Eilmeldung:

Das "Siedlerheim" in Kulmbach ist Geschichte

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Die siebziger und achtziger Jahre sind die Blütezeit des Gasthauses "Siedlerheim" (im Hintergrund) - hier beim Kerwa-Rumspielen 1979. Die Wirtschaft des legendären Gastwirts Gerhard Birk ist seinerzeit das beste Lokal der Reichelbräu mit dem größten Bierausschank.Fotos: BR
Die siebziger und achtziger Jahre sind die Blütezeit des Gasthauses "Siedlerheim" (im Hintergrund) - hier beim Kerwa-Rumspielen 1979. Die Wirtschaft des legendären Gastwirts Gerhard Birk ist seinerzeit das beste Lokal der Reichelbräu mit dem größten Bierausschank.Fotos: BR
Luftbild aus der Nachkriegszeit: die Siedlung mit der Thurnauer Straße (vorne) sowie (von rechts) Hopfenweg, Frankenleite und Hohe Flur. Gut zu erkennen die großen Obst- und Gemüsegärten, die noch nicht zugebaut sind. Foto: Stadtarchiv Kulmbach
Luftbild aus der Nachkriegszeit: die Siedlung mit der Thurnauer Straße (vorne) sowie (von rechts) Hopfenweg, Frankenleite und Hohe Flur. Gut zu erkennen die großen Obst- und Gemüsegärten, die noch nicht zugebaut sind. Foto: Stadtarchiv Kulmbach
 
Die Wirtshauszeiten sind vorbei: Derzeit wird das "Siedlerheim" zum Wohn- und Bürohaus umgebaut. Foto: Stephan Tiroch
Die Wirtshauszeiten sind vorbei: Derzeit wird das "Siedlerheim" zum Wohn- und Bürohaus umgebaut. Foto: Stephan Tiroch
 
Die siebziger und achtziger Jahre sind die Blütezeit des Gasthauses "Siedlerheim" (im Hintergrund) - hier beim Kerwa-Rumspielen 1979.
Die siebziger und achtziger Jahre sind die Blütezeit des Gasthauses "Siedlerheim" (im Hintergrund) - hier beim Kerwa-Rumspielen 1979.
 
Die Wirtschaft des legendären Gastwirts Gerhard Birk ist seinerzeit das beste Lokal der Reichelbräu mit dem größten Bierausschank (Bild von 1985).
Die Wirtschaft des legendären Gastwirts Gerhard Birk ist seinerzeit das beste Lokal der Reichelbräu mit dem größten Bierausschank (Bild von 1985).
 
Siedlerkerwa 1977: Der unvergessene Stadtrat Reiner Baumann nimmt einen Schluck aus der Gießkanne, rechts daneben der ebenfalls verstorbene damalige SPD-Landtagsabgeordnete Heiner Stenglein.
Siedlerkerwa 1977: Der unvergessene Stadtrat Reiner Baumann nimmt einen Schluck aus der Gießkanne, rechts daneben der ebenfalls verstorbene damalige SPD-Landtagsabgeordnete Heiner Stenglein.
 
Die Rettichfrauen im Jahr 1982.
Die Rettichfrauen im Jahr 1982.
 
Bieranstich 1990: Da legt Reiner Baumann (†) Hand an, OB Erich Stammberger (†) lässt ihm als Platzhirsch den Vortritt; rechts Peter Domes (†) von der Reichelbräu und links daneben "Siedlerbürgermeister" Robert Sittig.
Bieranstich 1990: Da legt Reiner Baumann (†) Hand an, OB Erich Stammberger (†) lässt ihm als Platzhirsch den Vortritt; rechts Peter Domes (†) von der Reichelbräu und links daneben "Siedlerbürgermeister" Robert Sittig.
 
Lampionumzug - immer ein Spaß für die Kinder.
Lampionumzug - immer ein Spaß für die Kinder.
 
Rumspielen im Jahr 1991.
Rumspielen im Jahr 1991.
 
Die Prominenz im Jahr 1992 beim Rettichessen - von rechts: "Siedlerbürgermeister" Robert Sittig, Stadtrat Reiner Baumann (†) und OB Erich Stammberger (†) sowie - von links - Stadtrat Emil Kastner (†) und CSU-Landtagsabgeordneter Dieter Heckel (†).
Die Prominenz im Jahr 1992 beim Rettichessen - von rechts: "Siedlerbürgermeister" Robert Sittig, Stadtrat Reiner Baumann (†) und OB Erich Stammberger (†) sowie - von links - Stadtrat Emil Kastner (†) und CSU-Landtagsabgeordneter Dieter Heckel (†).
 
Siedlerkerwa 1983
Siedlerkerwa 1983
 
Der Kulmbacher Softwareunternehmer Michael Ihnen hat das "Siedlerheim" gekauft und baut es zum Büro- und Wohnhaus um.
Der Kulmbacher Softwareunternehmer Michael Ihnen hat das "Siedlerheim" gekauft und baut es zum Büro- und Wohnhaus um.
 
"Siedlerbürgermeister" Henning Wagner (links) und Michael Dorn sorgen dafür, dass die Siedlerkerwa weiterlebt.
"Siedlerbürgermeister" Henning Wagner (links) und Michael Dorn sorgen dafür, dass die Siedlerkerwa weiterlebt.
 
Der ehemalige Kulmbacher Kulturreferent Ruprecht Konrad betont: Der Siedlergedanke war entgegen einer weit verbreiteten Annahme keine Idee der Nationalsozialisten.
Der ehemalige Kulmbacher Kulturreferent Ruprecht Konrad betont: Der Siedlergedanke war entgegen einer weit verbreiteten Annahme keine Idee der Nationalsozialisten.
 
Manfred Ramming ist mit dem Stammtisch Gemütlichkeit zum TSV 08 ausgewandert.
Manfred Ramming ist mit dem Stammtisch Gemütlichkeit zum TSV 08 ausgewandert.
 

Aus dem einstigen Wirtshaus in der Hohen Flur wird ein Büro- und Wohnhaus. Aber die Siedler halten weiter ihre Kerwa.

Zwar ist das Wirtshaus schon fast drei Jahre geschlossen, aber ein bisschen Wehmut kann man in der Siedlung schon spüren. Handwerker gehen ein und aus, die "Siedlerheim"-Aufschrift halb überstrichen - unverkennbar, das Traditionslokal ist nach fast 80 Jahren Geschichte, der Umbau zum Büro- und Wohnhaus voll im Gang.
"Man wird schon oft angesprochen", sagt Hennig Wagner, seit vier Jahren Vorsitzender der Siedlergemeinschaft. "Die Leute bedauern, dass das ,Siedlerheim' weg ist."

Aber offenbar hat es für das Wirtshaus keine Zukunft gegeben. Roland Bergbauer ist der letzte Wirt gewesen. 2010 übernimmt er auch das Gasthaus "Zum Petz" und fährt ein Jahr zweigleisig - bis Mitte 2011: "Vielleicht hätten wir sogar weitergemacht, aber das Rauchverbot hat viel kaputtgemacht." Nachmittags sei fast niemand mehr gekommen.
Nach Bergbauer findet sich kein Pächter mehr für das ehemals beste Lokal der Reichelbräu, die hier in den siebziger und achtziger Jahren zu Zeiten des legendären Wirts Gerhard Birk das meiste Bier verkauft.

Das Gebäude gehört inzwischen dem Kulmbacher Softwareunternehmer Michael Ihnen. "Unsere Firmengruppe mit knapp 40 Mitarbeitern wächst stark. Das neue Gebäude in Petzmannsberg reicht nicht mehr aus. Wir brauchen mehr Platz", sagt er. Im "Siedlerheim" wird nach seinen Worten die Buchhaltung der Ihnen Consulting Group untergebracht. In der ehemaligen Gaststube entsteht eine Eigentumswohnung, oben sind vier Mietwohnung untergebracht.

Von der in den dreißiger Jahren konzipierten Funktion des Platzes in der Mitte der Hohen Flur als Nahversorgungszentrum ist nichts mehr zu erkennen. Nach Bäckerei, Lebensmittelladen und Metzgerei ist auch das Gasthaus verschwunden.

Was aber nicht verschwinden soll, ist die Siedlerkerwa, die bereits zum 77. Mal gefeiert wird. "Wir machen es heuer im vierten Jahr in Eigenregie", erklärt der "Siedlerbürgermeister". Gefeiert wird vom 8. bis 11. August. Die "Stadtschänke" ist fürs Essen zuständig, Organisation, Aufbau und Getränkeverkauf übernehmen die Siedler. "Das Fest stand auf der Kippe, weil es schwer war, Helfer zu finden, aber uns ist klar: Wir können die Kerwa nicht sterben lassen", betont Wagner, der künftig vermehrt auf Information und Beratung setzt und entsprechende Veranstaltungen wie Baumschnittkurse und ähnliches für die Mitglieder anbieten will.


Stammtisch ist umgezogen

Neben der Kerwa existiert auch der Stammtisch Gemütlichkeit weiter. "Wir sind geschlossen zum TSV 08 Kulmbach abgewandert", sagt Manfred Ramming. "Unser Stammtisch einmal im Monat erfreut sich größter Beliebtheit, es kommen auch viele Frauen."

Der Plan, im ganzen Deutschen Reich in Stadtrand-lagen Siedlungen für meist kinderreiche Familien mit geringem Einkommen zu bauen, stammt aus der späten Phase der Weimarer Republik, also um 1930. Der Kulmbacher Stadtrat mit 1. Bürgermeister Hans Hacker an der Spitze fasst 1932 den Beschluss, die Siedlung zu errichten.


Keine Idee der Nationalsozialisten

"Die Siedleridee war eine ganz hervorragende Sache aus der Ära von Reichskanzler Heinrich Brüning. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme handelt es sich also keineswegs um ein Projekt der Nationalsozialisten. Sie haben später diese Idee lediglich aufgegriffen und sich damit gebrüstet", betont der frühere Kulmbacher Kulturreferent Ruprecht Konrad.

Konrad: "Die vorstädtische Kleinsiedlung in Kulmbach entstand ab Anfang der dreißiger Jahre. Die Bebauung wurde bis zum Beginn des Krieges fortgeführt." Dem Projekt, so Konrad, lag der Gedanke zugrunde, dass sich die Bewohner größtenteils selbst ernähren sollten. Bei allen Häusern gab es einen Stall, wo Kleintiere, Hühner, Ziegen oder ein Schwein gehalten wurden. Außerdem war der Garten groß genug für den Anbau von Obst und Gemüse.


Hausvergabe per Los

Beim Bau der Häuser war Nachbarschaftshilfe fest eingeplant. Manfred Ramming zufolge, der viele Jahre "Siedlerbürgermeister" gewesen ist (so wird der Vorsitzende der 1935 gegründeten Siedlergemeinschaft genannt), sind an der Thurnauer Straße die ersten zwölf Objekte errichtet worden. "Die späteren Bewohner haben unter Anleitung eines sachkundigen Baumeisters zusammengeholfen. Aber erst hinterher wurde per Los entschieden, wer wo einzieht. Damit sich keiner bei den Häusern der anderen auf die faule Haut gelegt hat", berichtet Ramming.