Christoph Hägele hat die TV-Debatte der beiden US-Präsidentschaftskandidaten genau verfolgt. Eine Einschätzung:
Kein Kandidat kann allein mit einer gelungenen TV-Debatte die Präsidentschaft gewinnen, er kann sie mit einer schlechten lediglich verlieren. So gesehen bleiben die Chancen Hilary Clintons und Donald Trumps aufs Weiße Haus auch nach der ersten von drei TV-Duellen intakt. Keiner hat sich um Kopf und Kragen geredet, keiner den anderen mit brillanten Argumenten schachmatt gesetzt. Dass Clinton für sich einen Punktsieg reklamieren darf, ist ironischerweise ausgerechnet Trumps mangelndem Stehvermögen geschuldet.
Es war nicht Clinton, sondern Trump, der in der zweiten Hälfte der Debatte an Konzentration einbüßte und zunehmend zusammenhangslos assoziierte. Den intellektuellen Tiefpunkt erreichte Trump, als er die Bedrohung durch Cyberterroristen mit den Computerkenntnissen seines zehnjährigen Sohnes unterstrich. Die allein mit dem Rot ihrer Kleidung Vitalität verströmende Clinton dagegen nutzte die Chancen, Zweifel an ihrer körperlichen Verfassung zu zerstreuen. Trump tat seiner Rivalin zudem den Gefallen, ihren jüngsten Schwächeanfall nur zurückhaltend zu thematisieren. Sein loses Mundwerk und infames Gerede opferte Trump am Montag offenbar dem Ziel, einen besonnenen und staatsmännischen Eindruck zu hinterlassen. Auf der anderen Seite gelang es Clinton erstaunlich oft, Trump unter Rechtfertigungsdruck zu setzen. Hartnäckig kratzte sie an Trumps Selbstbild als erfolgreichem Unternehmer, stellte ihn zudem in den Ruch eines Steuersünders. Beides ist für Trumps Kampagne existenziell bedrohlich, steht und fällt sein Gegenentwurf zum politischen Establishment doch mit der Behauptung seines wirtschaftlichen Erfolgs.
Ein politisches Leichtgewicht ist Trump dennoch nicht. Strategisch gewieft sein Schachzug, die geplanten Steuersenkungen für Unternehmen als ein Erbe Roland Reagans zu kommunizieren. Trumps Verneigungen vor dem republikanischen Säulenheiligen dürfte zumindest einige parteiinterne Gräben zugeschüttet haben. In Widerspruch zu den republikanischen Glaubenssätzen setzt sich Trump freilich mit seiner strikten Kritik am Freihandel. Handel ist für Trump nichts, bei dem auf lange Sicht alle Beteiligten gewinnen. Handel ist für Trump ein Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Diese Perspektive ist in ihrer Verzagtheit ganz und gar unamerikanisch, und greift auf der anderen Seite doch nur auf, was an Unbehagen gegenüber Freihandel und Wettbewerb in der amerikanischen Gesellschaft ohnehin schon flottiert.
Kein Zweifel: Hilary Clinton ist die bessere, weil verantwortungsvollere, intellektuellere und erfahrenere Kandidatin. Gerade ihre politische Erfahrung bedeutet im Wahlkampf allerdings Segen und Fluch zugleich. Wer die USA grundsätzlich auf dem richtigen Weg wähnt und die sozialen Fortschritte unter ihrem Mann Bill und Barack Obama gutheißt, wird im November deshalb Clinton wählen. Wer überwiegend politische Schwäche und wirtschaftlichen Niedergang sieht, wählt Trump. An diesem grundsätzlichen Unterschied hat auch die erste TV-Debatte nichts geändert.
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