Könnte "Leben retten": Revolutionäres Drogen-Projekt startet in Franken

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Die Ecstasy-Pille "Blue Punisher" führte wegen ihres hohen Wirkstoffgehalts zu dem Tod einer Teenagerin. Drug-Checking könnte solche Fälle verhindern, sagen Experten.
Ecstasy-Pille «Blue Punisher»
-/drugchecking Projekt Berlin/dpa

Bayern und insbesondere Nürnberg fallen im bundesweiten Vergleich regelmäßig durch überdurchschnittlich viele Drogentote auf. Doch die CSU wehrt sich bisher mit allen Mitteln gegen neue Modelle. Jetzt wollen Ärzte knallharte Fakten vorlegen.

Die Zahl der Todesfälle durch Drogen steigt in Deutschland seit Jahren. Bayern und insbesondere Nürnberg fallen bei den jährlichen Statistiken regelmäßig äußerst negativ auf. "Viele Experten sehen im sogenannten Drug-Checking einen Ansatz, um gegenzusteuern", schreibt das Klinikum Nürnberg in einer aktuellen Pressemitteilung. Dabei könnten Drogenkonsumenten Substanzen nach dem Kauf auf ihren Wirkstoffgehalt und Beimengungen prüfen lassen.

Der Bundestag erteilte den Bundesländern demnach 2023 die Erlaubnis, entsprechende Modelle für Drug-Checking einzurichten. Unter anderem Baden-Württemberg und Thüringen planen dies. Die CSU lehnt das Modell allerdings bisher strikt ab. Drug-Checking würde den Eindruck vermitteln, "dass der Konsum nicht schlimm und gar akzeptabel ist", sagte der gebürtige Erlanger und Landtagsabgeordnete Bernard Seidenath im Sommer 2023 in einem Interview mit der Bayerischen Staatszeitung. Die Ärzte und Forscher in Nürnberg wollen der Blockade jetzt harte Fakten entgegensetzen. 

Weniger Drogentote durch Drug-Checking? Oberarzt sieht auch Entlastung der Kliniken

Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Ohm, der PMU und des Klinikums Nürnberg wolle "Bedarf und Chancen eines solchen Angebots in Nürnberg prüfen", heißt es. Die Studie "Gesundheitsförderung durch Evidenzbasiertes Drug-Checking in Nürnberg – EviDriN" werde der Frage nachgehen, ob und in welcher Form Drogen-Checks in der örtlichen Szene Leben retten könnten. Die Hochschule Ansbach begleite die Studie wissenschaftlich. Ebenso seien die örtlichen Suchthilfeorganisationen Mudra und Lilith an der Umsetzung beteiligt.

"Einer der größten Risikofaktoren für einen Drogentod ist der unbekannte Reinheitsgrad des Stoffs", wird Jan Welker, Oberarzt in der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Nürnberg Nord und einer der Initiatoren, zitiert. "Zu hohe Reinheit oder auch Verunreinigungen werden zur Lebensgefahr, wenn der Konsumierende es falsch einschätzt." Der Notfallmediziner habe 2021 das "Nürnberger Modell" mitbegründet, ein Forschungsnetzwerk für eine verbesserte Versorgung Suchtkranker.

Ein Ziel sei dabei die Entlastung von Rettungsdiensten und Kliniken in der Region. "Die extrem aufwändige Versorgung von Menschen mit lebensbedrohlichen Drogenvergiftungen beansprucht in Notaufnahmen und Intensivstationen viele Ressourcen, die dann für andere Patienten fehlen", schreibt das Klinikum. "Eine zweite Zielsetzung von Drug-Checking ist das Monitoring, um einen evidenzbasierten Einblick in konsumierte Substanzen zu bekommen", wird Christian Ghanem von der Fakultät Sozialwissenschaften der Ohm zitiert.

Gefährliche Streckmittel in Cannabis weit verbreitet - Drogentests in Nürnberg könnten helfen 

So könnten "Entwicklungen wie zum Beispiel der aktuelle Anstieg bei risikoreichen synthetischen Cannabinoiden oder Fentanylen" erkannt werden. "Passgenaue und lebensrettende Maßnahmen der Gesundheitsprävention" könnten so entwickelt werden. Die immer häufigere Beimischung lebensgefährlicher Substanzen in Cannabis ist laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch einer der Hauptgründe für die vom Bundestag beschlossene Entkriminalisierung der Pflanze. Derweil wurde im Dezember 2023 zum ersten Mal die Droge Carfentanyl in Bayern entdeckt. Wird diese schwerkranken Süchtigen etwa als Heroin verkauft, drohen laut Polizei extrem schnell lebensgefährliche Nebenwirkungen.

"Wir als Hochschule Ansbach freuen uns, dass wir Wissenschaft, Medizin und Praxis in diesem Projekt zusammenbringen und unseren Teil für einen Erfolg dieses wichtigen Themas beitragen können", wird Sebastian Sauer, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Ansbach, zitiert. Die Untersuchung zum Drug-Checking erhalte vom Bundesforschungsministerium eine Fördersumme in sechsstelliger Höhe für eineinhalb Jahre. Grund sei das "besonders hohe Innvovationspotenzial"

In der Schweiz wird Drug-Checking bereits seit den 1990er Jahren durchgeführt. Wie das Bundesamt für Gesundheit schreibt, nehmen hierdurch sogar 45 Prozent der teilnehmenden Konsumenten weniger Drogen. Und: "Bei einer Warnung aufgrund der chemischen Analyse konsumieren 90 Prozent der Personen weniger als geplant oder gar nichts von der betroffenen Substanz", heißt es in der Bilanz. Die Ergebnisse der Checks werden online auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Weitere Nachrichten aus Nürnberg findet ihr im Lokalressort.