Lokalsender Radio Eins zeigt Dekolleté

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Die hier gezeigte Zeitungsseite lässt erahnen, was die diskutierte Werbung von Radio Eins zeigt. Foto: Hendrik Steffens
Die hier gezeigte Zeitungsseite lässt erahnen, was die diskutierte Werbung von Radio Eins zeigt.  Foto: Hendrik Steffens

Üppige Brüste im roten Büstenhalter: Radio Eins wirbt neuerdings mit dem Ausschnitt einer Frau für sein Programm. Darüber ärgert sich die Kronacherin Ingrid Oswald - und wirft die Frage auf: Was darf Werbung?

Als Ingrid Oswald am ersten Februarsonntag in den regionalen Wirtschaftsteil ihrer Zeitung blättert, sinkt ihre Laune. Unten rechts steht statt Finanzthemen eine Anzeige, die einen üppigen Frauenbusen im BH aus roter Spitze zeigt - außerdem das Logo des lokalen Rundfunksenders Radio Eins. Sie empfindet die Darstellung als Frauen verachtend und sexistisch. "Das knallt einen geradezu an", meint Oswald.

Dass Frauen in der Öffentlichkeit angemessen dargestellt werden, ist der Kronacherin ein Anliegen. Auch deshalb engagiert sie sich in der hiesigen Frauenliste. In dem Fall der Radio-Eins-Anzeige wurde für sie die Grenze des guten Geschmacks überschritten. "Das ist eine entwürdigende Darstellung des weiblichen Geschlechts", findet sie. Als selbstbewusste Frau könne man das Bild nicht in Ordnung finden. Zumal, und da setzt ihr Hauptkritikpunkt an, die Werbung keine Verbindung zum beworbenen Produkt erkennen lasse. "Als Dessous-Werbung wäre das vielleicht in Ordnung, aber hier ist es einfach unpassend."

Das letzte aller Werbemittel?

Der Redaktionsleiter des Senders, Thomas Apfel, relativiert die Kritik Oswalds. Das Bild sei "vollkommen harmlos, da es nichts entblößt" und man solle nicht vergessen, dass wir uns im Jahr 2015 befinden. Zumal sei "das Motiv bei uns im Hause von Frauen zur Veröffentlichung ausgewählt worden", so Apfel. "Und die fanden es ästhetisch."

Der Sender habe wissend in Kauf genommen, dass die Werbung nicht jedem gefallen werde - allerdings seien mehr als 80 Prozent seines persönlichen Feedbacks auf die Anzeige, schätzt Apfel, bislang positiv ausgefallen.
Nicht das von Ingrid Oswald. Die Kronacherin hat ihren Ärger in zwei E-Mails - eine an die Redaktion des Radiosenders und eine zweite zusätzlich an die Redaktion und den Verlag einer Kronacher Lokalzeitung, die die Anzeige gedruckt hatte - geäußert (nachzulesen im Netz unter www.radioeins.com). Unter anderem schreibt sie: "Hier soll mit sexistischer Werbung Quote erreicht werden - ,Sex sells'. Peinlich, peinlich - geht es RadioEins tatsächlich so schlecht, dass dieses letzte aller Werbemittel eingesetzt werden muss?"

Beschwerde beim Werberat

Sie verweist in ihrem Schreiben auf eine ähnlich gestaltete Werbeanzeige eines Unternehmens aus Nordrhein-Westfalen. Dafür wurde die Firma vom deutschen Werberat gerügt. Im Gespräch mit unserer Zeitung kündigte Ingrid Oswald an, sie wolle ihrerseits eine Beschwerde beim deutschen Werberat einreichen, wenn nicht die Werbung entfernt werde und der Sender sich entschuldige. Da beides ausblieb, machte die Kronacherin ihre Ankündigung wahr. In einem gesprochenen Kommentar, der auf der Internetseite des Senders nachzuhören ist, thematisiert der Geschäftsführer des Senders, Mischa Salzmann, die Vorwürfe der bekennenden Feministin.

Auffallen war erwünscht

"Wer uns wegen einer Anzeige in die frauenfeindliche Ecke rücken will, kennt uns nicht oder will uns nicht kennen", sagt er in der Aufnahme. In der Redaktion des Senders arbeiteten zu gleichen Teilen Frauen und Männer. Und das bei gleicher Bezahlung und Berechtigung, entgegnet Salzmann zum Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Jedoch solle und müsse Werbung auffallen. Das ist in diesem Fall gelungen.

Auf die Frage, ob sie sich wieder für das aufreizende Motiv entscheiden würden, geben Redaktionsleiter Apfel und Geschäftsführer Salzmann ein klares "Ja". Am kommenden Wochenende soll die Anzeige in der ausverkauften Huk-Coburg Arena gezeigt werden, beim Handballspiel des HSC 2000 Coburg gegen Leipzig. Bislang war sie in den Zeitungen der Region und auf der Internetpräsenz des Senders zu sehen. Laut Apfel wird am Wochenende auch eine Werbung mit einem leicht bekleideten Mann erscheinen.

Reaktionen aus dem Netz

Auf der Facebookseite des Radiosenders wurden Kommentare geäußert. Viele stimmen Ingrid Oswald zu, viele andere halten dagegen und finden das Motiv schön oder zumindest nicht Frauen verachtend. Hier einige Zitate - nur von weiblichen Kommentatoren:

"Also ich, als selbstbewusste, moderne Frau, finde die Werbeanzeige richtig klasse und konnte darüber schmunzeln."

"Mich stört die Werbung nicht, aber besonders geistreich finde ich sie auch nicht."
"Wen stört denn heutzutage noch so was? Aber was weiß denn ich schon, ich hab schließlich nur 'nen Bikini auf meinem Profilbild an ..."

"Wirkt auf mich so: Wenn man nicht mit Qualität werben kann, dann wirbt man halt mit irgendwas, was Aufsehen erregt."

"Der Sinn will sich mir auch nicht recht erschließen, aber jede H&M- oder C&A-Unterwäschewerbung zeigt doch heutzutage mehr ... Ich versteh das Problem nicht."


Deutscher Werberat

Organ Der 1972 vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft als selbstdisziplinäres Organ gegründete deutsche Werberat arbeitet als Konfliktregler zwischen Beschwerdeführern aus der Bevölkerung und werbenden Unternehmen.

Mittel Der Werberat kann in Fällen geschmacklicher Verfehlungen durch Werbende eine öffentliche Rüge aussprechen. Damit verbunden ist der Appell, die Werbemaßnahme nicht mehr zu schalten. Dieser Appell geht nicht mit einer Verpflichtung oder einem Verbot einher.


Kommentar

Wenn Brüste zeigen, dann bitte witzig

Was hat eine Dame im roten Büstenhalter mit einem Radiosender zu tun? Das haben sich wohl viele gefragt, als sie besagte Werbung in ihren Zeitungen sahen. Die Antwort ist: erst mal nichts. Die Zeitungsanzeige besteht aus Bild, Senderlogo, zwei Aufforderungen zum Einschalten. Und das war's.

Allerdings hat der Sender auf seiner Webseite nachgebessert und einen Spruch ins Bild gesetzt: "Mehr muss man nicht anhaben." Einmal um die Ecke gedacht, erschließt sich der Gag vom Büstenhalter-Anhaben zum Radio-Anhaben. Dann wird's doch auch witzig. Aber ja, ohne Spruch ist es ein bisschen platt.

Ob das Bild einer halbnackten Dame mit großen Brüsten allerdings Frauen verachtend ist, darf bezweifelt werden - und liegt mindestens im Auge des Betrachters, wenn nicht fern. Viele, das zeigt sich auf der Senderseite im sozialen Medium Facebook, empfinden das Bild einfach als (un)passend, als (un)schön oder es ist ihnen völlig egal.

Fakt ist, dass die Grenze zur Pornografie nicht überschritten wird. Gefährdung von Kindern oder zart besaiteten Erwachsenen muss angesichts des Bildes nicht befürchtet werden. Und wer sich in diesem harmlosen Rahmen belästigt fühlt, kann ja wegsehen.

Jetzt könnte man noch ganz grundsätzlich fragen: Darf Werbung Gemüter erregen? Darf sie, wie vor unzähligen Gerichten entschieden wurde (siehe viele der Sixt-Werbungen der letzten Jahre). Und darf Werbung Nacktheit zeigen oder - wie in diesem Fall - andeuten? Darf sie auch, wie der geniale Fotograf Helmut Newton schon vor mehr als 30 Jahren zeigte. Aber - und jetzt kommt der Punkt - um gut zu sein, braucht Werbung mehr als einen zusammenhanglosen Hingucker. Einen "Aha"-Effekt. Also: Nacktheit bitte nur noch mit Wortspiel.