Insgesamt haben sich 2.890 Menschen, 1.520 Frauen und 1.370 Männer, an der Umfrage beteiligt. Ihr Alter lag zwischen 34 und 85 Jahren, das Durchschnittsalter betrug 60 Jahre. Sie mussten zwischen Juni und Oktober 2020 einen umfangreichen Fragebogen zu ihrem psychischen Befinden ausfüllen. Unter anderem sollten sie Auskunft darüber geben, wie stark sie sich von ihrem sozialen Umfeld, ihren Kollegen und Vorgesetzten unterstützt fühlten und ob sie jemanden hatten, mit dem sie ihre Probleme besprechen konnten. Gefragt wurde auch, inwieweit Kontaktverbote zu Eltern und Großeltern sie belasteten und wie groß der Stress am Arbeitsplatz oder in der Schule war. Finanzielle Probleme oder die Sorgen darum waren Gegenstand weiterer Fragen.
Bei der Auswertung der Daten setzten Hein und ihr Team auf eine besondere Methode: die sogenannte Netzwerkanalyse. „Analysen, die auf einem Netzwerkansatz basieren, ermöglichen eine grafische Darstellung aller Variablen als einzelner Knotenpunkte“, erläutert Hein. Auf diese Weise sei es möglich, Variablen zu identifizieren, die in besonderem Maße mit anderen Variablen verbunden sind. Das Netzwerk könne somit beispielsweise komplexe Beziehungen zwischen Symptomen verschiedener psychischer Störungen aufzeigen und damit eventuelle Komorbiditäten erklären.
Ergebnisse passen zu traditionellen Geschlechternormen
Wirklich überrascht von den Ergebnissen waren Grit Hein und Martin Weiß nicht. „Die Beobachtung, dass Männer stärker mit der Arbeit und Frauen stärker mit Familie und Freunden in Verbindung gebracht werden, kann auf traditionelle Geschlechternormen und -rollen zurückgeführt werden“, erklärt Hein. Demnach fühlen sich Männer in der Regel stärker von Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitslosigkeit betroffen, was zu einer höheren psychischen Belastung führt. Frauen empfinden hingegen eine höhere Belastung, wenn sie das Gefühl haben, ihre Familie zu vernachlässigen.
Dass es Frauen psychisch besser geht, wenn sie Unterstützung durch Freunde und Familie erfahren, liege ebenfalls auf der Hand: „Dies steht im Einklang mit der traditionellen weiblichen Familienrolle, die eine stärkere Tendenz zu engen sozialen Kontakten und zur Suche nach sozialer Unterstützung beinhaltet, um Stress abzubauen und das Wohlbefinden zu steigern“, sagt Hein.
Auch wenn diese Ergebnisse eindeutig sind, weisen die Verantwortlichen auf eine Reihe von Einschränkungen hin. Die wichtigste darunter: „Da die COVID-19-Pandemie einen sehr spezifischen Kontext darstellte, muss noch geklärt werden, ob unsere Ergebnisse auf allgemeine pandemieunabhängige Situationen übertragbar sind.“ Unbestreitbar sei jedoch ein Befund: „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, bei therapeutischen Maßnahmen soziale Aspekte zu berücksichtigen, um die psychische Gesundheit von Frauen und Männern zu verbessern.“
Originalpublikation
Weiß, M., Gründahl, M., Deckert, J. et al. Differential network interactions between psychosocial factors, mental health, and health-related quality of life in women and men. Scientific Reports 13, 11642 (2023).
https://doi.org/10.1038/s41598-023-38525-8