E-Autos gelten als Hoffnungsträger für die Mobilität von morgen. Ein Fahrzeug ist eine Entwicklung aus Kulmbach und bereits über 40 Jahre alt.
Wo der rote Flitzer abgeblieben ist? "Ich habe überall gefragt, wer ihn haben könnte." Siegfried Müller hat sie nicht wieder gesehen, eine rote BMW Isetta, im Volksmund "Knutschkugel" genannt. An ihr hat er zwischen 1973 bis 1976 herumgedoktert und getüftelt, hat Getriebeteile aus- und wieder eingebaut, drei schwere Lastwagen-Batterien installiert - und so den Benziner zum waschechten Elektro-Auto verwandelt. "Ich fürchte, es ist irgendwann in der Schrottpresse gelandet - sonst wäre es ganz sicher in meinem Besitz", sagt der heute 77-Jährige und senkt traurig die Augen.
Die Faszination für Autos ergreift den gebürtigen Kasendorfer, der mittlerweile in Bayreuth lebt, in früher Kindheit. "Ich bin Bastler, seit ich denken kann." Insofern ist er Feuer und Flamme, als er 1973 als KfZ-Meister bei den Kulmbacher Klimawerken (KKW, jetzt Glen Dimplex) am Goldenen Feld eingestellt wird - und dort auf den Pionier Erich Pöhlmann trifft. Auf dem Werksgelände steht besagte Isetta. Sie soll eine besondere Bedeutung in Siegfried Müllers Leben bekommen.
Hindernis Rehberg
Pöhlmann erzählt Müller von seinem Vorhaben. "Es war damals die Zeit der Ölkrise. Erich Pöhlmann wollte das zum Anlass nehmen, einen alternativen Elektro-Antrieb auf den Weg zu bringen." In Siegfried Müller findet er den richtigen Partner. Beide zermartern sich die Köpfe, planen und verwerfen wieder. "Eine der Schwierigkeiten war es, überhaupt eine Batterie zu bekommen, die den Zweck erfüllt. Zudem mussten wir wegen des enorm gestiegenen Gewichts das Fahrwerk verstärken." Ein anderes Problem: Erich Pöhlmann wohnt am Rehberg - und die Isetta soll da hochkommen. "Anfangs sind uns am Berg die Antriebsriemen abgerutscht", erinnert sich der 77-Jährige.
Die Isetta lässt alles über sich ergehen. "Ihr Vorzug war, dass der obere Teil nur mit wenigen Schrauben verbunden wurde und sich so relativ einfach abnehmen ließ. Wir mussten ja ans Innenleben kommen, um den Benzinmotor aus- und die Teile für den E-Motor einzubauen." Als die Tüftler fertig sind, hat der zweisitzige Prototyp zehn PS, fährt in der Spitze 50 Stundenkilometer und kommt mit einer Ladung der Blei-Säure-Batterie 60 Kilometer weit. Der TÜV gibt dem Gefährt seinen Segen - und so rollt über Kulmbachs Straßen ein E-Auto Marke Eigenbau.
RWE sprang ab
Der Stromkonzern RWE kommt damals mit ins Boot, sieht in dem Vehikel Potenzial. "Letztlich sind die Firmenbosse abgesprungen, weil ihnen die Reichweite zu gering war", sagt Siegfried Müller. Er verlässt 1976 KKW, aber er bleibt mit Erich Pöhlmann in Kontakt. "Wir haben immer mal wieder gefachsimpelt und ich habe von außerhalb verfolgt, wie es mit dem E-Auto weiterging." Die Forschungen an der Isetta münden in den "Pöhlmann EL": ein im wahrsten Wortsinn stromlinienförmiges E-Mobil, mit Flügeltüren, wie Autofans sie vom Mercedes 300 SL kennen und Kinofreunde von der fahrenden Zeitmaschine DeLorean aus dem Film "Zurück in die Zukunft". Das Auto, aufgrund seiner Form "Pöhlmann-Ei" genannt, ist mit einer Geschwindigkeit von 115 Stundenkilometern das wohl schnellste Elektroauto seiner Zeit. Es gewinnt 1986 den "Grand Prix Formel E". 18 Stück werden gebaut - durchsetzen wird es sich nie.
Siegfried Müller bedauert das heute noch. "Das Modell war serienreif, aber nicht zuletzt die Politik sah damals keine Notwendigkeit, diese neue Art des Antriebs zu fördern. Wozu das geführt hat, sehen wir jetzt: Deutschland führt bei der E-Mobilität nahezu ein Schattendasein." Was dagegen andere Hersteller zu bieten haben, erlebt der 77-Jährige bei der Fahrt in einem Tesla-Sportwagen aus den USA. "Von 0 auf 200 Sachen in 3,5 Sekunden. Nur Fliegen ist schöner", schwärmt der Bayreuther und lächelt beseelt. Dennoch fährt er selber lieber Benziner. "Das, was derzeit an E-Autos auf dem Markt ist, überzeugt mich technisch noch nicht oder ist zu teuer."
Dabei könnte Deutschland längst weiter sein - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus jener Pionierphase Mitte der Siebziger in
Kulmbach. Siegfried Müller ist sich sicher: "Hätten wir damals die nötige Unterstützung bekommen, wären wir heute Marktführer. Nun sind aber die anderen Nationen viel weiter. Und ich vermute, die werden bald ein serienreifes Modell aus der Schublade ziehen, das mit Wasserstoff angetrieben wird." Seine Bedenken hat der Ingenieur in mehreren Briefen ans Wirtschaftsministerium und Kanzleramt formuliert. "Es kamen zwar Dankesschreiben, aber eben nicht mehr", bedauert er.
Und er bedauert auch, dass Erich Pöhlmann kein Erfolg für seinen Wagemut und Erfindergeist beschieden war. "Wenn ich noch einen Wagen dieses Typs bekommen könnte - ich würde ihn kaufen und damit fahren." Ihrer beider Wege trennen sich 1976, als Müller zum Straßenbauamt nach Bayreuth wechselt und Pöhlmann mit seinem E-Auto den Sprung in die Selbstständigkeit wagt.
Betrübt vom Tod Pöhlmanns
Betrübt hat Müller auch, als er 2008 die Nachricht bekommt: Erich Pöhlmann gilt nach einer Bootstour vor Neuseeland als vermisst; er wird 2012 für tot erklärt. "Es tut mir in der Seele weh, dass ich mich nicht mehr mit ihm austauschen kann."