- Das Phänomen: die Lohn-Preis-Spirale
- Die Tarifparteien zeigen noch Augenmaß
- Angemessenes Einkommensplus setzt die Spirale nicht in Gang
- Was ist Stagflation?
- Bekämpfung der Stagflation
Am 4. Juli tagt erstmals die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte "Konzertierte Aktion" mit Vertreter*innen von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Das berichtete die Deutschen Presse-Agentur. Jeweils acht Teilnehmende von Gewerkschaften und Arbeitgebern treffen sich im Bundeskanzleramt. Darüber hinaus sind die Deutsche Bundesbank und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dabei. Beraten wollen die Expert*innen die wirtschaftliche Lage, also die drohende Lohn-Preis-Spirale und Stagflation. Aber um was geht es dabei eigentlich?
Das Phänomen: die Lohn-Preis-Spirale
Wirtschaftsexpert*innen kennen sie schon länger, die Lohn-Preis-Spirale. Obwohl es diesmal besser "Preis-Lohn-Spirale" heißen müsste. Denn: Die galoppierenden Preise haben im Monat April in Deutschland eine Preissteigerung oder Inflation von 7,9 Prozent produziert. Die Löhne sind dagegen in den beiden letzten Jahren langsamer gestiegen als die Inflation. Das Geld im Portemonnaie hat also deutlich weniger Wert als früher.
Das benutzte Bild einer Spirale deutet an, was gemeint ist: Preise und Löhne schaukeln einander hoch. Konkret läuft das in diesem Jahr so: Die Kosten für die Unternehmen sind deutlich gestiegen (Energie, Logistik, Vorprodukte), hinzukommen Störungen im Warenverkehr und in der Produktion. Dies ist unter anderem auf die Corona-Pandemie und den Krieg gegen die Ukraine zurückzuführen.
In einer Konjunkturumfrage des Familienunternehmer-Verbands geben die Unternehmen an, dass sich Rohstoffe im Vergleich zum Vorjahresmonat um durchschnittlich 46 Prozent verteuert haben. 89 Prozent der Unternehmen bezeichnete die Gefahr einer Lohn-Peis-Spirale als "groß" oder "sehr groß". Das ifo-Institut München hat ermittelt, dass in der Industrie etwa die Hälfte des Preisanstieges an die Kund*innen weitergegeben werden. Das bedeutet, dass die andere Hälfte der Unternehmen auf einen Teil der Gewinnmargen verzichten muss. Für rund 13 Prozent der Befragten ist es nicht möglich, die gestiegenen Einkaufspreise weiterzugeben.
Die Tarifparteien zeigen noch Augenmaß
Arbeitnehmer*innen und ihre Gewerkschaften reagieren auf die Preissteigerungen und verlangen ein höheres Gehalt oder verbesserte Tarifverträge, die ein höheres Entgelt vorsehen. Damit steigen erneut die Kosten der Unternehmen. Diese wälzen diese wiederum auf die Verbraucher*innen ab, das Preisniveau steigt also.
Erste Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale kommen aus der Stahlindustrie. Dort gab es in letzten Tagen einen ersten Tarifabschluss. Am 1. August steigen die Löhne und Gehälter der Beschäftigten um 6,5 Prozent. Der Tarifvertrag läuft 18 Monate und beginnt noch im Juni. Für die ersten zwei Monate gibt es eine Einmalzahlung von insgesamt 500 Euro. Der Abschluss gilt für rund 68.000 Beschäftigte in den Bundesländern Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Der Abschluss ist aber durchaus moderat und bleibt vermutlich hinter der Preissteigerung im Jahr 2022. In der Chemie-Industrie hatten sich die Tarifparteien Anfang April auf eine einmalige "Brückenzahlung" verständigt, wollen aber im Oktober wieder über eine dauerhafte Lohnerhöhung verhandeln. Sie warten ab, wie bei der "Lokomotive", der Metallverarbeitung, die Runde ausgeht.
Entscheidend für das Tarifjahr 2022 ist die Tarifrunde für die 3,9 Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie. Mitte Juli will der IG-Metall-Vorstand die Forderung beschließen, die Verhandlungen starten im September. "Die Metallerinnen und Metaller erwarten eine dauerhafte Entgelterhöhung", prognostiziert Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Ende des Jahres steht zudem noch die Tarifrunde für die rund 2,7 Millionen Beschäftigten von Bund und Gemeinden an. Übrigens: Auch die Mitarbeiter*innen der Europäischen Zentralbank (EZB) forderten, dass ihre Gehälter an die Inflation angepasst werden — von Chefin Lagarde gab es per E-Mail allerdings eine Absage.
Angemessenes Einkommensplus setzt die Spirale nicht in Gang
An den Finanzmärkten gehen Börsenprofis längst davon aus, dass schon bald die Löhne steigen, darüber berichtet zumindest tagesschau.de. Das sei auch gerechtfertigt, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Schweizer Bank J. Safra Sarasin: "Wir haben eine starke Wirtschaft, wir haben höhere Inflationsraten, und wir haben einen sehr, sehr engen Arbeitsmarkt, bei dem viele Firmen die notwendigen Arbeitskräfte nicht bekommen, die sie benötigen."
Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sieht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale noch nicht. "Höhere Preise führen zu höheren Löhnen, dann sagen die Unternehmen: Jetzt müssen wir aber die Preise noch stärker erhöhen, weil die Löhne gestiegen sind. Dann sagen die Gewerkschaften: Jetzt brauchen wir wieder höhere Lohnsteigerungen. Und dann setzt sich das über viele, viele Jahre fort", erklärt Fratzscher das Phänomen bei tagesschau24.
Dies war in den 1970er-Jahren der Fall, als in Folge der Ölkrise höhere Löhne und steigende Preise sich immer weiter gegenseitig befeuert haben. Doch daraus haben auch die Gewerkschaften gelernt. Es kann gut sein, dass die ökonomische Vernunft der Gewerkschaften dazu führt, dass die gefürchtete Spirale nicht in Gang kommt und ein konjunkturell zu hohes Einkommensplus für die Beschäftigten ausbleibt.
Was ist Stagflation?
Und was ist mit der Stagflation? Das ist das zweite Angstgespenst, das hoffentlich nicht eintritt. Zur Erklärung: Eigentlich ist es ein Kunstwort aus Stagnation und Inflation. Inhaltlich geht es darum: Die Wirtschaft wächst geringer als die Preise ansteigen. Drei Faktoren sind die Voraussetzung für Stagflation: Es gibt eine hohe Inflation, alles wird teurer und das bei niedrigem Wirtschaftswachstum, begleitet von hoher Arbeitslosigkeit.
Der Geschäftsführer des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, erklärt das Phänomen folgendermaßen: "Bei Stagflation ist es so, dass Güter sich verknappen". Aktuell sei das in Deutschland vor allem das Energieangebot, "und dadurch werden die Preise in die Höhe getrieben." Die Politik kann darauf nur reagieren, indem man gezielte Hilfen für die besonders stark Betroffenen gibt, die dann die Steuerzahlenden tragen.
Genau solche Maßnahmen hat die Bundesregierung zwar aufgesetzt, aber nicht passgenau, eher mit der Gießkanne, zum Beispiel in Form des Tankrabatts oder dem Neun-Euro-Ticket. Fuest, sieht deshalb die Maßnahmen eher skeptisch. Er befürchtet, dass die Programme der Bundesregierung verpuffen. "Die staatlichen Milliarden, mit denen die Regierung die Preisauftriebe senken und die Wirtschaft ankurbeln will, könnten zur Stagflation führen", sagt Fuest dem Spiegel. Das aktuelle Szenario der Stagflation passt nicht zum robusten Arbeitsmarkt.
Gab es Stagflation schon einmal?
Ja, und zwar in den 1970er-Jahren. Das Öl-Embargo der arabischen Staaten gegen den Westen war der Auslöser. Im Jom Kippur Krieg 1973 zwischen Syrien und Ägypten setzen die arabischen Förderstaaten ihr Öl als Waffe ein und drosselten ihre Ölproduktion. Die Preise stiegen und stiegen. Vergleichbares macht heute Russland im Krieg gegen die Ukraine. Deutschland deckte damals über die Hälfte seines Energiebedarfs mit Import-Rohöl, und davon kamen 75 Prozent aus den arabischen Staaten. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist vergleichbar, allerdings nicht die Abhängigkeit nur von einem Staat. Als Folge gab es beim Öl eine rasante Preisentwicklung: Zuerst stieg der Ölpreis um 70 Prozent und in der Spitze um 300 Prozent. Auf sieben Prozent kletterte die Inflation. Es folgten autofreie Sonntage und Tempolimits auf deutschen Straßen.
Das Wirtschaftswachstum stagnierte. Innerhalb von zwei Jahren verfünffachten sich die Arbeitslosenzahlen. Die Unternehmen gaben die gestiegenen Energiekosten an den Markt weiter. Höhere Preise führten zur Forderung nach höheren Löhnen. Das sorgte für die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale. Hohe Inflation plus stagnierende Wirtschaft mit steigender Arbeitslosigkeit – die Stagflation war geboren.
Und wie wurde sie bekämpft? In Deutschland reagierte die Deutsche Bundesbank mit einer restriktiven Geldpolitik, sprich sie erhöhte die Zinsen. Die Inflation ging bis 1978 zurück auf 2,7 Prozent, bevor sie Anfang der 80er-Jahre wieder in die Höhe schnellte. Auch die Arbeitslosigkeit erreichte in dieser Zeit mit 9,1 Prozent ihren Höhepunkt. Im Laufe der 80er-Jahre erholte sich die Wirtschaft wieder und hatte Wachstumsraten von zwei bis drei Prozent.
Fazit
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland und Europa ist angespannt und zerbrechlich. Aktuell überwiegen die Risiken. Die eingesetzte leichte Erholung nach der Corona-Pandemie ist überschattet vom Krieg gegen die Ukraine; dessen Ende und Ausgang ungewiss sind. Deshalb bleiben Lohn-Preis-Spirale und Stagflation als Worst-Case-Szenarien auf der Tagesordnung.
Amazon-Bestseller: Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltestBundesbankpräsident, Joachim Nagel, bleibt trotzdem optimistisch: "Eine Stagflation erwarte ich derzeit nicht, auch wenn die Auswirkungen des Kriegs die Inflationsrate erhöhen und das Wirtschaftswachstum schwächen werden. Zwar ist der Arbeitsmarkt bereits angespannt, und wegen des Fachkräftemangels sind Probleme in Deutschland absehbar. Wir haben aber gegenwärtig keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale. Und wir gehen weiterhin von einem Aufschwung aus – er wird sich wohl nur verzögern."
Die Akteure der Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen haben die Aufgabe in einem schwierigen Umfeld sich gemeinsam zu bewegen. Deshalb ist der Dialog, wie der am 4. Juli 2022 stattfindet, ein wichtiger und notwendiger Termin.
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