«Unter Missachtung des Lebens- und Selbstbestimmungsrechtes» seiner Patientinnen und Patienten und um eigensüchtig seine «eigenen Vorstellungen vom Sterben und Zeitpunkt des Lebensendes» dieser zu verwirklichen, soll der Palliativmediziner 12 Frauen und 3 Männern ohne «medizinische Indikation und ohne deren Wissen und Zustimmung» jeweils ein tödliches Gemisch aus Narkoseeinleitungs- und Beruhigungsmittel verabreicht haben.
Arzt soll seine Vertrauensstellung ausgenutzt haben
Der Arzt soll die Taten im Rahmen seiner Tätigkeit für zwei Pflegedienste in Berlin begangen haben. Palliativärzte begleiten schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Diese Vertrauensstellung soll der verheiratete Vater eines Kindes ausgenutzt haben. Teils unangekündigt suchte er die Betroffenen auf, meist waren die Patienten allein, so die Staatsanwaltschaft.
In einigen Fällen legte der Mediziner laut Ermittlungen Brände, um die Taten zu vertuschen. Die Polizei ermittelte in den Fällen zunächst wegen Brandstiftung mit Todesfolge - dabei geriet der Arzt zunehmend in den Fokus. Dazu beigetragen haben laut Staatsanwaltschaft auch Hinweise der Pflegedienste, für den der Beschuldigte gearbeitet hatte.
Die Fälle, bei denen Brände gelegt wurden, sollen laut der Vorsitzenden Richterin Sylvia Busch nun als Erstes im Prozess, der am 23. Juli fortgesetzt wird, beleuchtet werden. Bei der Obduktion der Leichen wurde Angaben zufolge festgestellt, dass die Toten nicht infolge des Brandes gestorben waren.
Durch Brände in den Fokus geraten
Die Anklage nennt teils perfide Details zum Vorgehen des Arztes, der seit Anfang August 2024 in Haft sitzt: Am 5. September 2022 soll er einer körperlich geschwächten 56-Jährigen in ihrer Wohnung ohne medizinischen Anlass ein Narkosemittel und ein Muskelrelaxan verabreicht haben. Aus Sorge vor Entdeckung habe er dann aber einen Notruf abgesetzt und wahrheitswidrig angegeben, die Frau in einem «reanimationspflichtigen Zustand» angetroffen zu haben, so die Anklage. Rettungskräfte konnten die Frau reanimieren und brachten sie ins Krankenhaus.
«In Fortführung seines Tatplans und im Wissen um die Patientenverfügung der Geschädigten», wonach die Frau keine lebensverlängernden Maßnahmen wünscht, soll der Mediziner die Tochter der 56-Jährigen angerufen und sich für den Verstoß gegen diese Verfügung entschuldigt haben. Mit Zustimmung beider Töchter wurde schließlich die künstliche Beatmung eingestellt - die Frau starb am 8. September 2022 im Krankenhaus in Neukölln.
Das Gericht hat für den Prozess zunächst 35 Verhandlungstermine bis zum 28. Januar 2026 geplant. Zu jedem Fall gibt es mehrere Zeugen, insgesamt könnten rund 150 Menschen vor Gericht gehört werden.
Einer der größten Fälle bundesweit?
Die Staatsanwaltschaft strebt gegen den 40-Jährigen neben einer Verurteilung die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und eine anschließende Sicherungsverwahrung an. Außerdem soll der Arzt ein lebenslanges Berufsverbot bekommen.
Bestätigen sich die Vorwürfe, könnte der Fall einer der größten bundesweit sein. Bislang gilt eine Mordserie in Niedersachsen als die wohl größte der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ex-Pfleger Niels Högel wurde 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Motiv für die Taten blieb unklar. Es sei ihm um die «Gier nach Spannung» gegangen, so das Gericht damals. Zuvor war Högel bereits wegen weiterer Morde verurteilt worden.