Aufruhr in ARD-Politshow: 19-Jähriger würde "lieber von Putin beherrscht werden, als im Krieg sein"

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Die 100 - was Deutschland bewegt
Dieser Schüler aus dem Raum Hannover äußerte sich in der Politsendung "Die 100 - was Deutschland bewegt" klar gegen die Wehrpflicht.
Screenshot/ARD
Die 100 - was Deutschland bewegt
Moderator Ingo Zamperoni diskutierte mit den 100 Studiogästen über Sinn und Unsinn der Wehrpflicht.
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Der Fernsehmoderator Ralph Caspers argumentierte für die Wehrpflicht.
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Brauchen wir in Deutschland wieder eine Wehrpflicht? In der ARD-Politshow "Die 100 - Was Deutschland bewegt" sprach sich ein Viertel des Publikums dagegen aus. Darunter ein 19-Jähriger, dessen Argumente nicht nur bei Moderator Ingo Zamperoni für Stirnrunzeln sorgten.

Brauchen wir in Deutschland wieder eine Wehrpflicht? Die Journalisten Anna Planken (nein) und Ralph Caspers (ja) hatten noch nicht einmal ihre Positionen dargelegt, da ging es bei "Die 100 - Was Deutschland bewegt" am Montagabend schon heiß her.

"Ich habe keine Lust auf Wehrpflicht", stellte ein 19-jähriger Schüler aus der Region Hannover klar. Er zählte zu den 22 Prozent, die sich im ersten Stimmungsbild auf der Nein-Seite positioniert hatten. Was er tun würde, wenn sein Land angegriffen würde, hakte Moderator Ingo Zamperoni nach. "Ich würde es nicht verteidigen wollen", meinte er. Auch die Ukrainer hätten sich mit dem Kampf gegen Russland keinen Gefallen getan. Sie hätten aufgeben sollen, denn, so lautete seine gewagte These: "Im Krieg leben ist deutlich schlimmer als in der Herrschaft von Putin leben. Ich würde lieber in Deutschland von Putin beherrscht als im Krieg in Deutschland sein."

Diese Aussage verblüffte nicht nur Zamperoni, sondern erntete Buh-Rufe - und ein ohrenbetäubendes Surren.

Letzteres stammte von einem Buzzer, den jeder der 100 im Studio drücken durfte, wenn er oder sie etwas zu erwidern hatte. In diesem Fall hatten sich gleich mehrere Menschen zu Wort gemeldet. Während einige vom Leid in der Ukraine sprachen und Opfer und Täter nicht vermischen wollten, hatte ein 66-jähriger Rentner einen anderen Rat: "Dem jungen Mann sollte man einen Urlaub in der Ukraine spenden."

"Sound des modernen Kriegs" im ARD-Studio

Was er dort hören würde, das ließ Anna Planken in ihrer ersten Argumentation gegen die Wehrpflicht erahnen: Sie hatte nicht nur die Korrespondentin Susanne Petersohn aus dem ARD-Studio Kyjiw eingeladen, um vom Krieg zu berichten. Drohnen im Studio sollten den "Sound des modernen Kriegs" näher bringen und zeigen, dass Kriege heutzutage durch Hightech und nicht durch Menschen entschieden würden.

"Lassen wir die jungen Leute studieren, eine Ausbildung machen, an Technik forschen - das schützt mehr, als wenn 18-Jährige mit dickem Rucksack durch die Lüneburger Heide marschieren oder ihr Bettzeug machen", appellierte Planken. Trotz multisensorischer Showeffekte konnte sie nur 35 Prozent überzeugen.

"Es heißt, stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin", zitierte ein 44-jähriger Geschäftsführer im Gartenbau, "aber wenn vorne keiner ist, habe ich den Krieg zu Hause - bei den Kindern und meinen geliebten Mitmenschen." Deshalb müsse man sein Land verteidigen. Dafür brauche man neben Soldaten, die die Technik bedienen können, auch "Wehrpflichtige, um diese Aufgabe der Raumsicherung und -eroberung zu erfüllen", bestätigte ein 71-jähriger ehemaliger DDR-Offizier aus Rostock.

260.000 Soldatinnen und Soldaten brauche es laut Nato, um auf die Bedrohung durch Russland zu reagieren und das Land verteidigungsfähig zu machen. Dieses Ziel sei mit Freiwilligkeit nicht zu erreichen, erklärte Ralf Caspers bei seiner ersten Pro-Argumentation. Im Moment läge das Verhältnis zwischen russischer Armee und Bundeswehr bei 11 zu 99 - ein Ungleichgewicht, das er mithilfe der 100 im Studio demonstrierte. Diese standen sich auf den beiden Seiten gegenüber. "Sie merken, das sind echt viele - und wir sind nicht so viele", sagte der Fernsehmoderator. Denn trotz "Werbung in Straßenbahnen und auf Pizzakartons" stagniere die Bundeswehr bei 180.000.

Wehrpflicht, eine Generationenfrage?

Durch die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 habe man gehofft, junge Menschen früher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, fuhr Caspers fort. Doch ein Drittel der AbiturientInnen machen in einem Gap Year das, was sie lieber tun als arbeiten - "reisen, die Welt entdecken oder Netflix zu Ende gucken." Sein Plädoyer: "Wehrdienst statt Gap Year für mehr Sinn im Leben".

"Die junge Generation hat schon so viel geopfert", widersprach Planken. Sie hatte FFP-Masken mitgebracht, um an die Freiheitseinschränkungen zu Corona-Zeiten zu erinnern. Jugendliche hätten ihre Freunde nicht sehen können, Abi-Bälle wären ausgefallen - "und das, obwohl die Jungen gar nicht gefährdet waren." Sie hätten damit die Alten geschützt, von denen sie "Klimakrise, leere Rentenkassen, einen Rekord-Schuldenberg" erben. "Und ausgerechnet diese Generation soll jetzt noch ein Jahr geben für die Bundeswehr?", fragte sie.

"Wir müssen wegkommen von den Klischees vom faulen Jugendlichen, der sein Gap Year haben will, und dem Kreuzfahrenden Rentner, der nichts mehr leisten will", hielt der 71-jährige Rostocker dagegen. Man sollte nicht Generationen gegeneinander ausspielen. Stattdessen plädierte er für einen freiwilligen Einsatz von Senioren - aus eigener Erfahrung, denn er selbst arbeitet seit sechs Jahren bei der Deutschen Verkehrswacht.

Der Einsatz für die Gesellschaft dürfe nicht im Zwang passieren, so Planken. Dadurch würde man zwar zahlenmäßig auf dem Papier Stärke zeigen, aber in der Realität würde die Bundeswehr nicht besser. Denn: "Welche Leistung kommt bei Zwang hinten raus?", wollte sie wissen und holte sich zur Unterstützung Scotty Stahl, einen Offizier der Reserve ins Studio. Der ließ einige der 100 stramm stehen und "Rechts um!" üben.

Als "befremdlich" beschrieb es ein 23-jähriges CDU-Mitglied, so herumkommandiert zu werden. Er selbst habe sich gut entwickelt, meinte er selbstbewusst, "aber ich hätte mich besser entwickelt, wenn ich bei der Bundeswehr gewesen wäre." Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite.

Deutliches Ja für Wehrpflicht

Im ARD-Studio zeichnete sich von Anfang bis Ende ein klares Bild ab: Zwar wuchs die Gruppe derjenigen, die sich gegen die Wehrpflicht aussprachen auf 27 Prozent. Mit 70 Prozent war die deutliche Mehrheit aber für die Wiedereinführung.

"Wie stelle ich mir ein halbes oder ein Jahr vor? Nicht in der Kaserne", brachte es ein 20-jähriger Student aus Oberholstein auf den Punkt, "aber wenn ich an Europa in 10 Jahren denke, denke ich an die heutigen Grenzen und dass kein russischer Soldat hier etwas zu suchen hat." Die außenpolitische Lage sei nicht so, wie er es sich wünsche, aber "die Finger in die Ohren stecken und lala singen, ändert daran nichts."