Kronacher Dekanin hat auch im Urlaub Berge voller Arbeit

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Dekanin Dorothea Richter Foto: Sonja Adam
Dekanin Dorothea Richter  Foto: Sonja Adam

In den Sommermonaten gibt es keine kirchlichen Feste. Zeit für die evangelischen Pfarrer, sich zu erholen. Wir haben uns mit Dekanin Dorothea Richter unterhalten.

Dekanin Dorothea Richter spricht von ihrem persönlichem Hin- und Hergerissensein zwischen dem Meer und den Bergen voller Arbeit, über Glaube, Trends und Wandel der Kirche.

In den Sommermonaten ist es normalerweise auch kirchlich ruhig. Wie verbringen Sie den August und September - bleibt Zeit für Urlaub - und was ist jetzt zu tun?
Dorothea Richter: Im August hatte ich zwei sehr erholsame Urlaubswochen am Meer, jetzt sind die Berge dran, die auf dem Schreibtisch abgetragen werden müssen. Das erfordert mehr Ausdauer als die Strandwande rungen an der Nordsee.

Kirche heute ist etwas anders als noch vor wenigen Jahren. Wo setzen Sie Akzente, um die Gläubigen nicht zu verlieren?
Die Gesellschaft in Deutschland verändert sich, die europäische Gesetzgebung kennt unsere Art der Volkskirche nicht. Da ist vieles im Fluss.
Was bleibt, ist das Evangelium von der Liebe Gottes. Das möchte ich in der Predigt wie auch im Gespräch weitersagen. Wir können glücklicherweise niemanden zum Glauben zwingen, wohl aber Menschen einladen, sich darauf einzulassen und in der Gemeinschaft der Kirche zu bleiben.

Wie sehen Sie die Ökumene - Gleichmacherei, nötig, geht etwas verloren, wenn sich alle Kirchen annähern oder stärkt die Annäherung alle?
Ökumene im Sinne versöhnter Verschiedenheit halte ich vom Neuen Testament her für sinnvoll und im Gegenüber zu Nicht-Christen für nötig, die konfessionelle Streitigkeiten immer weniger verstehen. Eine "Rückkehrökumene" zur katholischen Kirche würde für mich Berufsverbot bedeuten. Danach sehne ich mich nicht. Im Blick auf das Jubiläumsjahr 2017 wird es spannend, ob es uns Evangelischen gelingt, Luther als Reformator bewusst zu machen, dessen Impulse durchaus auch die katholische Kirche verändert haben.

Und wie sieht die ökumenische Zusammenarbeit in der Praxis aus - funktioniert das überall?
Die ökumenische Zusammenarbeit ist insgesamt sehr erfreulich, sowohl in den Gemeinden als auch im Blick auf Schulgottesdienste oder Notfallseelsorge. Sie ist natürlich abhängig von Personen, wie gut diese miteinander können. Was uns verbindet, ist stärker als das, was uns trennt.

Viele Menschen kehren heute dem Glauben den Rücken zu. Woran, glauben Sie, liegt das?
Individualisierung und Säkularisierung in Mitteleuropa führen dazu, außerdem die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Je mehr unsere Lebensvollzüge vom Geld bestimmt werden, desto lauter wird allerdings der Ruf nach "Werten", und die Sehnsucht nach "Spiritualität" wächst.

Wenn es Skandale gibt - siehe Tebartz - wenden sich auch einige von der evangelischen Kirche ab. Wie erklären Sie sich das?

Die Medienpräsenz der römisch-katholischen Kirche ist stärker, im Guten wie im Bösen. Wir haben keinen Papst als Identifikationsfigur, die jeder aus dem Fernsehen kennt; die evangelischen Bischöfe sind weniger bekannt als die katholischen, unseren bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm einmal ausgenommen.

Was kann man dagegen tun?
Selbstkritisch mit eigenen Problemen und Missständen umgehen, selbstbewusst aus dem Geschenk des Glaubens leben und eine möglichst gute Öffentlichkeitsarbeit machen.

Warum ist Glaube für Sie wertvoll?
Mein Leben ist kein Zufall. Ich bin Gottes geliebtes Geschöpf, dazu beauftragt, anderen ein Segen zu sein. Ich muss nicht perfekt sein, sondern darf Fehler machen und um Vergebung bitten. Durch den Glauben an Jesus erfahre ich Halt in bedrohlichen Situationen. Ich habe Brüder und Schwestern überall auf der Welt.

Wie kamen Sie persönlich auf ihren Beruf und haben sich die Erwartungen erfüllt?
Ich bin Pfarrerstochter, war auf diese Weise Teil eines "Familienbetriebs” und habe in der Gemeinde mitgearbeitet. Mein Vater vermittelte mir den persönlichen Glauben und weckte mein Interesse an der Theologie. Als ich Abitur machte, kannte ich eine einzige Pfarrerin aus Norddeutschland. Erst ab 1975 war es in der bayerischen Landeskirche möglich, Pfarrerin zu werden. Ich bin es nach 33 Berufsjahren immer noch sehr gern.

Viele Menschen besuchen die Gottesdienste nicht mehr. Ist das für Sie ein Ärgernis und wie begegnen Sie dem?
Ich finde es schade, dass unsere Sonntagsgottesdienste im Wesentlichen nur von älteren Menschen besucht werden. Dass diese kommen, ist wichtig, aber mit ihnen zusammen wünsche ich mir mehr Gottesdienstbesucher aus der mittleren und jüngeren Generation. Die Jugendgottesdienste am Sonntagabend werden ganz gut angenommen. Viel liegt an der Musik.

Wie muss Kirche der Zukunft aussehen?
Sie wird in vielfältigen Formen existieren, wie es weltweit schon der Fall ist. Unser Modell der Volkskirche schätze ich sehr, es eröffnet uns weitreichende Möglichkeiten, vor allem zu sozialem Engagement; aber die zahlreichen neu entstehenden freien Gemeinden in den Großstädten zeigen, dass jüngere Menschen mit traditionellen liturgischen Formen kaum mehr zu erreichen sind.

In Kronach entsteht derzeit ein Trimm-Dich-Pfad der Seele für alle, die kirchlich unabhängig sein möchten. Bereicherung oder Konkurrenz?
Die Wege um die Festung gehe ich gern, die Ruhe in der Natur schätze ich sehr, die Überhöhung durch einen Mix von esoterischen Auffassungen brauche ich dafür nicht.

Es geht ja nicht nur um Gottesdienste, sondern die Kirche leistet auch wertvolle kulturelle Aufgaben. Wo setzen Sie als Dekanin Akzente, was ist Ihnen wichtig?
Mir liegt die Verkündigung durch Kirchenmusik am Herzen, die ganz unterschiedliche Menschen anspricht. Ich bin froh, dass wir Kindertagesstätten betreiben können als Orte ganzheitlicher Bildung einschließlich der religiösen Dimension.

Was sind die Probleme, die Sie derzeit aufgreifen?
Das Schicksal der Flüchtlinge beschäftigt mich sehr. Unser Diakonisches Werk setzt sich nach Kräften für die Asylbewerber hier in Kronach ein. Wir werden uns auf der Dekanatssynode im Oktober zusammen mit Mitarbeitern der Diakonie und mit hiesigen Asylbewerbern des Themas annehmen.

Wie sieht es mit der Personalsituation in der evangelischen Kirche aus?
Besser als noch vor einigen Jahren, aber nicht mehr so gut wie in der Zeit meines Studiums, als man vor der "Pfarrerschwemme" meinte warnen zu müssen. Diakonin und Religionspädagogen hier in Kronach zeigen, dass es noch weitere kirchliche Berufe gibt, die für junge Menschen interessant sind und die genügend Nachwuchs haben.

Kronach ist traditionell nach wie vor katholisch. Wie ist das für Sie als Dekanin - wie sind die Veränderungen der letzten Jahre?
Im Landkreis Kronach leben rund 22 000 Evangelische. Sie sind verteilt auf 24 Kirchengemeinden. 17 Pfarrstellen stehen derzeit für sie zur Verfügung, die bis auf Seibelsdorf alle besetzt sind. Von den 17 000 Einwohnern der Stadt Kronach sind 10 000 katholisch, 5000 evangelisch. Der Flüchtlingsstrom nach dem Zweiten Weltkrieg und weitere Zuzüge haben die Zahl der Evangelischen steigen lassen, so dass wir keine kleine Minderheit mehr sind wie vor 150 Jahren.

Die evangelische Kirche wird zunehmend weiblicher - woran liegt das und was bewirkt das?
Die Kirche war schon immer weiblich, was die Ehrenamtlichen betrifft, aber Sie meinen vermutlich das Führungspersonal. Ich freue mich darüber, dass Männer und Frauen heute lernen, gleichberechtigt miteinander umzugehen. Etwas zugespitzt gesagt: Der Gegensatz zum Patriarchat ist nicht der Amazonenstaat, sondern die geschwisterliche Gemeinschaft.

Woher nimmt die evangelische Kirche den Pfarrernachwuchs?
Nicht mehr so sehr aus Pfarrhäusern wie früher; manche kommen durch einen anregenden Religionsunterricht zur Theologie oder durch eine Verlusterfahrung in der Familie wie zum Beispiel durch den Tod eines Geschwisterkindes. Gute Erfahrungen in der Konfirmandenzeit oder in der Jugendarbeit spielen auch oft eine Rolle.

Glauben Frauen anders als Männer?
Darüber gibt es viele Vermutungen. Man müsste es psychologisch untersuchen. Theologisch bin ich davon überzeugt, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihrer sozialen Stellung gleichermaßen zum Glauben berufen sind.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten - welche wären das?
"Wärme und Weite" würde ich gern in meiner Kirche verbinden. Es gibt Gruppen, wo Wärme spürbar ist, aber auch Enge. Es gibt andere, in denen die Weite vorhanden ist, aber die Wärme fehlt.
"Heilen und Teilen" sollen die Kirche prägen und anziehend machen für ihre Umgebung. Dass Menschen heil werden an Leib und Seele, dass sie miteinander teilen, was sie haben - das sind Hoffnungsgeschichten aus dem Evangelium.
"Glaube und Liebe" sollen untrennbar verbunden sein. Glaube ohne Liebe ist Fanatismus, das können wir leider täglich sehen. Wenn wir Jesus Christus, dem Herrn der Kirche folgen, gehören Glaube und Liebe unbedingt zusammen.

Das Interview führte Sonny Adam.