Neues Gutachten gefordert
Auch die Befragung eines Polizeibeamten lieferte keine neuen Erkenntnisse zum Fall. Jäger hatte einen Nachermittlungsantrag gestellt, um eventuell gelöschte Daten auf den Mobiltelefonen des Opfers und der beiden Angeklagten wiederherzustellen. Aufgrund des veralteten Betriebssystems auf einem der Geräte sei es jedoch nicht möglich gewesen, die WhatsApp-Verläufe vollständig zu rekonstruieren.
Dabei handelte es sich vor allem um den Nachrichtenverlauf zwischen der heute 16-Jährigen und ihrem Stiefvater seit Juni 2018. Die von der Polizei gesicherten Daten seien nicht ermittlungsrelevant, Aussagen über einen SMS-Austausch vor diesem Zeitraum nur reine Spekulation.
Verteidiger Kleyhauer forderte nach der zweistündigen, nicht öffentlichen Verlesung des Gutachtens eine neue psychologischen Einschätzung zu erstellen. Doch auch für die Begründung dieser Forderung mussten die Zuhörer den Gerichtssaal verlassen.
Die Staatsanwaltschaft schlug daraufhin vor, zunächst ein Rechtsgespräch zwischen den einzelnen Parteien zu führen, um das Verfahren noch in dieser Sitzung abschließen zu können. Der Richter lehnte dies jedoch ab - genauso wie den Antrag Kleyhauers auf ein neues Gutachten. Die Ausführungen der Psychologin seien wissenschaftlich fundiert, die Aussagen des Opfers gegenüber der Kriminalpolizei außerdem "komplex, detailreich und konstant". Die Kammer könne in der Vernehmung der 16-Jährigen keine Widersprüche oder Übertreibungen erkennen.
Die Zuhörer des Prozesses waren größtenteils Familienangehörige und Bekannte. In den langen Wartezeiten, die sie vor dem Gerichtssaal verbringen mussten, wuchsen Unverständnis und Wut. Psychoterror sei das, was die Jugendliche während des Prozesses durchmachen müsse. Solche schrecklichen Geschichten könne sich niemand aus den Fingern saugen, waren sich alle einig. Das vertraute Zusammenstehen der beiden Angeklagten nach Beendigung der Beweisaufnahme schmerzte die Familie besonders.
10 000 Euro Schmerzensgeld
Am Ende des neunstündigen Verhandlungstages wurden beide Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs sowie des schweren Missbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen, der 54-Jährige in zehn Fällen. Die Kammer verhängte für die Mutter eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, für den Stiefvater von fünf Jahren und neun Monaten. Einfluss auf das Strafmaß hatten auch die Teilgeständnisse der Angeklagten. Zudem müssen sie die Kosten des Verfahrens und ein Schmerzensgeld von mindestens 10 000 Euro zahlen. "Die größte Angst ihrer Tochter war es, dass man ihr nicht glaubt", sagte Richter Jäger in seiner Urteilsbegründung. "Wir können ihr leider nicht die Enttäuschung nehmen, dass ihre eigene Mutter ihr nicht geglaubt hat."
Obwohl ihr Ehemann die treibende Kraft hinter den Taten gewesen sei, habe die 39-Jährige mehrmals die Möglichkeit gehabt, den Missbrauch zu stoppen. "Eigentlich war ihre Tochter ganz zufrieden mit ihrer Familie", wandte sich Jäger abschließend an den Stiefvater. "Sie haben das mit ihrer Selbstsucht zerstört."