Es ist gut gemeint, kommt aber schlecht an. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml will die Nachtwachen in Pflegeheimen aufstocken. Dass das nicht zugunsten, sondern zulasten der Senioren ginge, meinen Wohlfahrtsverbände.
Wenn ein Pfleger in der Nacht maximal 40 Personen betreut, ist das besser, als wenn er über 50 betreut. Ergibt Sinn. Ungünstig wird es, sobald derselbe Pfleger am Tag fehlt, wenn er noch nötiger gebraucht wird. Und das befürchten Führungskräfte der Wohlfahrtsverbände im Landkreis, wenn sie Melanie Humls Verwaltungsvorschrift zur nächtlichen Betreuung in Pflegeheimen sehen. Einen "Schnellschuss" nennt Kronachs Caritas-Geschäftsführerin Cornelia Thron Humls Vorstoß.
Die Bayerische Gesundheitsministerin macht klare Vorgaben: Auf 30 bis maximal 40 Bewohner muss künftig nachts eine Pflegekraft kommen. "Die Verwaltungsvorschrift vom 8. Januar gestattet den Einrichtungsträgern eine Übergangsfrist bis zum 30. Juni. Ab dem 1. Juli werden die Fachstellen für Pflege- und Behinderteneinrichtungen - Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) die Nachtwachenschlüssel einfordern", erklärte Huml.
Bislang wurde der Personalschlüssel für Nachtwachen von Einrichtungen individueller geregelt. Das hatte zur Folge, dass in zwei bayerischen Heimen angeblich eine Pflegekraft für mehr als 90 Bewohner in der Nacht verantwortlich war. Auffällig gewordene Pflegeeinrichtungen sollen, so Huml, zukünftig häufiger kontrolliert werden. Der "Druck auf ,schwarze Schafe‘" solle erhöht werden.
"Oder die Kosten steigen" Roland Beierwaltes, Geschäftsführer des Kreis-BRK, hält Humls Vorstoß für "gut gemeint", aber unangemessen. "Wenn das Personal in den Nachtdiensten aufgestockt wird, dann fehlt es am Tag. Oder die Kosten für die Heimbewohner müssten steigen", gibt er zu bedenken. Letzteres wäre der Fall, wenn neue Pfleger eingestellt würden.
Aktuell leisten die Bewohner des BRK-Seniorenhauses je nach Pflegestufe zwischen 1600 und 1800 Euro Eigenbeteiligung. "Der Betrag muss bezahlbar bleiben", sagt Beierwaltes.
Der Leiter des BRK-Seniorenhauses, Harald Schubert, fügt hinzu: "Die meisten unserer Bewohner haben einen gesunden Schlaf. Das heißt weniger Pflegeaufwand als am Tag". Um akute Zwischenfälle oder die Routine-Aufgaben, die nachts anfallen, könnten sich die aktuell drei Nachtwachen für rund 155 Bewohner gut kümmern. Das bestätigten mehrere Pflegerinnen, die vom Reporter vor Ort angesprochen wurden. Nach Humls Forderung müssten es künftig fünf Nachtwachen sein.
Jetzt schon im Soll Für das ASB-Seniorenzentrum Rodachtal würde sich mit der Umsetzung von Humls Forderung nichts ändern. Für 57 Bewohner gibt es jetzt schon zwei Nachtwachen. Je eine ist pro Etage zuständig für 27 beziehungsweise 30 Personen. Das ist so seit der Öffnung der Pflegeeinrichtung im Jahr 2009.
Die Idee von besserer personeller Ausstattung anderer Einrichungen findet Einrichtungsleiterin Christine Schmidt prinzipiell gut. "Aber der jetzige Gesamt-Personalschlüssel würde in vielen Häusern dann nicht mehr ausreichen." Zwangsläufig müssten dort mehr Kräfte her. Und das würde über den Pflegesatz pro Bewohner refinanziert werden. "Die Beträge, die Pflegekassen zahlen, sind gedeckelt. Also würde der Selbstkostenbeitrag steigen", erklärt Schmidt.
"Schnellschuss" Cornelia Thron, Geschäftsführerin des Caritasverbands für den Kreis Kronach, hält Humls Verwaltungsvorschrift für einen "Schnellschuss". Sie wirft der Gesundheitsministerin vor, bei ihrer Entscheidung die Wohlfahrtsverbände außen vor gelassen zu haben. Es gibt eine Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Wohlfahrtsverbände, die "Freie Wohlfahrtspflege Bayern" (Mitglieder sind unter anderem Caritas, Diakonie und BRK), die in der Regel in politische Überlegungen zum Komplex Pflege einbezogen wird.
Das sei bei der Neubestimmung des Schlüssels nicht der Fall gewesen, beanstandet Thron. Das St. Elisabeth Alten- und Pflegeheim der Caritas in Wallenfels sieht für Nachtwachen bereits einen Schlüssel von unter 40 Bewohnern pro Pflegekraft vor. "Damit hatten wir keinerlei Beanstandungen der Angestellten, Bewohner oder der Angehörigen", sagt Thron. Sie wisse von keiner Seniorenresidenz im Kreis Kronach, in der es Beschwerden gegeben habe (eine Ausnahme lesen Sie in der Infobox).
Bislang wurden Pflegeschlüssel im Kreis Kronach zwischen der FQA und den Wohlfahrtsverbänden vereinbart. Diese Lösung halten Thron und Beierwaltes weiterhin für sinnvoller als eine Auferlegung vom Ministerium. "Die Kriterien müssen individuell bewertet werden", sagt die Caritas-Geschäftsführerin. Und meint, dass der nächtliche Aufwand in Häusern nicht allein nach der Personal- und Bewohnerzahl, sondern vielen weiteren Faktoren beurteilt werden müsse. Als Beispiel nennt Thron, dass viele Seniorenheime Kamera- oder Sensorsysteme auf den Stationen hätten, die das Personal von häufigen Rundgängen befreien.
Nachteile für die Qualität Eine Umstellung des Schlüssels auf 30 bis maximal 40 Bewohner pro Pflegekraft - da sind die befragten Personen der Wohlfahrtsverbände einig - könnte Nachteile für die Pflegequalität haben. "Früher wurden Bewohner geweckt und früh um halb vier gewaschen, um den Tagdienst zu entlasten", gibt BRK-Hausleiter Harald Schubert zu bedenken. Außerdem wurden nachts Medikamente gerichtet, was die Fehleranfälligkeit erhöht habe. Beides müsste wieder in den Nachtdienst fallen, wenn dieser per Verordnung personell aufgestockt würde, meint Thron.
Ein Pfleger klagte an Ein Pfleger des Kronacher BRK-Seniorenhauses klagte vor dem Arbeitsgericht Coburg gegen die Heimbetreiber: Er sei "Schikanen" ausgesetzt worden, weil er gegen die "Reduzierung der Nachtwachen im Seniorenhaus Kronach" von vier auf drei aufbegehrt habe, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Das Verfahren endete mit einem Vergleich. Der Mitarbeiter wurde freigestellt, erhält aber bis Ende Mai sein Gehalt sowie eine Abfindung in Höhe von 9000 Euro. Ehemalige Schichtkollegen des Pflegers gaben gegenüber dieser Zeitung an, der Pfleger sei nicht gemobbt worden, wie er es behauptet hatte.
hst