Kulmbachs rätselhafter Kriminalfall

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Erst bei der Leichenschau in einem Thüringer Krematorium war das Gewaltverbrechen entdeckt worden. Die Ärzte in Kulmbach, die den Tod festgestellt hatten, waren von einer natürlichen Todesursache ausgegangen.
Erst bei der Leichenschau in einem Thüringer Krematorium war das Gewaltverbrechen entdeckt worden. Die Ärzte in Kulmbach, die den Tod festgestellt hatten, waren von einer natürlichen Todesursache ausgegangen.
Symbolbild: Archiv/Patty Varasano
Im Essighaus in der Spitalgasse ist eine 92-Jährige im Sommer 2020 einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen.
Im Essighaus in der Spitalgasse ist eine 92-Jährige im Sommer 2020 einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen.
Foto: Archiv/Alexander Hartmann
Polizeisprecher Alexander Czech
Polizeisprecher Alexander Czech
Polizei

Nach dem gewaltsamen Tod einer 92-Jährigen im Sommer 2020 hat die Polizei wegen eines Tötungsdeliktes ermittelt. Ob es eine heiße Spur gibt?

Es ist ein Kriminalfall, der nie zu einem solchen geworden wäre, wäre der Leichnam einer 92-Jährigen im Sommer vergangenen Jahres nicht in Thüringen, sondern in Bayern eingeäschert worden. Es ist ein Fall, der im vergangenen Jahr viele Fragen aufgeworfen hat und dessen Umstände auch im April 2021 noch rätselhaft sind.

Das war geschehen

Rückblick: Am Samstag, 15. August 2020, hat eine Nachbarin die alte Frau in ihrer Wohnung in der seniorengerechten Anlage im Essighaus in der Spitalgasse (an der Ecke zum Eku-Platz) entdeckt und die Rettungskräfte alarmiert. Die Seniorin lag bewusstlos auf dem Boden. Der Notarzt leitete zwar Reanimationsmaßnahmen ein, doch verstarb die 92-Jährige kurze Zeit später.

Der Fehler der Ärzte

Hinweise auf eine Fremdeinwirkung haben die Ärzte in der Wohnung nicht erkannt. Sie sind von einer ganz natürlichen Todesursache ausgegangen und haben das im Totenschein dann auch so dokumentiert. Die 92-Jährige wurde nicht nach Hof oder Bayreuth, sondern in ein Krematorium in Thüringen gebracht, wo anders als in Bayern eine zweite Leichenschau Pflicht ist. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung wurde bemerkt, dass die Frau keines natürlichen Todes verstorben ist, sondern es sich um ein Verbrechen gehandelt hat. Die Mediziner stellten fest, dass Gewalteinwirkung zum Tod der Seniorin geführt hat. Aus dem Todes- wurde so ein Kriminalfall.

Doch was ist im Essighaus passiert? Im September, einige Wochen nach der Tat, ist das Polizeipräsidium Oberfranken an die Öffentlichkeit gegangen und hat mitgeteilt, dass die Kripo wegen eines Tötungsdeliktes ermittelt. Auf die Frage, wie und unter welchen Umständen die Frau zu Tode gekommen ist, wurde keine Antwort gegeben.

Keine Details

"Aus ermittlungstaktischen Gründen", sagte Polizeisprecher Alexander Czech, der erklärt hat: "Die Polizei hat etliche Spuren in der Wohnung der Toten sichern und Vernehmungen im Umfeld der Frau vornehmen können." Auch um Hinweise aus der Bevölkerung wurde gebeten. Ob es Zeugen gegeben hat, die Ermittlungsgruppe, die den Namen "Spital" trägt, wichtige Informationen erhalten hat? Die Polizei will keine Zwischenstandsmeldungen abgeben und hüllt sich auch acht Monate nach der Tat in Schweigen. Details werden nicht genannt, weil es sich um Täterwissen handle, so der Polizeisprecher. Einen Verdächtigen haben Kripo und Staatsanwaltschaft nicht im Visier. Es gebe keine konkreten neuen Erkenntnisse, so Czech, der von einem schwierigen Fall spricht.

Thüringen hilft

Ein Fall, der die Ermittler überhaupt nicht auf den Plan gerufen hätte, wäre die Frau in Bayern feuerbestattet worden. Denn der Freistaat ist nach wie vor das einzige Bundesland, in dem es keine zweite Leichenschau gibt, was Rechtsmediziner beklagen. So hat Klaus-Peter Philipp von der Uni Greifswald in einem Artikel der "Zeit" erklärt, dass Ärzten bei der ersten Leichenschau viele Fehler unterlaufen - die in Bayern in den allermeisten Fällen dann nicht korrigiert werden können.

Dass Fehler nicht passieren dürfen, man als Mediziner aber nicht davor gefeit sei, sagt Anja Tischer, die Vorsitzende des Hausarztvereins Kulmbach Stadt und Land. Tischer kennt etliche Studien, die fehlerhafte Totenscheine darlegen, und stellt fest: "Ich hätte überhaupt kein Problem, wenn es auch bei uns eine zweite Leichenschau gäbe."

Ändert Bayern das Bestattungsgesetz?

Ob in Bayern die Bestattungsgesetze und die Verordnungen dahingehend geändert werden? 2020 hat die Staatsregierung erklärt, dass sie die generelle Durchführung einer zweiten Leichenschau begrüßen würde. In einem Flächenland wie Bayern sei es aus personellen, organisatorischen und finanziellen Gründen jedoch nicht möglich, jeden der knapp 135 000 Verstorbenen pro Jahr durch einen Amtsarzt oder Rechtsmediziner erneut untersuchen zu lassen. Man beabsichtige, in den Fällen der Feuerbestattung eine zweite Leichenschau im Krematorium einzuführen, denn bei Erdbestattungen könne der Leichnam, "sofern sich nachträglich der Verdacht eines Tötungsdeliktes ergibt, exhumiert und als Beweismittel herangezogen werden". Dem Umstand, dass dies nach Feuerbestattungen nicht möglich sei, wolle man Rechnung tragen.

Bleibt es ein Rätsel?

Doch noch gibt es keine zweite Leichenschau in Bayern. Dass die 92-Jährige unter Gewalteinwirkung zu Tode gekommen ist, haben thüringische Rechtsmediziner entdeckt. Sie haben die oberfränkischen Ermittler vor ein Rätsel gestellt. Ob die Kripo den Fall lösen kann? Ob "Kommissar Zufall" hilft? Sollte kein Täter ermittelt werden, es zu keiner Gerichtsverhandlung kommen, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren, was sich im Essighaus abgespielt hat.