Sie mussten es tun, weil die Polizei ihre Pflicht versäumte. So sieht das Andreas Lösche - bis heute. "Ich gestehe Herrn Lösche diese Sichtweise natürlich zu", sagt Baumbach. Sie inhaltlich teilen will der Kriminaldirektor jedoch nicht. Mit Bedacht spricht Baumbach deshalb auch nicht von "Fehlern". Er behilft sich stattdessen mit der Formulierung von den "Vorgängen, die die nicht optimal gelaufen sind". Den ermittelnden Beamten bescheinigt Baumbach, im Einklang mit den Vorschriften gehandelt zu haben. Nur sei es ihnen nicht immer gelungen, den Erkenntnisstand der Angehörigen "1:1 in die polizeiliche Lageentwicklung" einzuspeisen: "Wir müssen künftig besser zuhören."
Dieses Argumentationsmuster zieht sich als roter Faden durch den Bericht: Einzelne Versäumnisse räumt die Kommission selbstkritisch ein. Auch die nicht mit der nötigen Sorgfalt gepflegten Dienstprotokolle moniert Baumbach: "Das hat die Zusammenarbeit der Dienststellen erschwert."
Dass die Summe aus vielen kleinen Nachlässigkeiten die Ermittlungen in ihrer Gesamtheit beschädigt haben könnten, stellt die Kommission aber in Abrede. Dementsprechend kleinteilig fallen ihre Handlungsempfehlungen auf den ersten Blick auch aus. Bei der Fort- und Weiterbildung soll ein stärkeres Augenmerk auf den wertschätzenden Umgang mit Angehörigen gelegt werden. Darüber hinaus soll eine Arbeitsgruppe untersuchen, wie sich bei länderübergreifenden Vermisstenfällen Reibungsverluste minimieren lassen.
Wann genau starb Sophia
"Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung", sagt Andreas Lösche. Anders als Baumbach scheut er sich nicht, das Wort "Fehler" in den Mund zu nehmen: "Die Polizei hat zu spät gehandelt. Das ist Fakt und ich nenne das einen Fehler."
Am Rollen von Köpfen haben er und seine Eltern kein Interesse. Sie erinnern sich an Sophia als eine selbstlose junge Frau. Diesem Charakterzug fühlen sie sich verpflichtet. "Was unserer Familie passiert ist, darf keiner anderen mehr passieren", sagt Lösche. Wer einen Menschen als vermisst meldet, soll künftig auf "Empathie und polizeilichen Arbeitswillen" zählen können.
Lösches weiterhin nicht vollständig ausgeräumte Vorwürfe türmen sich zu einer letzten ungeheuerlichen Frage: Hätte die Polizei das Leben von Sophia Lösche retten können? Nein, beschied das Bayreuther Gericht. Nein, sagt auch Holger Baumbach: "Sophia Lösche starb am Tag ihres Verschwindens." Vielleicht erlaubte es der Kommission auch erst diese Grundannahme, die "nicht optimal gelaufenen" Ermittlungsschritte in ihrer Bedeutung gering zu schätzen.
Andreas Lösche rechnet anders: "Alle Indizien sprechen dafür, dass Sophia erst zwei Tage später starb." Hätte seine Schwester gerettet werden können? "Ja, vielleicht."
Die Antwort darauf kennt allein Sophias Mörder. Ob Boujeema L. sie eines Tages geben wird, glaubt Andreas Lösche nicht.