Neue Heimat und neuer Lebensabschnitt

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Annegret Müller und Thilo Welsch beim Zubereiten des Abendessens. Mit im Bild ist (rechts) Julia Böhnlein, die seit 15. April die Fachbereichsleitung für beide Wohnheime der Lebenshilfe Kronach hat. Foto: Schülein
Annegret Müller und Thilo Welsch beim Zubereiten des Abendessens. Mit im Bild ist (rechts) Julia Böhnlein, die seit 15. April die Fachbereichsleitung für beide Wohnheime der Lebenshilfe Kronach hat.  Foto: Schülein

Im Juni sind die ersten zwölf Bewohner in das neue Wohnheim der Lebenshilfe am Inneren Ring in Kronach eingezogen. Zwei Heimbewohner der "ersten Stunde" sind Annegret Müller und Thilo Welsch. Sie erzählen über die erste aufregende Zeit.

Zeit fürs Abendessen: Annegret und Thilo bereiten in der Gemeinschafts-Küche im Erdgeschoss des neuen Lebenshilfe-Wohnheims einen italienischen Salat zu. Thilo schüttet etwas Wasser in das Dressing, das Annegret mit einem Rührbesen gut vermischt.

Die Schüssel ist randvoll - kein Wunder, ist der Salat doch für die komplette Wohngruppe mit zwölf Bewohnern gedacht. Während die beiden den Salat noch einmal abschmecken, decken einige ihrer Mitbewohner den großen Esstisch. Andere schauen derweil im gemeinschaftlichen Wohnzimmer fern oder sind noch in ihren Zimmern. Das neue Wohnheim der Lebenshilfe steckt voller Leben.

Jeder hat sein eigenes Zimmer

"Wir fühlen uns hier sehr wohl", erzählen Annegret und Thilo. Man merkt ihnen den Stolz über ihre "neue Heimat" förmlich an, als sie mit leuchtenden Augen ihre nagelneuen Zimmer präsentieren.
Geräumig sind sie, mit großen Fenstern und sehr gemütlich. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer, das er ganz nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann. Zu jedem Zimmer gehört auch eine eigene Nasszelle.

Dass sich ihre beiden Zimmer doch ein wenig ähneln, hat einen ganz einfach Grund, beide sind Fans des FC Bayern München: Ein Bayern-Schal hier, Bayern-Bettwäsche da, ein Bayernkalender und viele weitere Fan-Artikel zieren ihre pikobello aufgeräumten Zimmer. An den Wänden hängen Familienfotos.

Modern und gemütlich

Dieser Wohlfühl-Charakter ist im ganzen Haus zu spüren. Wo man hinkommt: helle, lichtdurchflutete Räumlichkeiten, schöne warme Naturfarben, eine geschmackvolle Einrichtung - modern und gleichzeitig gemütlich. Alles wirkt sehr einladend, offen und freundlich. Man glaubt daher Thilo sofort, wenn er sagt: "Ich bin so froh, dass es dieses Wohnheim gibt."

Beide wohnten - wie auch alle anderen Bewohner - bislang bei ihren Eltern, sodass der Umzug für sie eine große Veränderung bedeutete. "Etwas ungewohnt war es schon", räumt Annegret dann auch ein, "aber ich habe mich schnell eingewöhnt. Mein Zimmer ist ja auch richtig schön."

Ausgesucht hat sie es zusammen mit ihrem Bruder, während Thilo von seinen Eltern "beraten" wurde. Überhaupt haben beide ein gutes, enges Verhältnis zu ihren Familien, die sie gerne im Wohnheim besuchen. Die Wochenenden verbringen sie ab und zu bei ihren Eltern beziehungsweise Angehörigen.
Dies bleibt ihnen freigestellt, denn im Wohnheim wird den Bewohnern am Wochenende auch einiges geboten. Oft werden - je nachdem, was in Kronach oder Umgebung gerade so los ist - entsprechende Aktivitäten und Ausflüge organisiert.

Umzug tiefgreifender Einschnitt

"Ich habe bislang nur positive Rückmeldungen erhalten, ob von Bewohnern, Eltern oder gesetzlichen Betreuern", sagt Julia Böhnlein, die seit 15. April dieses Jahres die Fachbereichsleitung für beide Wohnheime der Lebenshilfe Kronach hat. "Am Anfang hatten wir diesbezüglich schon etwas Bedenken", gesteht sie, zumal der Umzug einen tiefgreifenden Einschnitt in das Leben der Bewohner darstelle. Allerdings seien die meisten auch recht jung - zwischen 24 Jahre bis Mitte 40.

Dies sei einfach eine neue Generation, die schon sehr lange von der Lebenshilfe Kronach gefördert werde und bei der das Ziel eines eigenständigen, selbstbestimmten Lebens greife. Dies habe sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Abnabelung von zuhause schneller vonstatten gehe.

"Ich denke, dass es für manche Eltern und Angehörige fast schwieriger ist als für die Bewohner", ergänzt Hilmar Hader, Fachbereichsleiter für Ambulant Betreutes Wohnen. Man pflege daher auch ein sehr enges Miteinander mit den Eltern beziehungsweise Angehörigen, die man bereits im Vorfeld stark mit einbezogen habe. So fanden schon vor dem Einzug viele Gespräche und auch Besichtigungen vor Ort statt.

Mittlerweile sind die ersten zwölf Bewohner eingezogen - und zwar nach und nach. "Es war uns wichtig, dass das langsam geschieht und dass nicht alle Bewohner auf einmal kommen, damit wir uns ihnen ganz intensiv widmen können und viel Zeit für sie haben", betont Hader. Anfang September kommen fünf neue Bewohner dazu. Ende des Jahres soll das Haus komplett voll sein.

Bei den Bewohnern handelt es sich um Erwachsene, die in der Regel die Werkstatt für Menschen mit Behinderung besuchen. Wenn sie die Wefa beispielsweise aufgrund Krankheit oder später dann auch aus Altersgründen nicht besuchen können, werden sie im Rahmen der Tagesstrukturierenden Maßnahmen betreut.

Verantwortung für sich und andere übernehmen

Und wie sieht ein typischer Werktag für die Bewohner aus? "Der Tag beginnt mit dem gemeinsamen Frühstück", erklären Annegret und Thilo. Um 7.30 Uhr werden sie zur Wefa gefahren, wo sie um 16 Uhr wieder abgeholt und zurückgebracht werden. Dort essen sie auch zu Mittag. Um 16 Uhr gibt es im Wohnheim Kaffee. Danach gehen die Bewohner mit den Mitarbeitern beispielsweise einkaufen oder es beginnen die Vorbereitungen für das Abendessen um 18 Uhr, wobei die Bewohner ebenfalls mithelfen.

"Die Bewohner sollen Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. Sie werden in den ganzer Alltag aktiv mit einbezogen. Es wird gemeinsam gekocht, aufgeräumt, gemeinsam die Wäsche gemacht und so weiter. Sie sollen nicht "nur" versorgt werden, sondern etwas Sinnvolles tun", verdeutlicht Hader.

Regelungen zum Wohnen, Essen und Putzen sollen weitgehend den Bewohnern überlassen bleiben beziehungsweise mit ihnen gemeinsam gestaltet werden. Dies gilt auch für die Freizeitgestaltung.

Baukosten: 3,1 Millionen Euro

Mit dem fast 3,1 Millionen Euro teuren Bau schuf der Verein "Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung Kronach." für 24 erwachsene Menschen mit einer geistigen und /oder Mehrfachbehinderung neue stationäre Wohnplätze. Dafür hatte der Verein das in unmittelbarer Nachbarschaft zur Lebenshilfe am Inneren Ring in Kronach befindliche evangelische Gemeindezentrum gekauft.

An Eigenmittel muss der Verein mindestens 20 Prozent der Gesamtkosten aufbringen, was etwa 650 000 Euro entspricht. Um die finanzielle Belastung des Vereins so gering wie möglich zu halten, war und bleibt er auf Geldspenden für dieses Projekt angewiesen.

"Ich bin überwältigt von der Solidarität in Landkreis. Seit 2009, als das Thema an die Oberfläche kam, haben wir Spenden von 156 000 Euro erhalten", zeigt sich Lebenshilfe-Geschäftsführer Wolfgang Palm erfreut. Am Samstag, den 31. Oktober findet die offizielle Einweihung des neuen Wohnheims statt. Nach dem Festakt am morgen mit geladenen Gästen, findet am Nachmittag ein "Tag der offenen Tür" statt.