Dicke Luft? Nicht in Kulmbach

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Die Messstation des Landesamt für Umwelt (LfU) in der Konrad-Adenauer-Straße registriert die Luftschadstoffe.Jochen Nützel
Die Messstation des Landesamt für Umwelt (LfU) in der Konrad-Adenauer-Straße registriert die Luftschadstoffe.Jochen Nützel

Feinstaub - war da was? Als es um ein Fahrverbot für Diesel ging, heulten nicht nur die Motoren auf. Für die Stadt liegen die Messungen im grünen Bereich.

Aus diesem Staub kann sich keiner machen - denn der Staub folgt oder ist schon da. 0,01 Millimeter große Partikel (das ist etwa ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares) durchdringen alles und setzen sich schlimmstenfalls in der Lunge fest, wo sie ihr zerstörerisches Werk verrichten. Feinstaub ist gerade in Städten buchstäblich in aller Munde - aber was kann getan werden? Und wie groß ist die Gefahr für die Gesundheit wirklich?


Zahlenkolonnen im Internet

Auch in Kulmbach misst das Landesamt für Umwelt (LfU) täglich die entsprechenden Werte. Die Station steht direkt neben dem Landratsamt in der Konrad-Adenauer-Straße. Die Ergebnisse sind abrufbar über die Homepage www.lfu-bayern.de.

Und wie steht es um die Belastung? Die jüngsten Zahlenreihen verdeutlichen: keine Gefahr offenbar. Der EU-Grenzwert für Feinstaub, abgekürzt PM10 (vom Englischen "Particulate Matter"), liegt bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: Die WHO zerrt die Zügel enger und lässt weniger als die Hälfte des Wertes als noch unbedenklich durchgehen.) Für Kulmbach klettert der Balken nicht höher als bis 13 an diesem Montag. Die Übersichtstabelle wirft einen Durchschnitt von 11 aus - und bleibt damit deutlich unter der bedenklichen EU-Schwelle.

Allerdings wurden in Kulmbach im laufenden Jahr elf Überschreitungen registriert. "Es ist zulässig, diese Grenze insgesamt 35 Mal pro Jahr zu übertreten. Das hat der Gesetzgeber so bestimmt", erklärt Claus Hensold vom LfU in Augsburg. Zum Vergleich: Am Stachus in München meldete die dortige Messstation bereits mehr als doppelt so oft, dass der Grenzwert überschritten ist (24 Mal). Eine ähnlich hohe Quote erzielen auch die Von- der-Tann-Straße in Nürnberg (22) sowie der Stadtring-Süd in Würzburg (23).


Keine Messung überm Grenzwert

Durch die Diskussion um den Diesel-Motor ist bei der Luftreinhaltung eine weitere Nenngröße ins Visier geraten: der Gehalt von Stickstoffdioxid (NO 2 ). Aber auch hier geben die ermittelten Werte Entwarnung für Kulmbach. Aktuell changiert die Messung zwischen 6 und 32 Mikrogramm pro Kubikmeter - bei einem erlaubten Grenzwert von 200. "An keiner unserer Messstellen in Bayern kommen wir auch nur in die Nähe dieses Limits", sagt Hensold. Die höchsten Zahlen finden sich wieder für München, und zwar für die Landshuter Allee (71) und den Stachus (53), gefolgt von der Station am Regensburger Rathaus (31).

Ein drastisch anderes Bild zeigt sich in jener Stadt, die wegen ihrer Feinstaub-Belastung monatelang durch die Medien ging: Stuttgart. Noch im Januar dieses Jahres gab es an 18 von 31 Tagen eine Überschreitung der Grenzwerte, bisweilen um das Dreieinhalbfache des Erlaubten (179 bei tolerierten 50 Mikrogramm beim Feinstaub). Immer dann wird in der Hauptstadt Baden-Württembergs Feinstaubalarm ausgelöst. Dabei appellieren die Stadt und das Land an die Stuttgarter und die Pendler aus der Region, das Auto innerstädtisch nicht zu nutzen und auf umweltfreundliche Alternativen umzusteigen.

Die Verursacher des Problems sind vielschichtig, wie aktuelle Zahlen des Umweltbundesamtes belegen: Demnach trägt der gesamte Verkehr 12 Prozent zur Emissionsmenge bei, 15 geht auf Kosten der Erzeugung von Energie (Kohlekraftwerke), 8 Prozent mittlerweile auf das vermehrte Heizen mit Holz (über 14 Millionen Einzelfeuerstätten stehen in deutschen Haushalten); 19 Prozent verursacht die verarbeitende Industrie - aber satte 23 Prozent die Landwirtschaft. Damit ist sie der größte Verursacher von Feinstaub. Wie das? Es ist unter anderem das Vieh und hier der Mist, den es hinterlässt: Das entstehende Ammoniak aus der ausgebrachten Gülle reagiert in der Luft zu Ammoniumsalzen; das ist nichts anderes als sekundärer Feinstaub.


Die Dosis macht das Gift

Wie heißt es so schön: Die Dosis macht das Gift. Aber was bewirkt Feinstaub eigentlich im menschlichen Organismus? Laut einer Studie der Europäischen Umweltagentur bringt in Deutschland die Melange aus Myriaden schwebender Teilchen jedes Jahr mehrere zehntausend Menschen vorzeitig ins Grab. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben weltweit mehr Menschen durch verschmutzte Luft als durch kotaminiertes Wasser oder Tropenkrankheiten wie Malaria.

Mediziner warnen, dass immer kleinere Partikel sich immer weiter im Körper ausbreiten, sich in der Lunge, der Blutbahn und sogar im Gehirn anreichern könnten. Feinstaub entsteht bei der Verbrennung von Diesel, Kohle oder Holz sowie bei der Reaktion von Gasen. Daraus resultieren auch kleinste Partikel, sogenannte Ultrafeinstäube, die offenbar auch den ungehinderten Weg in die Blutbahn finden und als Auslöser von Bluthochdruck und damit verbundener Folgen wie Schlaganfall gelten.

Die höchsten Messungen ergeben sich übrigens immer am selben Tag: 1. Januar. Dann ist die Luftbelastung vielerorts so hoch wie sonst im ganzen Jahr nicht. In Berlin oder München schlägt der Zeiger auf 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter aus. Grund: das Silvesterfeuerwerk.

Kommentar
Wenn Grenzwerte selbst an ihre Grenzen stoßen

Grenzwerte - sie haben so etwas herrlich Beruhigendes, fast Sedierendes, nicht wahr? Auch beim Feinstaub. Und genau darin liegt ihre größte Gefahr. Denn es ist alles eine Frage des Marketings, selbst bei der Frage, wann die Partikel in welcher Konzentration letztlich nicht mehr nur eine unschöne Begleiterscheinung sind, sondern gefährlich für unser aller Gesundheit werden können. Dass Rückstände aus Verbrennungsvorgängen krebserregend sind, gilt als gesichert. Relativ neu sind Erkenntnisse, dass Herzinfarkte und eventuell sogar Alzheimer auf das Feinstaub-Konto gehen.
Aber keine Panik: Die Grenzwerte sind ja noch da - und sie werden nicht überschritten. Nirgendwo in Bayern. Halleluja! Woran dann die zehntausend Nichtraucher gestorben sind, ihre Lungen schwarz wie Teer?

Jedenfalls nicht am Grenzwert, wie ein alter Gag besagt.

Wie kommt es überhaupt zur EU-weit geltenden ominösen Ziffer von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, wo doch die Weltgesundheitsorganisation WHO weniger als die Hälfte gelten lässt? Wie so oft war es ein (fauler?) Kompromiss in Brüssel: Polen und Tschechen - also Länder mit bekanntermaßen hohem (schmutzigen) Industrieanteil - plädierten für noch höhere Werte, Schweden für deutlich niedrigere, die sich an den WHO-Maßgaben orientierten.

Herausgekommen ist als Maß der Mitte die 50. Ob sich die tatsächlich als medizinisch vertretbar darstellt, darüber streiten die EU-Kommissare auf der einen und Fachärzte vieler Länder auf der anderen Seite. Es war wie der Handel auf dem Basar mit einem Ergebnis, das weniger das wissenschaftlich Ratsame als vielmehr das politisch Durchsetzbare widerspiegelt.

Dazwischen schnaufen wir alle, bisweilen stinkig ob der unklaren Situation, in der wir Bürger gelassen werden. Täglich holt der Mensch 20 000 Mal Luft (atmen soll lebensverlängernd wirken). Dabei wird inhaliert, was uns gerade vor die Nase kommt. Vieles können die Härchen im Riechkolben zurückhalten, anderes aber bahnt sich ungefiltert den Weg tiefer in den Organismus. Was es dort anrichtet? Bloß nicht nachfragen, sonst gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Und das kostet? Genau: Arbeitsplätze!

Als der Feinstaub aus Dieselmotoren in den Fokus gerückt und als gesundheitsschädlich erachtet wurde, erhob sich ein Wehklagen - aber weniger gegen den Motor und seine Hersteller, sondern gegen die Verkünder der Botschaft, die der systemrelevanten Automobilindustrie das Grab schaufeln wollten. Politische Vertreter versuchten daraufhin nicht etwa, die Ursache anzugehen, sondern plädierten für höhere Grenzwerte. Sie finden das grenzwertig? Gegenfrage: Warum sind Sie nicht längst auf den Barrikaden?