeitraum, in dem ich ein Riesen-Problem nicht verarbeitet habe", sagt der 51-Jährige nun in der sehenswerten TV-Dokumentation "Jan Ullrich - Hochleistung trotz Depression?" Das ZDF zeigt sie im Zuge eines Programmschwerpunkts zum allzu lange tabuisierten Volksleiden Depression.
Ullrich begegnet hier dem Psychologen und "Terra X"-Moderator Leon Windscheid. Die beiden fahren Rennrad. Und dann rollen sie die dunkelsten Stunden im Leben des gefallenen und wieder aufgestandenen Sport-Helden auf.
"Du stehst in einem dunklen, leeren Raum, und weißt nicht, was kommt"
Das "Riesen-Problem", von dem Ullrich spricht, das ist natürlich die "Doping-Geschichte", wie er es vor der Kamera nennt. 2006 wurde Ullrich im Zuge des aufgeflogenen Eigenblut-Skandals von der Tour de France ausgeschlossen und von seinem Team entlassen. Die Zäsur nach einem dem Radsport gewidmeten Leben beschreibt er im ZDF-Film plastisch. Er habe damals nicht nur seine Karriere beendet, sondern gleichsam auch seine Identität verloren: "Ich bin in eine Leere gefallen, ich hatte keinen Plan B." Und weiter: "Ich war so unter Beschuss, ich konnte nicht mal mehr atmen. Du stehst in einem dunklen, leeren Raum, und weißt nicht, was kommt."
Von Leon Windscheid wird Ullrich auf die lange verdrängten Doping-Praktiken angesprochen. "Das wird an dich rangetragen, dass es mit dazugehört", beschreibt sein Gesprächspartner die damaligen Gepflogenheiten im Profi-Radsport. Windscheid kontert: Er sei ja selbst Teil des Problems gewesen - "das ist nicht in deinem Kopf gewesen?" Heute habe er durchaus ein Schuldbewusstsein, antwortet Ullrich. Damals aber habe er nicht verstanden, warum nur eine Handvoll Sportler bestraft wurden für etwas, das alle taten. "Als Psychologe kenne ich dieses selbstwertdienliche Verhalten. Du verbiegst dir die Realität", lässt es der Psychologe nicht gelten. Ullrich gibt zu: "Man redet es sich schön."
Jan Ullrich spricht über seinen dunkelsten Moment
Schön war danach nur noch wenig im Leben Jan Ullrichs. "Gab es einen Moment, wo du dachtest: Jetzt ist alles nur noch schwarz und dunkel?", fragt Windscheid, und der Tour-Sieger von 1997 gibt offen Auskunft: "Ja. Das war der Moment, wo ich verstanden habe, dass meine Frau gecuttet hat. Sie war mein letzter Halt." Den Namen Sara trägt er immer noch als Tattoo am Unterarm - "wir sind total gute Freunde". Doch die Zeit nach der Trennung habe sich angefühlt wie ein Strudel. "Du merkst es schon, aber du lässt es zu. Du kämpfst nicht mehr dagegen an."
Alkohol und Drogen hätten seine Persönlichkeit verändert, schildert Ullrich die Hintergründe, die in jenen Jahren zu allerlei Skandalschlagzeilen geführt haben. "Es hat mich aufgefressen", sagt er über die Zeit, die geprägt war von Kokain, Alkohol, Randale, Festnahmen. "Es gab vier, fünf Monate, wo ich überhaupt keine Kontrolle mehr hatte über mein Leben. Ich hab nicht gemerkt, dass mich der Sog so schon hat, dass ich in die Hölle gezogen werde. Irgendwann war ich so am Ende, dass gar nichts mehr ging."