«Ich konnte nicht mal einen Purzelbaum»
Es sind große Fragen, die sich die Artistin stellen muss: «Wer bin ich eigentlich noch? Jahrelange hatte ich für mein Können auf meinen Körper gesetzt. Das war alles verloren.» Zunächst muss sie lernen, überhaupt im Rollstuhl sitzen zu können: «Ich habe jetzt wieder eine gute Rumpfstabilität, aber wenn man mich antippt und ich mich nicht festhalte, kippe ich nach vorn.»
Dabei habe sie auch nach dem Unfall immer eine große Liebe für die Artistik gehabt: Doch damals scheitern ihre Versuche, an die Vergangenheit anzuknüpfen: «Ich konnte nicht mal einen Purzelbaum», sagt sie.
Parasport-Erfolge waren Trostpflaster und Therapie
Sie glaubt, mit dem Zirkus abgeschlossen zu haben, wendet sich dem Parasport zu, der ihr eine zweite Karriere als Profisportlerin beschert: Als Handbike-Fahrerin ist sie international erfolgreich, wird Europameisterin, Vize-Weltmeisterin und stellt den Weltrekord im Handbike-Marathon auf. Doch rückblickend auf diese Zeit sagt sie heute: «Das war eine Art Trostpflaster.»
Gleichzeitig habe der Leistungssport therapeutische Wirkung gehabt, geholfen ihren Körper wieder zu akzeptieren: Während sie es anfangs nicht ertragen habe, sich selbst im Spiegel zu sehen, lehrten sie die sportlichen Erfolge, was trotzdem in ihr steckt: «Mein Körper, der eigentlich so zerstört worden ist, hat trotzdem noch sehr viel Kraft. Ich kann mit ihm etwas erreichen.»
Wiedergeburt als Artistin
Als 2020 in der Corona-Zeit alle Rennen ausfielen, kam der Wunsch auf, es noch einmal mit einem Handstand zu versuchen. Die Idee ihres Mannes ein Snowboard an ihren Unterkörper zu binden, um ihn zu versteifen, hilft schließlich, dass das Unglaubliche im ersten Versuch klappt: «Er hat mich in die Senkrechte gestellt und ich habe angefangen, mich auf und ab zu drücken. Es war, als ob mein Körper diese alten Bewegungen noch erinnern konnte.»
Auch Dvorak wird den neuen Wendepunkt ihres Lebens nie vergessen: «Wir haben beide beweint. Es war als habe sich ein riesiges Tor geöffnet», sagt er. Er ahnte, was sie spürte. «Da ist ein riesiges Potenzial, da ist irgendetwas, das ich entwickeln kann», erinnert Pan sich an ihre Gedanken in diesem Moment.
Es beginnt, was sie ihre Wiedergeburt nennt: Zunächst seien das nur kleine Erfolge für sie selbst gewesen, doch auf einen Facebook-Post, mit dem sie ihren Stolz über die ersten selbstständigen Handstände teilen will, meldet sich der Direktor eines kleinen Schweizer Zirkus und bietet ihr Auftrittsmöglichkeiten an.
Gegen alle Zweifel
Viele in ihrem Umfeld halten sie für verrückt: «Mein Sportverein hat überhaupt nicht an meine Vision geglaubt. Die wollten mich nicht verlieren, haben mich gedrängt, ich solle mich lieber auf die Paralympischen Spiele vorbereiten», sagt sie und verdreht die Augen. «Aber das Handbike hat mich nur noch gelangweilt.»
Um Sponsoren und die Teammitglieder der Schweizer Nationalmannschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, trainiert sie zunächst monatelang parallel, tritt dann aber im September 2021 als Leistungssportlerin zurück. Seither arbeitet sie wieder voll in ihrem neuen, alten Beruf als Artistin.
Zurück im Zirkus - und wieder ganz
Auf ihr erstes Engagement folgen weitere, darunter mehrfach beim italienischen Tournee-Zirkus Gravity sowie bei Roncalli. Heute wisse sie genau, dass sie in der Welt des Zirkus viel mehr beheimatet sei, als in der Welt des Wettbewerbs, sagt sie. «Ich habe den Sport geliebt, aber es war nicht meine Leidenschaft.»
Die Manege lasse sie wieder komplett werden, sagt sie. «Ich empfinde meinen Körper jetzt wie einen ganzen Körper. Erst jetzt gehören die Beine absolut zu mir. Ich muss sie wahrnehmen, um einen Handstand stehen zu können.»