«Es ist nicht mehr so cool, Alkohol zu trinken, wie noch vor einigen Jahren», meint Suchtforscherin Kilian. Es gebe sowohl einen Trend zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein als auch eine wachsende Gruppe der vollständig Abstinenten. Mutmaßlich spielten auch Social Media eine Rolle. «Das Internet vergisst nicht. Auch nicht den letzten Alkoholexzess.»
Wann ist ein Wandel ein Kulturwandel?
Leitet der veränderte Konsum einen anderen gesellschaftlichen Umgang ein mit der Volksdroge Nummer Eins? «Ich glaube schon, dass das, was wir bei jungen Menschen sehen, ein Kulturwandel ist, aber dieser Kulturwandel ist äußerst instabil», meint Kilian. Das sei eben das Problem, wenn ein Wandel nur durch Kultur beeinflusst werde und nicht durch einen gesetzlichen Rahmen. Bei Tabak sehe man etwa, dass der Konsum wieder ansteige. «Das ist sehr volatil und braucht einen größeren strukturellen Wandel.»
Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sieht einen Kulturwandel als Schlüssel: Wenn sich die Überzeugung breit mache, dass ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein Teil unserer Kultur sein soll, ebne dies auch den Weg für politische Maßnahmen. «Bislang scheitert das daran, dass wir eine alkoholfreundliche und -förderliche Kultur haben.»
Dass die Politik mehr tun muss, steht für Raiser fest. Es brauche sowohl Aufklärung als auch strukturelle Prävention, also Maßnahmen, um die Verfügbarkeit oder die Werbung einzuschränken oder den Preis etwa durch Steuern hochzuschrauben. «Da ist in Deutschland ganz viel Luft nach oben.»
Deutschland nicht auf Kurs
Kilian ergänzt: Andere Länder, etwa im Baltikum, seien viel weiter. Litauen habe systematisch Empfehlungen der WHO umgesetzt und eine Alkoholsteuer eingeführt, die Verfügbarkeit von Alkohol und die Werbung dafür eingeschränkt und damit deutliche Erfolge erzielt.
Deutschland hingegen droht seine Ziele zu verfehlen: Im Jahr 2013 verpflichtete man sich als WHO-Mitgliedsstaat, den Alkoholkonsum in der Bundesrepublik um zehn Prozent zu verringern. Die Autoren des Jahrbuchs Sucht halten fest: Da der Gesamtalkoholkonsum pro Kopf zwischen 2013 und 2023 nur um acht Prozent zurückgegangen sei, könne man nicht davon ausgehen, dass das Ziel erreicht werde.