Nachtwächterin führt durch Kronachs Straßen

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Rosi Ross ist an ihrer langen Hellebarde zu erkennen, wenn sie als Nachtwächterin Führungen macht. Hier steht sie vor dem Gebäude des Antlabräu und berichtet über die Historie der Umgebung. Foto: Hendrik Steffens
Rosi Ross ist an ihrer langen Hellebarde zu erkennen, wenn sie als Nachtwächterin Führungen macht. Hier steht sie vor dem Gebäude des Antlabräu und berichtet über die Historie der Umgebung.  Foto: Hendrik Steffens

Wenn eine Frau abends um zehn die Uhrzeit durch die Altstadt ruft, könnte das Rosi Ross sein. Als Nachtwächterin führt sie Menschen durch Kronachs Straßen - und erklärt, was sie mit Lichthausgesindel anstellt.

Der große Schlüsselbund rasselt bei jedem Schritt, den die dunkle Gestalt mit Hut, Hellebarde und Laterne macht. Eine kleine Gruppe folgt ihr auf dem Fußweg von der Schwedenstraße hoch zum Bamberger Tor. Oben stoppen sie, und im Scheinwerferlicht eines passierenden Autos ruft die schwarz gekleidete Frau: "Hört, ihr Leut', und lasst euch sagen: Die Glock', sie hat nun zehn geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, dass Unheil nicht einbricht." Rosi Ross ist auf Nachtwächter-Schicht.

Seit zwei Jahren schlüpft die Kronacherin mit rheinländischen Wurzeln in die Rolle der Ordnungshüterin aus grauer Vorzeit. "Wenn man Geschichte vermitteln will, dann ist es doch spannender, wenn man es aus der Sicht einer historischen Figur macht", sagt Rosi Ross. In Archiven hat sie sich Grundkenntnisse über den Beruf des Nachtwächters angelesen: Wie den Stundenruf, wenn die "Glock'" geschlagen hat.
Und das Wissen, was ein Nachtwächter zu tragen hat: Die Stangenaxt zur Verteidigung, die Laterne als Vorläuferin einer Taschenlampe und die Schlüssel zur Gefängnistür.

Betrunkene wanderten in die Zelle

Am Kronacher Marienplatz warten Gäste auf die heutige Führung. Ross zeigt eine vergilbte Urkunde vor, die belegen soll, dass sie "vom Rat der Stadt als Nachtwache bestellt" wurde. In der Dunkelheit müsse sie für Ruhe und Ordnung sorgen. Und wer sich nicht benehmen könne und zu laut oder zu betrunken sei, ende in der Zelle, fährt die Wächterin fort. Ein klingelndes Handy nimmt den Worten ihre Schärfe.

Geschichtlich bewandert war Ross schon vor ihrer Zeit als Nachtwächterin. Das belegen die Buchtitel in den Regalen ihrer Wohnung in der Oberen Stadt. Aus ihrem Wohnzimmerfenster kann sie einen guten Teil des Wegs überblicken, den sie mit ihren Kunden läuft. Seit mehr als zehn Jahren hält Rosi Ross für kommunale Auftraggeber und private Kunden Führungen durch die Cranachstadt und ihre Geschichte.

Wenn Kerzen im Fenster stehen

Im Losgehen klärt die Wächterin ihre Begleiter auf: Wenn ein Brand ausbreche, müsse sie die Gefahrenstelle sichern. Außerdem sorge sie dafür, "dass das Lichthausgesindel des Nachts Ruhe gibt". In "Lichthäusern" kamen im Mittelalter nachts Männer und Frauen zusammen, um das zu feiern, was wir heute Partys nennen. Ihre Bezeichnung hatten sie Kerzen im Fenster zu verdanken.

Wenn Rosi Ross an der Zimmerwand lehnt, wirkt die Hellebarde weniger bedrohlich als bei der nächtlichen Tour. Daheim trägt sie Zopf, Pulli und Jeans und keine Robe mit Hut. So bereitet sie ihre Vorträge vor. "Ich glaube, ich habe ein Talent, das Wissen aus Büchern und Archiven an die Menschen weiter zu geben", sagt Ross. Deswegen mache sie ihre Führungen. Neben den Nachtwächter-Touren wird sie auch für Führungen durch die Festung gebucht. In der Hauptsaison - wenn es wärmer ist und zur Weihnachtszeit - gibt sie mehrere am Tag. Rosi Ross lebt von ihrer Begeisterung für die Geschichte. Und wenn sie an ihrem Wohnzimmertisch von ihrer Rolle als Nachtwächterin erzählt, fällt sie manchmal in die "Ich"-Perspektive.

Vom Marienplatz zieht die Gruppe hoch zum Bamberger Tor. Im 13. Jahrhundert schloss die Kronacher Stadtmauer mit dem Tor ab - alles davor lag außerhalb der Stadt. "Wenn wir im Mittelalter hier herumgelaufen wären, hätten wir kein sicheres Leben gehabt", klärt Ross ihre Begleiterinnen auf. Innerhalb der Mauern allerdings sei man sicher gewesen. "Kronach wurde nie von Feinden eingenommen. Obwohl sie es versucht haben", sagt Ross und hebt ihre Laterne in Kopfhöhe an die Mauer. Sie deutet auf die Einschläge von Kanonenkugeln, die während des Dreißigjährigen Kriegs geflogen sind. Die Mauer habe gehalten. "Nur ein einziges Mal, 1634, durchbrachen unsere protestantischen Feinde aus Schweden und Coburg sie an dieser Stelle", sagt Ross und deutet auf einen Abschnitt unterhalb des Bamberger Tors.

Kronachs tapfere Weiber

Den Frauen von Kronach sei die Rettung der Stadt zu verdanken gewesen. Die gossen heißes Wasser, Öl und Jauche auf die nahenden Feinde. Und hielten sie so zurück, bis das Loch wieder geschlossen war. "Die Frauen sind in die Geschichte eingezogen als die tapferen Weiber von Kronach", sagt Ross. Vom Bamberger Tor zieht die kleine Gruppe zum Gebäude des Antlabräu ("Brauhäuser waren ein Mittelpunkt des täglichen Lebens"), zum Pförtchen ("wurde als Gefängnis genutzt") und zum alten Stadtturm ("mit dem ältesten Teil der Stadtmauer"). Ross mischt historische Fakten mit Anekdoten und halbwahren Legenden.

Auf dem Tisch hat Ross eine alte Urkunde und Zettel mit Notizen liegen. "Wenn ich mal eine Anekdote erzähle, die nicht belegt ist, dann mache ich das erkennbar. Faktentreue ist mir sehr wichtig", sagt sie. Aber sie will keinen Geschichtsunterricht geben, sondern unterhalten, Kronachs Nachtwächterin.