Unbequem, aber ein steter Antwortgeber auf theologische und politische Fragen: So sieht sich der Tutzinger Freundeskreis im 55. Jahr.
Die ersten Seiten des Gästebuches mögen schon etwas verblasst sein. Aber die Erinnerungen derer, die darin herumblättern, sind es nicht. Stephan Klenner Otto spaziert gedanklich zu kurzweiligen Abenden im Martin-Luther-Haus, die ihm einst geistige Erbauung geschenkt hatten. Beim Blättern kommen ihm die heiteren Ausführungen von Kreisfachberater Friedhelm Haun über die grüne Insel Irland in den Sinn, ehe sich seine Miene verfinstert: "Das war doch der erschütternde Vortrag von Otto Schwerdt, dem Juden, der als lebender Zeitzeuge seine Zuhörer an den Todesmärschen der Nazis gedanklich teilhaben ließ." Für ihn steht fest: Der Kulmbacher Freundeskreis der evangelischen Akademie Tutzing setzt immer wieder auch mit unbequemen Themen ein Ausrufezeichen in der Öffentlichkeit!
Am Donnerstagabend feiert die Vereinigung ein Doppeljubiläum: Vor 55 Jahren hatte sie das Licht der Welt erblickt. Zudem ist mit Udo Hahn der 500. Redner zu Gast: Der Akademiedirektor der evangelischen Akademie Tutzing spricht über die "Reformation als Medienereignis". Herbert Günther hatte die Vereinigung, die sich der Erwachsenenbildung verschrieben hat, 1960 aus der Taufe gehoben. Geburtshelferinnen waren damals Luise Schaefer und Käthe Rehm gewesen.
Der Freundeskreis trägt das Langlebigkeitsgen in sich. Doch wem hat er es zu verdanken? "Menschen, die sich für gesellschaftliche, theologische und politische Fragestellungen interessieren", ist Waltraud Matthes überzeugt, die seit 21 Jahren ihren Mann Bernd Matthes bei der Leitung des Freundeskreises unterstützt. Auch Hannelore Zinck, die Ehefrau von Dekan Jürgen Zinck, unterstützt die beiden bei ihrer Arbeit.
Lob vonseiten der Politik
"Wochenend und Sonnenschein" jubiliert das Damenorchester "Capuccino" - und ein vielstimmiger Gratulationschor stimmt das Hohelied auf den Kulmbacher Freundeskreis an. "Mit ihren zahlreichen fundierten Veranstaltungen haben Sie sich mutig und offen den drängenden Fragen unserer Zeit gestellt", sagt Oberbürgermeister Henry Schramm (CSU). In dasselbe Horn blasen auch Landrat Klaus Peter Söllner (Freie Wähler) und Dekan Jürgen Zinck. "Hier wird Tiefgang gepflegt statt oberflächlicher Kommunikation", lobt ersterer, während letzterer die Vorträge als "Schmucksteine" würdigt, die ihren festen Platz im Leben der Kirchengemeinde gefunden hätten.
Den Festvortrag hält an diesem Abend Udo Hahn, der mit Blick auf den Thesenanschlag Luthers, der sich in zwei Jahren zum 500. Mal jährt, die Reformation als Medienereignis beleuchtet. Historische Ereignisse, wie die Reformation, und Medien, wie der Buchdruck, das sind für den Referenten zwei Seiten einer Medaille oder wie er es formuliert: "wechselseitige Mechanismen, die sich gegenseitig verstärken."
Der Buchdruck habe Luther in die Hand gespielt. "Ohne ihn wäre Luther auf Wittenberg beschränkt geblieben." Andererseits habe der 1455 von Johannes Gutenberg erfundene Buchdruck ein Ereignis wie die Reformation gebraucht, um in die Gänge zu kommen", sagt der Referent.
Mit Blick auf das Kulmbacher Jubiläum zeichnet er das Bild von einer Zivil- und Bürgergesellschaft, in der die Freundeskreise der Akademie ihren festen Platz haben: "Sie sind nicht Orte, an denen die Kirche sagt, wo es langgeht, sondern Räume, in denen der Diskurs gepflegt wird, in denen es um Orientierung geht und die Meinungsbildung möglich machen", sagte Hahn.