- Psychische Erkrankungen: Häufigkeit und Betroffenheit
- Studie der Freien Universität Berlin
- Fazit
Jeder kann im Laufe des Lebens einmal psychisch erkranken. Therapeut*innen sind dann eine wichtige Unterstützung. Suchst du nach einem Therapieplatz, ist dies jedoch nicht so einfach: Oft erwarten dich lange Wartezeiten. Zudem scheinen einer neuen Studie zufolge Therapeut*innen ihre Therapieplätze nicht immer ganz neutral zu vergeben.
Die Lage in Deutschland: Häufigkeit von Psychischen Erkrankungen
Der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V(DGPPN) zufolge erfüllt bundesweit mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Am häufigsten treten Angststörungen, Depressionen sowie Störungen durch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch auf. Betroffene und Angehörige haben oft mit schweren Einschränkungen im sozialen und beruflichen Leben zu kämpfen und haben einen starken Leidensdruck.
In einem Dossier fasste die DGPPN zusammen, dass psychische Erkrankungen am häufigsten bei jungen Erwachsenen auftreten. Außerdem sind Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status sehr häufig von einer psychischen Erkrankung betroffen. Menschen, deren Stellung innerhalb der Gesellschaft aufgrund der allgemeinen Bildung, Berufstätigkeit oder der allgemeinen Lebensverhältnisse als etwas niedriger eingestuft wird, sind demzufolge am häufigsten von Erkrankungen der Psyche wie Angststörungen und Depressionen betroffen; und dennoch sind es gerade diese Menschen, die seltener professionelle Hilfe suchen und einen schwereren Zugang zur Psychotherapie haben.
Aufgabe von Therapeut*innen ist es, psychische Störungen professionell zu behandeln. Die Behandlung findet mit verschiedenen Methoden, wie beispielsweise psychotherapeutischen Gesprächen oder Entspannungsverfahren, statt. Insgesamt arbeiten in Deutschland 14.354 Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde. Dies klingt zunächst nach einer großen Zahl; jedoch ist der Bedarf an Therapieplätzen insbesondere während der Corona-Pandemie weiter gestiegen. So mussten einer Auswertung der Bundestherapeutenkammer (BPtK) für das Jahr 2019 zufolge rund 40 % der Patient*innen mindestens 3 bis 8 Monate auf den Behandlungsbeginn warten. 2021 verdoppelte sich die Anzahl der Anfragen, sodass knapp 40 % länger als 6 Monate warten mussten.
Wie Therapieplätze vergeben werden: Eine Studie der Universität Berlin
Die Wartelisten für eine Therapie sind für jede*n lang. Und dennoch müssen Menschen mit einem sozioökonomisch niedrigerem Status oft noch länger als andere warten. Dies konnten Psychologinnen der Freien Universität Berlin in einer Studie feststellen. In Deutschland lehnen Therapeut*innen Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status der Studie zufolge eher ab. Obwohl sie häufiger betroffen sind, erhalten sie oft seltener und schwerer Hilfe.
Für ihre Studie rekrutierten die Studienautorinnen 504 ambulant arbeitende Psychotherapeut*innen. Über ein Online-Kontaktformular erhielten sie fiktive Anfragen, die sie durchlesen mussten. Im Anschluss war es ihre Aufgabe, anzugeben, wie wahrscheinlich sie eine Therapiestunde anbieten würden. Der gesellschaftliche Status der angeblich Hilfesuchenden wurde von den Forscherinnen bewusst manipuliert. So stellten sich Anfragende mit einem höheren sozioökonomischen Status in den Texten beispielsweise als Apotheker*in oder Chirurg*in vor und nutzten komplexere Formulierungen. Auf der anderen Seite wurden Nachrichten für den niedrigeren sozioökonomischen Status so manipuliert, dass die Anfragenden sich beruflich als Kassierer*in oder Reinigungskraft vorstellten. Zudem wurden kürzere Sätze, einfache Wörter und Sprichwörter verwendet.
Insgesamt zeigte sich, dass die Anfragenden, bei denen Beruf und Sprache auf einen weniger gebildeten Hintergrund schließen ließen, um 4 % häufiger abgelehnt wurden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Therapieplatz zu bekommen, war für sie also niedriger als bei den Personen, bei denen ein höherer Bildungsstand vermutet wurde. Auch das Stadtviertel, in dem sich die Praxis der Teilnehmer*innen befand, schien eine Rolle zu spielen. So war der Hintergrund der Anfragenden für Therapeut*innen, die grundlegend in einem sozial benachteiligten Bezirk arbeiten, unwichtiger.
Fazit
Insgesamt mag der Unterschied, der die Ablehnungsrate aufweist, sehr gering wirken. Zudem ist es natürlich automatisch so, dass Menschen mit einem niedrigeren ökonomischen Status sich sprachlich einfacher ausdrücken und einem Beruf mit einem niedrigeren Gehalt nachgehen. Wie auch die Studienautorinnen betonen, könnten sich aber bereits bestehende Nachteile für sozioökonomisch schlechter aufgestellte Menschen durch die Selektion der Therapeut*innen noch verschlimmern.
Werden sich Therapeut*innen über eventuelle eigene Selektionsmechanismen bewusst und überdenken diese für ihre Praxis, könnte dies zukünftig eine fairere Auswahl bewirken; denn jede*r verdient die gleiche Chance auf professionelle Hilfe.