300 PS und ein Gebetbuch

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Reinhard Honke am Steuer seines Mitsubishi Evo. Fotos: Martin Kreklau
Reinhard Honke am Steuer seines Mitsubishi Evo.  Fotos: Martin Kreklau
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Reinhard Honke aus Himmelkron ist Rallyepilot. Er erklärt, wie man sich auf ein Rennen vorbereitet und warum ein guter Beifahrer unersetzbar ist.

Wenn Reinhard Honke in sein Auto steigt, hat er meist ein Gebetbuch dabei. Allerdings nicht zur spirituellen Erbauung - Honke ist Rallyefahrer und das sogenannte Gebetbuch das wichtigste Instrument neben dem Fahrzeug: Es beinhaltet den Streckenverlauf, den der Beifahrer dem Fahrer während des Rennens vorliest.
Bis es soweit ist, bedarf es viel Vorbereitung. Allein bis der Aufschrieb, wie das Gebetbuch offiziell heißt, fertig ist, vergehen knapp vier Stunden. Jeder Teilnehmer einer Rallye, das können über 100 sein, darf die Strecke vor dem Rennen besichtigen. Das geschieht nicht im Rennfahrzeug, sondern im privaten Pkw. Bei der Besichtigung sind maximal 60 Stundenkilometer erlaubt, innerorts sogar nur 30. "Ein Transmitter im Auto prüft, ob sich jeder an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält", erklärt der 55-Jährige. Wer zu schnell ist, dem droht die Disqualifikation.


Wichtige Notizen

Während das Team die Strecke abfährt, diktiert der Fahrer seinem Beifahrer den Radius der Kurven, wie groß die Entfernung zwischen ihnen ist und wie schnell sie gefahren werden können. "200, R1, macht auf", bedeutet etwa, dass in 200 Metern eine enge Rechtskurve kommt, die weiter wird, aus der man also herausbeschleunigen kann. Auch Wechsel des Untergrunds wie Asphalt, Schotter oder Erde werden im Gebetbuch vermerkt.
Doch den Fahrer interessieren nicht nur die Infos über die einzelnen Kurven, sondern auch, was abseits der Straße passiert. Wenn im Aufschrieb nach einer Kurve "nicht innen" vermerkt ist, bedeutet das, dass sich dort ein Hindernis befindet und der Fahrer die Kurve eher außen nehmen sollte. "Diese Infos sind wichtig. Es ist schon passiert, dass wir eine Kurve geschnitten und dabei einen Grenzstein übersehen haben - der hat uns dann das hintere Rad abgerissen", sagt Honke. Um solche Unfälle zu vermeiden, bleibt das Rallye-Team bei der Besichtigung an unübersichtlichen Stellen stehen, um die Umgebung unter die Lupe zu nehmen.
Was das Gebetbuch betrifft, hat der Fahrer das letzte Wort. Diskussionen duldet Honke nicht: "Ich habe meist jüngere Beifahrer, die verlassen sich auf meine Erfahrung. Der Fahrer muss einschätzen, wie schnell er eine Kurve nehmen will."
Ein guter Nebenmann sei indes unersetzbar: "Der Beifahrer macht eigentlich alles - außer fahren." Es sei wichtig, dass er - oder sie - die Kurven im richtigen Moment ansagt. Kein Job für schweigsame Gemüter: Während einer Veranstaltung, die einen halben Tag dauern kann, muss der Beifahrer unablässig reden, beziehungsweise vorlesen, denn bei den vielen Hinweisen über Kurven, Strecken, Hindernisse, Untergründe und so weiter kommt jede Menge Text zusammen, der zum richtigen Zeitpunkt vorgetragen werden muss. Zeit zum Durchschnaufen bleibt kaum.
"Meinem Beifahrer Michael Heinze ist einmal beinahe die Luft weggeblieben. Es waren viele enge Kurven nacheinander mit zahlreichen Hinweisen - da musste er die Worte richtig hervorpressen", erzählt Honke. Geraden sind der Freund des Beifahrers, denn dort hat er Zeit zum Atmen.
Die Arbeit des Nebenmannes beschränkt sich aber nicht auf das Schreiben und Vorlesen des Gebetbuchs. Er braucht Organisationstalent, denn er bucht die Hotelzimmer, sucht einen Parkplatz für den Team-Anhänger, kümmert sich um die Dokumentenabnahme und mehr. "Da Beifahrer so viel organisieren müssen, sind sie beruflich oft in leitenden Positionen zu finden", sagt Honke.


Eine Woche vorher geht es los

Die Vorbereitungen beginnen eine Woche vor dem Rennen. "Wir durchforsten zahllose Wetterseiten, damit wir wissen, welche Reifen wir brauchen werden", sagt Honke. 40 Stück stehen im Lager bereit, jeder Satz für eine andere Witterung. Wenn das Fahrzeug gewartet und die Reifen ausgesucht sind, wird alles in den Servicebus geladen. Das Team besteht nur aus Fahrer und Beifahrer, bei größeren Veranstaltungen nimmt Honke zwei Mechaniker mit. "Bei uns ist alles noch im Rahmen. Größere Teams haben sieben bis neun Mechaniker dabei", erklärt der 55-Jährige.
Das Auto wird betankt zum Rennen transportiert. In den Tank kommt nur V-Power mit 102 Octan: "Wir haben unseren Motor speziell auf diesen Treibstoff abgestimmt", sagt Honke. Zwar könne man durch bestimmte Einstellungen auch anderes Benzin tanken, dies gehe aber zulasten der Leistung. Wie viel Benzin verbraucht so ein Bolide auf 100 Kilometer? "Das will man eigentlich gar nicht wissen", sagt Honke und schmunzelt. "Aber es werden so ungefähr 35 Liter sein."