Ganze Branche "geht den Bach runter": Handwerksmeister schimpft auf aktuelle Arbeitsauffassung

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Nürnberger Handwerksmeister auf verzweifelter Personalsuche - "finde niemanden"
So gerne würde Schreinermeister Reinhard Uihlein aus Nürnberg all die eingehenden Aufträge erfüllen. Doch er findet nicht genügend Fachkräfte.
Nürnberger Handwerksmeister auf verzweifelter Personalsuche - "finde niemanden"
Reinhard Uihlein

Der 61-jährige Schreinermeister Reinhard Uihlein aus Nürnberg ist in große Personalnot geraten und besorgt um die gesamte Handwerksbranche. Probleme sieht er in einer veränderten Lebenseinstellung und dem Ausbildungssystem.

Seit 37 Jahren führt Reinhard Uihlein seine Schreinerei und entwickelt vom Nürnberger Stadtteil Katzwang aus Möbel in verschiedenen Stilen, Designs und Materialien. Die Auftragslage sei gut, das Unternehmen verfüge über 5000 Bestandskunden. Im Laufe der Zeit sei der 61-Jährige jedoch in eine "fatale Geschäftssituation - ohne Nachfolger" geraten, wie er inFranken.de erklärt. 

Nur noch zwei führungslose Azubis erledigten aktuell die handwerklichen Arbeiten. Er selbst sei durch eine Autoimmunerkrankung, an der er seit elf Jahren leide, an den Rollstuhl gebunden und erledige die Verwaltung. "Ich habe Stellen über die Zeitung ausgeschrieben, aber hierüber gar keine Bewerbungen erhalten. Das ist schon erschreckend", sagt er. Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks sind derzeit geschätzt rund 250.000 Stellen im Handwerk offen und diese "Fachkräftelücke" werde sich noch vergrößern. Uihlein sieht die ganze Branche "den Bach runtergehen" und schildert, was seiner Ansicht nach die Auslöser sind.

"Wollen ihre Work-Life-Balance": Nürnberger Schreinermeister beobachtet Herausforderungen fürs Handwerk

"Meine Schreinerei ist in die Klemme geraten, weil mein Altgeselle in diesem Jahr bereits 17 Wochen krankgeschrieben ist (auf ihn hatte ich gesetzt) und mein Junggeselle dann aus Überforderung gekündigt hat", erklärt der 61-Jährige seine Situation. Deshalb brauche er dringend Schreinergesellen und Meister. "Leider finde ich über Zeitung und Internet schon monatelang niemanden, der die Chance verantwortungsvoll, bei gutem Verdienst und mit der Möglichkeit zur Nachfolge wahrnehmen möchte."

Nur weil er seine Geschichte in den Medien erzählte, sei unter anderem ein Meister aus Oberzenn auf ihn aufmerksam geworden. "Er will mir helfen. Damit habe ich zwar noch keinen Nachfolger gefunden, aber wir könnten gemeinsam so jemanden in Ruhe suchen und dafür aufbauen", so der Schreinermeister. Ein Nachfolger könnte sich eigentlich "ins gemachte Nest setzen", doch niemand zeige Interesse, solch eine Verantwortung zu übernehmen. "Risiken wollen die Leute heutzutage keine mehr eingehen", so seine Beobachtung. "Ich habe damals mit Schulden das 'goldene Handwerk' begonnen, als ich meine Schreinerei eröffnet habe. Heute trauen sich viele nicht mehr, selbstständig zu sein."

Die Einstellung junger Menschen zum Arbeiten und Leben habe sich verändert, wie er es beschreibt: "Die Personalnot im Handwerk ist schon lange zu bemerken. Meiner Meinung nach ist es eine Folge des Wohlstands. Junge Menschen wollen ihre Work-Life-Balance, ihre Freizeit. Dafür habe ich teils Verständnis, aber 'von nichts kommt nichts'." Im Ausbildungssystem sehe er parallel "eine lang anhaltende und wahnsinnige Fehlentwicklung".

Neuer Fokus auf "Systemmöbel" vom Computer - Ausbildung entferne sich vom "Urhandwerk"

Auf der einen Seite stiegen die Anforderungen im Schreinerhandwerk durch neue Materialien, Techniken und wachsende Kundenansprüche. Die Ausbildung werde laut Uihlein auf der anderen Seite aber immer schwächer, "damit die Anzahl der Absolventen möglichst einigermaßen gleich" bleibe. "Junge Meister und Gesellen sind heutzutage eher 'digitale Industrieschreiner', die am liebsten ihre Systemmöbel am Computer designen und vermarkten. Das hat aber überhaupt nichts mehr mit dem Urhandwerk zu tun."

Handwerker müssten auch Dinge reparieren können, insbesondere sich immer zu helfen wissen. "Man braucht im Handwerk Gefühl und Übung mit den eigenen Händen", betont er. Mit Blick auf die Zukunft zeichnet er ein düsteres Bild: "Wenn das Handwerk ausstirbt, wird es irgendwann nur noch Service-Firmen geben, die nur spezialisiert auf wenige Bereiche und nicht mehr umfassend am und im Gebäude zu agieren in der Lage sind."

Für seine eigene Schreinerei hat Reinhard Uihlein die Hoffnung noch nicht aufgegeben und malt sich seine Idealbesetzung aus: "Gerne würde ich auch noch zusätzlich Gesellen oder noch einen Meister einstellen, um die anstehenden Aufträge erledigen zu können." Kontaktdaten sind auf seiner Webseite besu.de zu finden. Personalnot ist unterdessen einer der Gründe für das Ladensterben in Franken. Diese Geschäfte, Metzgereien und Bäckereien sind seit Jahresbeginn geschlossen. Weitere Nachrichten aus Nürnberg und Umgebung findest du in unserem Lokalressort.