Nach der Flucht: Ein Stück Heimat in der "Villa Zuflucht"

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Kinder aus vielen ukrainischen Familien leben in der "Villa Zuflucht" unter einem Dach. Auf unserem Bild spielen (von links) Margarita, Yeseniia (verdeckt), Viktoria, Rostyslav, Valeria und Danilo im Wohnzimmer.
Kinder aus vielen ukrainischen Familien leben in der "Villa Zuflucht" unter einem Dach. Auf unserem Bild spielen (von links) Margarita, Yeseniia (verdeckt), Viktoria, Rostyslav, Valeria und Danilo im Wohnzimmer.
Alexander Hartmann
Gemeinschaftsaufgabe Kochen: (von links) die Ukrainerin Julija, Daniela Föhr von der Opferhilfe Oberfranken, die Ukrainerinnen Olena und Oksana sowie Susanne Werner, der die "Villa Zuflucht" gehört.
Gemeinschaftsaufgabe Kochen: (von links) die Ukrainerin Julija, Daniela Föhr von der Opferhilfe Oberfranken, die Ukrainerinnen Olena und Oksana sowie Susanne Werner, der die "Villa Zuflucht" gehört.
 
Die ukrainische Nationalflagge ist gehisst: Die Flüchtlinge sind in der "Villa Zuflucht" willkommen.
Die ukrainische Nationalflagge ist gehisst: Die Flüchtlinge sind in der "Villa Zuflucht" willkommen.
 

Die Stadtsteinacherin Susanne Werner hat in ihrem Privathaus 28 Ukrainer aufgenommen - vor allem Frauen mit Kindern. Der Verein Opferhilfe kümmert sich um die Flüchtlinge, deren Sorgen groß sind.

Es nennt sich "Villa Zuflucht", das imposante Privathaus in der Stadtsteinacher Rossbachleite, das zur Herberge vieler ukrainischer Flüchtlinge geworden ist. Zehn Frauen, 14 Kinder und drei Großmütter haben dort Zuflucht gefunden. Ihnen vermittelte nicht nur die blau-gelbe Nationalflagge, die an der Garage gehisst ist, ein Stück Heimatgefühl. Es ist nicht das Stück Stoff, sondern das Miteinander der Familien, die alle das gleiche Schicksal teilen und nun als Fremde unter einem Dach leben, das Frauen wie der 44-jährigen Oksana Halt gibt.

"Wir telefonieren fast täglich"

Oksana ist aus dem umkämpften Charkiw nach Deutschland geflüchtet. Mit Schwiegermutter Julija sowie den Kindern Nika (21) und Miroslaw (14). Ehemann Eugen ist in der Ukraine geblieben, hat wie viele Zivilisten, die an der Seite der Soldaten stehen, den Kampf gegen die russische Armee aufgenommen. "Ich mache mir große Sorgen. Ich telefoniere fast täglich mit Eugen, der noch nicht an der Front ist, weil die Munition fehlt", sagt die 44-Jährige, der es wie ihren Mitbewohnerinnen geht: Die Angst, dass die Männer ums Leben kommen, ist riesengroß.

Bayreuther Fußballer hilft

Wie Oksana nach Stadtsteinach gekommen ist? Der Bayreuther Regionalligaspieler Anton Makarenko, selbst Ukrainer, ist mit ihrem Mann befreundet. Nach der abenteuerlichen Flucht mit Auto und Bahn hat Makarenko die Familie am 17. März am Lichtenfelser Bahnhof abgeholt und nach Stadtsteinach gebracht. "Es waren die Ersten, die bei uns angekommen sind", sagt Susanne Werner, die nicht nur ihr Privathaus als "Villa Zuflucht" zur Verfügung stellt, sondern auch Schriftführerin des Vereins Opferhilfe Oberfranken ist, der sich mit vielen Ehrenamtlichen um die ukrainischen Familien kümmert.

Halt und Perspektive

"Wir wollen den Geflüchteten Halt geben, ihnen eine Perspektive und die Chance bieten, trotz aller Tragik ein möglichst normales Leben zu führen", sagt Vorsitzender Alfons Hrubesch, der deutlich macht, dass der Verein auch die Kinder im Blick hat. Zwei Psychotherapeuten kümmern sich um die oft traumatisierten Jungen und Mädchen, die in ihrer Heimat den Bombenhagel erlebt haben.

Wer glaubt, aufgrund aller seelischer Wunden herrscht nur Trauer in der "Villa Zuflucht", der irrt. Es wird getratscht und gelacht, die schrecklichen Erlebnisse werden so wohl auch verdrängt. Das Miteinander gibt den Flüchtlingen Kraft. Sie leben in einer Gemeinschaft, die der einer Kommune gleicht, in der zumindest ein Stück weit Alltag herrscht. Alle sind in die Hausarbeit eingebunden. Oksana steht mit Olena und Julija an der Kochinsel. Sie bereiten den ukrainischen Eintopf Borschtsch und Maultaschen zu.

14 Zimmer auf 566 Quadratmetern

Die Hausordnung wird nach einem Wochenplan aufgeteilt. Und da gibt viel zu tun in der "Villa Zuflucht", die auf 566 Quadratmetern sage und schreibe 14 Zimmer bietet. Eigentümerin Susanne Werner hatte eigentlich vor, die Villa zu verkaufen. "Ich hatte schon einen Käufer, habe ihm dann aber abgesagt, weil ich mich verpflichtet fühle, den Frauen und Kindern zu helfen."

Die Zufallsbekanntschaft

Frauen und Kinder, die in Stadtsteinach mehr oder wenig durch Zufall zusammengekommen sind. So hat Oksana auf der Flucht die Ukrainerin Tatjana mit ihrer Tochter Olena bei einem Halt am Berliner Hauptbahnhof kennengelernt. Als sie Anton Makarenko nach Stadtsteinach gebracht hatte, hat sie Susanne Werner darüber informiert, die dann auch Olena in die "Villa Zuflucht" eingeladen hat. "Die Schicksalsgemeinschaft harmoniert", sagt die Hausbesitzerin. Konflikte? Fehlanzeige.

Auch unter den Kindern gebe es keinen Streit, sagt Daniela Föhr, die Schatzmeisterin des Vereins Opferhilfe ist und zu den Helfern gehört, die die ukrainischen Familien betreuen. Und die sich darum kümmert, dass Margarita, Yeseniia, Victoria, Valeria, Rostyslav und Danilo, die gemeinsam am Wohnzimmertisch spielen, möglichst bald den Kindergarten und die Schule besuchen können.

"Der Himmel auf Erden"

"Bei den Kindern ist es noch die Frage der Masernimpfung, die geklärt werden muss. Die Schulkinder melden wir an. Wir hoffen, dass sie nach Ostern in die sogenannten Willkommensklassen kommen", sagt Daniela Föhr, die als Schatzmeisterin des Vereins deutlich macht, dass die Flüchtlingshilfe ins Geld geht. Staatliche Gelder, die man bekommt, wenn Flüchtlinge aufgenommen werden, habe der Verein beantragt, aber noch keinen Cent erhalten. Tausende Euro habe man schon aus eigenen Mitteln aufgebracht, die "Villa Zuflucht" sei aber auch auf private Hilfe angewiesen. Geld- und Sachspenden würden benötigt, sagt Daniela Föhr. Gebraucht würden Getränke, Milch, Kartoffeln und Eier.

"Der Himmel auf Erden"

"In Mariupol hatten wir drei Wochen lang keinen Strom, kein Wasser und keine Lebensmittel", sagt Roman, der als einziger Mann im Haus quasi der Hahn im Korb ist. Er ist mit seiner Frau und den drei Kindern aus Mariupol geflüchtet, der Stadt, die von der russischen Armee dem Erdboden gleichgemacht wurde, in der Zehntausende Zivilisten getötet worden sein sollen. "Das war die Hölle, hier ist es der Himmel auf Erden", sagt der 33-Jährige, der in Stadtsteinach in Sicherheit ist, sich aber um seine Freunde und Verwandten sorgt, die in seiner Heimatstadt geblieben sind. Die Angst lebt mit in der "Villa Zuflucht", die den Flüchtlingen ein Zuhause bietet. Angst, die auch die Helfer des Vereins Opferhilfe haben. Susanne Werner: "Wir beten jeden Tag, dass unsere Frauen und Kinder keine schreckliche Nachricht aus ihrer Heimat erhalten."

Der Verein Opferhilfe Oberfranken ist ein gemeinnütziger Verein, der sich dem Opferschutz und außerdem der Kriminalprävention widmet.

Hilfe für Ukrainer Für die "Villa Zuflucht" wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Wer die Arbeit unterstützen will, kann einen Beitrag auf folgendes Konto leisten.

IBAN: DE71 7835 0000 0040 7071 68.

Sachspenden Bei Sachspenden kann man sich per E-Mail an info@opferhilfe-oberfranken.de wenden oder unter der Telefonnummer 0171-3032827 melden.red