"Sie leben in ständiger Angst", sagt Christl Dralle. Die 82-jährige Kitzingerin hat Familie Nazarenko vor rund vier Jahren zufällig auf einem Kitzinger Spielplatz kennen gelernt. Seither sind Christl und ihr Mann Günter Dralle so etwas wie Oma und Opa für Renat und Erika. "Wir lieben sie wie eigene Enkelkinder. Und auch die Eltern sind uns ans Herz gewachsen", sagt Christl Dralle. "Sie sind weltoffen, gebildet, gewissenhaft, zuverlässig und sehr herzlich." Dass Diana Nazarenko für ihre Krankenpflegeschule keine Arbeitserlaubnis von der Zentralen Ausländerbehörde bekommt, können die Dralles nicht begreifen: "Die Klinik möchte sie unbedingt haben, da sie gut Deutsch spricht und Pädagogik studiert hat. Warum schicken wir in Deutschland so jemanden weg, wo wir doch akuten Mangel an Pflegekräften haben?"
Diana Nazarenko hat alle behördlichen Unterlagen säuberlich geordnet. Ein dicker Stapel ist zusammengekommen. Allein das Protokoll der abschließenden Anhörung im Landtag umfasst mehrere Seiten und es klingt viel Positives durch - Lob für den ehrenamtlichen Einsatz der Nazarenkos. Dennoch: Als die Familie von der ukrainischen Botschaft in München Reisepässe erhielt und damit "die Identität geklärt ist", widerriefen die Behörden die vorläufige Duldung.
"Igor hätte schon bei zwei Baufirmen anfangen können zu arbeiten, außerdem hatte er ein Angebot als Weinbergshelfer. Aber das zählt nicht. Wir können jederzeit abgeschoben werden", sagt Diana Nazarenko. So, wie die fünfköpfige Familie aus Aserbaidschan, die jahrelang neben den Nazarenkos gewohnt hat. Vor wenigen Tagen wurde sie frühmorgens abgeholt. "Um fünf Uhr früh sind zehn Polizisten sind gekommen und haben sie mitgenommen. Was sie von ihrem Eigentum nicht tragen konnten, steht immer noch im Nachbarhaus."
Was wäre, wenn es Dianas Familie ebenso ergeht? Die 38-Jährige will nicht daran denken. Auch "unterzutauchen" kommt für sie nicht in Frage. "Erika geht jeden Morgen in den Kindergarten, Renat in die Schule. Wir wollen sie nicht beunruhigen. Und wir sind doch keine Verbrecher, die sich verstecken müssen." Um sich weiter fortzubilden, besucht Diana Nazarenko derzeit die Hauswirtschaftsschule im Kitzinger Amt für Landwirtschaft, "dafür braucht man keine Genehmigung". Trotzdem nagt immer wieder die Frage an ihr: Wo sollte ihre Familie nach der Abschiebung hin? Die Kinder Renat und Erika können zwar sehr gut Deutsch und Russisch sprechen, aber das Ukrainische und die kyrillische Schrift sind ihnen fremd.
"Mir zerreißt es das Herz, wenn ich daran denke, dass Diana und ihre Familie abgeschoben werden", sagt Olga Laber, eine Freundin, die schon lange in Kitzingen lebt. "Warum zählt es nicht, dass die Familie alles tut, um sich zu integrieren und ihren Teil beizutragen? Warum dürfen andere bleiben, die sich ganz offensichtlich nicht integrieren? Was ist das für eine Gesellschaft?"
Sachstand: Johannes Hardenacke, Pressesprecher der zuständigen Regierung von Unterfranken, teilt aktuell mit: "Wir warten noch auf das Ergebnis der abschließenden Anhörung im Landtag." Wie viele Tage das dauert? Hardenacke kann es nicht sagen. Es werde erst dem Innenministerium vorgelegt. "Das Ministerium erteilt daraufhin Rückmeldung hinsichtlich der Umsetzung einer Entscheidung."
STIMMEN VON BEKANNTEN:
"Die Nazarenkos sind grundsolide und sehr hilfsbereite, engagierte Menschen. Wenn die Familie in Deutschland bleiben könnte, wäre das positiv für unsere Gesellschaft - auch im Hinblick auf Arbeitskräfte, die dringend gebraucht werden. "----Bernd Moser,
Altoberbürgermeister von Kitzingen, ehrenamtlicher Deutschlehrer
"Wir kennen die Nazarenkos seit Juli 2015. Für Igor besteht die reale Gefahr, nach einer Abschiebung in die Ukraine zum Militärdienst eingezogen und an der Front zum Separatistengebiet "verheizt" zu werden. Die jetzige Situation ist schizophren: Während ganz Deutschland über den Mangel an Pflege- und Fachkräften jammert, bekommen die Nazarenkos keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis." --- Prof. Dr. Alexander Wolff,
Lehrstuhl für Informatik
"Es ist absurd, einerseits erhalten wir Preise und Fördermittel vom Bund für Integrationsprojekte - aber auf der anderen Seite kämpfen wir gegen menschenverachtende Bürokratie in den Behörden.
Es scheint uns, dass nur eine Abschiebung oder eine Ablehnung das Ziel der Behörde sein darf."----- Petra Dlugosch , Geronotologin,
Dipl.-Sozialpädagogin, Mehrgenerationenhaus
St. Elisabeth Kitzingen
"Bei Igor Nazarenko fiel mir besonders seine ruhige und besonnene Art in Stresssituationen auf. Er ist absolut zuverlässig und verantwortungsbewusst."---- Dr. Klaus Kröckel
Verantwortlicher für die Fahrradwerkstatt
im Corlette-Circle, wo Igor Nazarenko ehrenamtlich arbeitet
Da stellt sich mir die Frage, welche Art von Arbeitskräften in Deutschland gesucht werden,
wenn eine so gut integrierte und gut ausgebildete Familie abgeschoben werden soll?
Hier sollen 2 gutausgebildete Fachkräfte abgeschoben werden, die sich eigentlich perfekt integrieren.
Was bitte soll das? So langsam habe ich das Gefühl, dass straffällig gewordene (kriminelle) Migranten hier bleiben dürfen
und die, die sich gut integrieren wollen, schiebt man ab. Das ist leider nicht der 1 solche Fall.
Für mich hat das Ganze langsam einen faden Beigeschmack
Das BAMF hat mit der Ablehnung des Asylgesuches vollkommen recht: die Ukraine ist fast doppelt so groß wie Deutschland, hier hätten also ohne Probleme innerhalb der Ukraine Möglichkeiten bestanden sich zu verändern. Aber man hat versucht, wie viele Ukrainer, in den goldenen Westen zu gelangen, nur......Asyl ist und war der falsche Weg. Die Nazarenkos werden gelobt, was sie hier nicht alles arbeiten und sich positiv an der Gesellschaft beteiligen könnten. Vermutlich wäre dem tatsächliche so, aber eben nicht über Asyl! Eine Einreise als Fachkraft oder Arbeitssuchender mit Visum ist bedeutend härter: man muss nämlich seinen Lebensunterhalt bis zur Aufnahme einer Arbeit selbst bestreiten und wird nicht, wie hier, 5 Jahre alimentiert. Man kann halt nicht alles haben: entweder zum Arbeiten einreisen mit den entsprechenden Anforderungen oder über Asyl, dann aber mit dem hohen Risiko nicht anerkannt und abgeschoben zu werden. Die Nazarenkos sollten freiwillig ausreisen, um sich dann wenigstens die Möglichkeit einer Wiedereinreise mit Arbeitsvisum nicht völlig zu verbauen. Das hilft kein Jammern und kein Klagen und auch die Helfer und Freunde sollten diese gesetzlichen Bedingungen endlich akzeptieren!
Ich habe die Familie als sehr offen, anständig und pflichtbewusst kennengelernt. Rinat ist ein sehr intelligenter Junge, der bestens in der Schule integriert ist. Ich hoffe inständig, dass die Verantwortlichen sich nicht nur fragwürdigen Abschieberegelungen, sondern auch ihrem Gewissen verantwortlich fühlen.
Thomas Friederich, Rinats Lehrer