Am 2. August jährt sich das verheerende Starkregen-Ereignis im Neuenmarkter Ortsteil Hegnabrunn. Die Betroffenen schwanken zwischen Enttäuschung und Wut, fühlen sich von der Gemeinde hingehalten - und wollen klagen. Die Verwaltung äußert Verständnis für die Bürger, verweist aber auf das integrale Hochwasserkonzept.
Die Spuren im Keller von Dieter Sachs sind beseitigt. Wo vor genau einem Jahr Wasser und Schlamm standen, einen halben Meter hoch, und Kühlschränke, Waschmaschine und Trockner ins Elektrogeräte-Nirvana beförderten, erinnert nichts mehr an die schlimmen Folgen des Starkregens. Der vollgesaugte Bodenbelag ist entfernt und erneuert, verputzt die mit Feuchtigkeit vollgesogenen Wände. 500 private Arbeitsstunden stecken drin, 15 000 Euro hat sich der 63-Jährige die Reparaturen in seinem Haus in der Waldenburger Straße kosten lassen. Entschädigung? Fehlanzeige.
Das wurmt ihn. Aber nicht nur das. "Die Hinhaltetaktik der Gemeinde gegenüber unserem Anliegen lassen wir uns nicht länger bieten." Wir - das sind neun Familien aus der Waldenburger und der Königsberger Straße. Dieter Sachs ist deren Sprecher.
Sie alle eint ein Anliegen: "Wir sind nicht länger bereit, unsere Keller als Auffangbecken für das gesamte Oberflächenwasser aus dem oberen Dorf zur Verfügung zu stellen."
Dieter Sachs hat das jetzt zum dritten Mal mitgemacht. 1981 zog der gebürtige Wirsberger nach Hegnabrunn - bislang lief sein Keller in den Jahren 1996, 2007 und eben 2014 voll. "Niemand wird der Gemeinde vorwerfen, dass sie für den Starkregen jenes 2. August verantwortlich ist. Aber wir haben, so denken wir, ein Anrecht darauf, dass auch in einem solchen Fall die Kapazität der Kanäle ausreichend dimensioniert ist, damit Bürger nicht absaufen müssen."
So wie Gerlinde und Hermann Kastner. Zwei Meter standen Wasser und Schlamm im Untergeschoss, hatten Fenster und Türen einfach aufgedrückt, Öltanks umspült und Panzersicherungen lahmgelegt. Wo einst die ehemalige Küche als Werkstatt diente, steht nurmehr ein Gerüst aus Holzlatten.
Familie Kastner hat saubergemacht und den Müll entsorgt - aber am Urzustand nichts verändert. Zur Beweissicherung, denn man will Klage einreichen vor dem Verwaltungsgericht. Gegen die Gemeinde Neuenmarkt.
Versicherung lehnt Haftung ab Dieter Sachs plant das auch. Die Bayerische Versicherungskammer als Versicherer der Kommune habe den Anliegern mitgeteilt, man lehne jegliche Haftung ab, es sei doch alles in Ordnung mit dem Kanal. "Wenn man das liest, weiß man nicht, ob man lachen oder einfach nur wütend werden soll." Von "alles in Ordnung" könne keine Rede sein, schimpft Sachs. "Eine Befahrung des Kanals bei einem unserer Nachbarn hat gezeigt, dass der Untergrund marode und teilweise einsturzgefährdet ist."
Zudem seien die Rohre für solche extremen Starkregen-Ereignisse ("Mit denen muss zukünftig häufiger gerechnet werden!") viel zu klein dimensioniert.
"Hinzu kommt, dass es diverse unzulässige Einleitungen von privaten landwirtschaftlichen Flächen gibt, die in einem solchen Fall die ohnehin verheerende Wirkung noch verschlimmern." Dies müsse dringend unterbunden werden.
Der 63-Jährige betont, es genügten bereits solche Verbote und zusätzlich kleinere Maßnahmen mit Kosten von nicht mehr als 20 000 Euro, um das Schlimmste von den Bürgern abzuwenden. "Bis das integrale Konzept zum Hochwasserschutz greift und umgesetzt ist, vergehen Jahre. Wir aber wollen, das die bestehenden Mängel zügig behoben werden. Die Versicherung nimmt uns, wenn überhaupt, nur noch mit starken Aufschlägen.
Und da heißt es dann auch noch, wir wollten uns bereichern! Lächerlich."
Das haben Sachs und die anderen bei einem Ortstermin Vertretern der Verwaltung auch genauso gesagt - und jetzt stellen sie der Gemeinde ein Ultimatum: Sollte nichts geschehen, so werde man im nächsten Frühjahr eine Untätigkeitsanzeige einreichen. Sachs: "Die Unzulänglichkeiten sind seit Jahrzehnten bekannt, seit 25 Jahren trägt Bürgermeister Siegfried Decker die Verantwortung."
"Zuschüsse nicht gefährden" Die BR hätte gestern das Gemeindeoberhaupt gerne zu den Vorwürfen befragt - doch Siegfried Decker befinde sich im Urlaub, hieß es aus dem Rathaus. Zweiter Bürgermeister Alexander Wunderlich sagte auf Nachfrage, er habe größtes Verständnis für die geschädigten Bürger.
"Es tut mir Leid, was sie erdulden mussten." Aber: "Das integrale Hochwasserkonzept ist eine kommunale Mammutaufgabe. Hier gilt zu berücksichtigen: Viele Maßnahmen, die von kleinerer Natur wären wie jene, die die Betroffenen vorbringen, dürfen nicht den Hochwasserschutz in seiner Gesamtheit und somit die entsprechenden Zuschussrichtlinien gefährden. Sowas lässt sich leider nicht binnen weniger Wochen umsetzen."
Bis dahin bleibt den Bürgern nur Hilfe zur Selbsthilfe, fürchtet Dieter Sachs. Er selber hat auf eigene Rechnung Rückschlagventile eingebaut, Familie Kastner sichert künftig ihre Kellerfenster mit Metallschiebern und einer neuen Tür.
Ärztin Kathrin Stamm hat in Massives investiert: Ein schweres Eisentor verschließt den tiefer liegenden Praxiseingang. Dieter Sachs schüttelt den Kopf: "Wahnsinn, was die Leute selber für die Vorbeugung tun müssen, weil die Gemeinde ihren Aufgaben nicht nachkommt. Man könnte meinen, wir leben hier in Passau oder Hamburg."