Paukenschlag bei DFB-Elf: Kader-Überraschung vor Härtetest

8 Min

Drei Monate vor dem EM-Anpfiff benennt Julian Nagelsmann einen letzten Test-Kader, der viele Fragen aufwirft. Momentum statt Erfahrung soll die Krise noch rechtzeitig stoppen.

Update vom 14.03.2024: Nagelsmann holt sechs Neulinge - "klare Rollen" für EM

Mit einer radikal veränderten Fußball-Nationalmannschaft startet Bundestrainer Julian Nagelsmann in das EM-Jahr. Exakt drei Monate vor dem Eröffnungsspiel am 14. Juni in München gegen Schottland nominierte der DFB-Chefcoach am Donnerstag (14. März 2024) in Frankfurt gleich sechs Neulinge für die Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande. Zugleich verzichtet der 36-Jährige auf mehrere prominente Akteure wie die Dortmunder Abwehrspieler Mats Hummels und Niklas Süle, Bayern-Profi Leon Goretzka, Union Berlins Robin Gosens oder den Frankfurter Torwart Kevin Trapp.

Nagelsmann kündigte für das Heimturnier "klare Rollenverteilungen" an mit 13 bis 14 Stammspielern und jungen Akteuren dahinter, die auch Stimmungsträger sind. "Wir haben ein paar Gesetzte im Kopf und ein paar Herausforderer", sagte Nagelsmann bei der Pressekonferenz auf dem DFB-Campus. Der Kader für die ersten Länderspiele des Jahres wird auch das Grundgerüst bei der Heim-EM in diesem Sommer sein. "Natürlich werden wir einen Großteil der Spieler, die jetzt hier sind, im Normalfall dann auch im EM-Kader dabei haben", sagte der Bundestrainer.

Im 26 Akteure umfassenden Aufgebot stehen neben den prominenten Rückkehrern Manuel Neuer (37) und Toni Kroos (34) als A-Team-Neulinge die drei Stuttgarter Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav, der Münchner Youngster Aleksandar Pavlovic, Jan-Niklas Beste vom Bundesliga-Aufsteiger 1. FC Heidenheim sowie der Hoffenheimer Maximilian Beier. Der siebte Akteur ohne Länderspiel-Einsatz ist Torwart Oliver Baumann. Der 33-jährige Hoffenheimer war aber schon mehrmals im DFB-Elitekreis dabei.

Nagelsmanns klare Vorstellungen für Wunschelf - BVB-Stars trifft prominente Streichliste hart 

Nagelsmann reagiert mit seiner beim DFB beispiellosen Radikalkur zum Start in ein Turnierjahr auch auf die ernüchternden Niederlagen im vergangenen November gegen die EM-Teilnehmer Türkei (2:3) und Österreich (0:2). Großer Verlierer der Nominierung ist als Verein Borussia Dortmund, das in Angreifer Niclas Füllkrug nur noch einen Spieler stellt.

Sollte ein Offensivspieler "in den nächsten acht Wochen sehr viele Tore schießen oder sehr viel Impact in seinem Club haben", erklärte der Bundestrainer, "dann kann da auch eine Position getauscht werden." Für die Defensivspieler sei es "einen Tick schwieriger, sich reinzuspielen", befand Nagelsmann und versicherte: "Die Tür ist für keinen zu." Er sagte aber auch mit Blick auf den EM-Kader, den er Mitte Mai nominieren muss: "Ganz drehen wird es sich nicht." Er hat klare Vorstellungen für seine Wunschelf.

Trikots der Nationalmannschaft auf Amazon ansehen

Im Abwehrzentrum sind etwa für ihn Real Madrids Antonio Rüdiger und Leverkusens Jonathan Tah gesetzt. Für eine Back-up-Rolle sei der erfahrene Hummels nicht die Ideallösung. "Wir müssen die am besten passenden Spieler finden." Aktueller Gewinner ist der formstarke VfB Stuttgart mit vier Profis. Der VfB habe in der Bundesliga gerade "das Momentum", sagte Nagelsmann. Angeführt wird der Kader für die Testspiele am 23. März in Lyon gegen den WM-Zweiten Frankreich und drei Tage später in Frankfurt gegen Erzrivale Holland von Kapitän Ilkay Gündogan. 

VfB-Akteure profitieren von Bundesliga-Momentum

Nach längerer Abwesenheit ist neben den 2014-Weltmeistern Neuer und Kroos auch der Frankfurter Defensivspieler Robin Koch wieder dabei. Vom FC Bayern fehlt der nach seinem Platzverweis gegen Österreich für drei Länderspiele gesperrte Angreifer Leroy Sané. Sein Vereinskollege Thomas Müller zählt dagegen weiterhin zum Team, das gegen Frankreich und die Niederlande erstmals mit den am Donnerstag präsentierten neuen EM-Trikots, einmal in klassischem Weiß, einmal knallig pink, antreten wird. Der 34-jährige Müller sei ein Spieler, der sich nicht selbst in den Mittelpunkt stelle, "sondern das Team", sagte Nagelsmann.  

Den Verzicht auf Ex-Weltmeister Mats Hummels, den er selbst ins DFB-Team zurückgeholt hatte, begründete der Bundestrainer auch mit der Rollenbeschreibung. "Wir werden ein bisschen anders aufbauen als zuletzt", verriet Nagelsmann. Als Ersatz sei der Innenverteidiger von Borussia Dortmund aber "nicht die ideale Besetzung". 

Goretzka bescheinigte der frühere Bayern-Coach zwar einen Leistungsaufschwung, doch für die Rollen hinter der vermeintlichen Startelf sehe er aktuell andere vorn. Es sei "eine Krux", sagte Nagelsmann, dass man nicht immer die besten Spieler finden müsse, "sondern die am besten passenden für die jeweilige Rolle".

Nagelsmann möchte Trainer-Zukunft gerne vor EM regeln - DFB will Europameisterschaft abwarten

Er wird seinen Kader am kommenden Montag in Frankfurt versammeln und auf dem DFB-Campus auf die ersten Länderspiele 2024 vorbereiten. Neben Schottland sind Ungarn und die Schweiz die weiteren deutschen Gruppengegner bei der Heim-EM vom 14. Juni bis 14. Juli.

Julian Nagelsmann würde eine Entscheidung über seine Zukunft als Trainer am liebsten vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft treffen. Der aktuelle Vertrag des Bundestrainers mit dem DFB läuft nach dem Heimturnier aus.

"Wenn ich vor der EM ein Vertragsangebot daliegen habe, mit dem ich zufrieden bin und wo ich sage, da fühle ich mich wohl und da sehe ich mich, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich das vor der EM unterschreibe", sagte der 36-Jährige. "Aktuell habe ich keinen Zettel daliegen." Er zeigte sich demonstrativ gelassen. "Ich empfinde da keinen Stress. Ich möchte aktuell erfolgreich arbeiten."

Nagelsmanns Zukunft wird auf Vereinsebene erwartet

Es wird erwartet, dass der ehemalige Bayern-Trainer nach dem EM-Turnier seine Zukunft wieder auf Vereinsebene sieht. Nagelsmann möchte wieder täglich mit einer Mannschaft arbeiten können. Der DFB wiederum wird den Verlauf der EM abwarten. 

"Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwas vor der EM passiert, ist gegeben", erklärte Nagelsmann. "Stand jetzt ist aber auch die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass nichts vor der EM passiert. Das ist de facto so, da lüge ich auch nicht. Dass es mein Wunsch ist, die Zukunft zu regeln, ist normal. Den Wunsch hat, glaube ich, jeder. Stand jetzt liegt nichts da."

Update vom 13.03.2024: Testspiele vor Heim-EM - Nagelsmann mischt Kader durch

Bei ihrer Rückkehr in die Fußball-Nationalmannschaft werden sich Manuel Neuer und Toni Kroos ganz schön umschauen müssen. Hier neue Gesichter, da neue Gesichter und dazu auch noch der relativ neue Bundestrainer Julian Nagelsmann, der mit einer historisch einmaligen Radikal-Aktion Hierarchien in Deutschlands wichtigstem Fußball-Team zu einem pikanten Zeitpunkt mehr oder weniger auflöst. Keine 100 Tage vor dem Anpfiff der Heim-Europameisterschaft wird bei der DFB-Elf, wie von Nagelsmann schon angedroht, tatsächlich alles "auf Null" gestellt. 

Ein ganzer Neulingsschwarm rein, ein gutes Dutzend EM-Aspiranten inklusive Mats Hummels und Leon Goretzka raus? Das sich abzeichnende Ausmaß der personellen Einschnitte wird Nagelsmann erklären müssen, wenn er am Donnerstag (14. März 2024) um 14 Uhr - exakt drei Monate vor dem Eröffnungsspiel in München gegen Schottland - auf dem Frankfurter DFB-Campus seinen über 20 Mann starken Kader für den symbolkräftigen März-Doppeltest verkündet. 

Letzter Härtetest vor Europameisterschaft - Völler beobachtet die Lage

Die letzten Härtetests mit den Klassikern bei Vize-Weltmeister und Turnier-Topfavorit Frankreich am 23. März in Lyon sowie drei Tage später gegen Erzrivale Holland macht Nagelsmann zu einem pikanten Kandidaten-Roulette. Mit ungewissem Ausgang.

Niederlagen würden Nagelsmann selbst in Bedrängnis bringen. Die Erinnerungen an die prekäre Stimmung nach dem 1:4-Desaster in Italien vor der Heim-WM 2006 wären schnell wieder da. "Der Bundestrainer hat sich seine Gedanken gemacht bei seiner Nominierung", sagte Sportdirektor Rudi Völler, der die Entwicklungen genau im Blick hat. 

Vorgewarnt waren alle, auch die Rio-Weltmeister Neuer und Kroos, als Nagelsmann nach den ernüchternden wie demütigenden Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) gravierende Veränderungen erstmals ankündigte. Jetzt wird es konkret. Mehr als die Hälfte der Kadermitglieder vom November könnte diesmal zuschauen müssen. 

Prominente Streichliste für Testspiele 

Die drei Stuttgarter Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav sowie die neue Münchner Sechser-Hoffnung Aleksandar Pavlovic wurden vorab in einem medialen Info-Wettbewerb schon als Neulinge im Teamkreis kolportiert. Ob in Frankfurts Robin Koch oder Debütant Jan-Niklas Beste vom 1. FC Heidenheim womöglich noch weitere Akteure ohne maßgebliche internationale Meriten eingeladen werden, fällt da fast schon nicht mehr ins Gewicht. Nie wurde die Nationalmannschaft so kurz vor einem großen Turnier - noch dazu als Gastgeber - so durchgeschüttelt. 

Für das Teamgefüge möglicherweise gravierender als die vielen Neulinge, die für ihre EM-Chance einmal vorspielen dürfen, ist die prominente Streichliste, die neben Goretzka, Robin Gosens oder Kevin Trapp angeblich auch einen kompletten Dortmund-Block um Niklas Süle und Hummels umfassen könnte. Warnschuss oder DFB-Aus? Diese Interpretationen stehen im Raum.

Nagelsmanns Botschaft ist aber schon eindeutig: Niemand kann und soll sich sicher sein. Das "Hier und Jetzt" als Leistungs-Mantra hatte er schon nach seinem Dienstantritt im September postuliert. Jetzt treibt er seine Liebe für das Momentum auf die Spitze. Der Münchner Rollentausch mit Pavlovic, der auch für Serbien spielen könnte, anstelle von Goretzka verdeutlicht dies. 

Rückkehrer Kroos als Faktor

Aber ausgerechnet Hummels - im März 2019 vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw schon einmal geräuschvoll aussortiert und von Nagelsmann schnell als Königspersonalie mit dem zweiten Comeback reaktiviert. Denkzettel oder Abstellgleis? Rast der Bundestrainer im Schlingerkurs in den EM-Countdown? Den 35 Jahre alten BVB-Verteidiger hatte er doch zum Amtsantritt als Führungsfigur gepriesen, der seine "Ideen verstehen und weitertragen" könne. 

Diese Aufgabe kommt nun Neuer, aber gerade auch Kroos als Retro-Duo zu. Der Real-Star, der seine DFB-Rückkehr und Turniernominierung im Februar selbst verkünden durfte, ist meinungsstark und sportlich auch mit 34 noch top. Aber ist er auch als Typ akzeptiert? Wie sich der Fußball-Stratege, der sich mit Nagelsmann den Berater teilt, im DFB-Zirkel bewegt, wird von vielen alten und neuen Mitstreitern genau beobachtet werden. Eine damit verbundene Schlüsselpersonalie ist Ilkay Gündogan, der leise Kapitän. Wird er auch bei der EM die schwarz-rot-goldene Spielführerbinde tragen oder geht diese doch zurück an den 37-jährigen Neuer?

Unklar ist auch noch Nagelsmanns Plan mit Bayern-Urgestein Thomas Müller als weiterer Rio-Ikone. Hat der Bundestrainer für ihn Verwendung? Auf dem Foto für die Ankündigung einer Fan-Aktion ist der 34-Jährige immerhin auf der DFB-Homepage lachend neben Nagelsmann zu sehen. Zufall oder Indiz?

"Ich wusste, dass es schwierig ist" - Krisenlage bei Nationalmannschaft vor Heim_EM

Neuer und Kroos kehren in dem Moment zurück, in dem maßgebliche Protagonisten der Generation 1995/96 die Quittung für ihre seit Jahren miese DFB-Bilanz bekommen. Goretzka nicht dabei, Süle und Julian Brandt wohl auch nicht, Leroy Sané nach seiner Tätlichkeit in Wien gesperrt und Joshua Kimmich auf die Position als Außenverteidiger (straf-)versetzt. Zu allem Überfluss für die Gesamtlaune dieses Jahrgangs könnte Marc-André ter Stegen noch vor dem Frankreich-Spiel offiziell erfahren, dass Neuer als Nummer eins für die EM von Nagelsmann eingeplant ist. 

Diese Gemengelage zu managen, ist Nagelsmanns Hypothek nach seinem Fehlstart als Bundestrainer mit nur einem Sieg in vier Länderspielen. Ungewollt aktuell bleibt seine Selbsteinschätzung der Krisenlage bei der Nationalmannschaft: "Ich wusste, dass es schwierig ist, dass es eine große Aufgabe ist, aber auch eine Aufgabe, die man meistern kann."

Ursprungsmeldung vom 12.03.2024: Nagelsmann mit Kader-Überraschung für kommende Länderspiele

Überraschung bei der Nominierung für die DFB-Elf: Leon Goretzka steht nach einem Medienbericht für die kommenden beiden Länderspiele nicht im Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Nach Informationen der Bild am Dienstag (12.- März 2024) erhält der Mittelfeldspieler des FC Bayern München keine Einladung für die Testpartien in Frankreich (23. März) und gegen die Niederlande (26. März). Stattdessen werde Bundestrainer Julian Nagelsmann Goretzkas Teamkollegen Aleksandar Pavlovic erstmals nominieren.

Die Entscheidung kommt überraschend, da Goretzka im Mittelfeld des Rekordmeisters zuletzt wieder gesetzt war und mit guten Leistungen wie jüngst beim 8:1 gegen den FSV Mainz 05 überzeugen konnte.

Goretzka fliegt aus Start-Elf - Bayern-Kollege übernimmt

Stattdessen könnte nun der 19-jährige Pavlovic zu seinem Debüt im A-Nationalteam kommen. Pavlovic hatte zuletzt regelmäßig in der Münchner Mittelfeldzentrale an der Seite von Goretzka gespielt. Auch der serbische Verband hatte sich um ihn bemüht.

Artikel enthält Affiliate Links
Vorschaubild: © Boris Roessler (dpa)