Die Rührmaschine ist so alt wie er, die Arbeitsplatte noch älter: Bernd Böhm arbeitet in seiner Bäckerei in Steinberg noch so wie einst sein Großvater.
Natürlich haben sie es auch bei ihm versucht. Weshalb sollte jemand das Angebot auch ausschlagen? Bei der Zeitersparnis? Vor Ort müssen die Faschingskrapfen nur noch aufgetaut, gefüllt und in Fett ausgebacken werden. Fertig.
Es sei ja nicht zwingend nötig, komplett auf die Fertigware umsteigen; aber in der heißen Phase der Session könne ja so für genug Nachschub gesorgt werden, wenn die eigenen Kapazitäten nicht mehr ausreichen. Keine Chance. Die Vertreter haben sich vergebens auf den Weg hinauf auf den Steinberger Schloßberg gemacht. "Das würde bedeuten, dass ich meinen Kunden deren Fertigware als mein eigenes Erzeugnis ausgeben muss", erinnert sich Bernd Böhm und muss auch Jahre später noch mit dem Kopf schütteln.
Für ihn nicht vorstellbar.
"Gut mitgedacht"
Weil der 57-Jährige aber ein freundlicher Mensch ist, hat er sich zumindest zu einer Geschmacksprobe überreden lassen - die die Gespräche endgültig beendete. Denn Geschmack und Qualität sind für Böhm alles. Deshalb verzichtet er auch auf vorgefertigte Backmischungen. Sei es bei Semmeln, Brot oder eben Krapfen. "Um große Mengen herzustellen, müsste ich Fertigmehle verwenden", erzählt der Bäcker. "Aber dafür habe ich meinen Beruf nicht gelernt." Er stelle lieber weniger her, dann aber in bestmöglicher Qualität. "Wir arbeiten noch wirklich handwerklich wie zu Zeiten meines Großvaters."
2009 übernahm Böhm die elterliche Bäckerei, die sein Großvater August 1925 gründete. Die Wahl auf das kleine Haus gleich gegenüber der St.-Pankratius-Kirche fiel dabei nicht ohne Grund.
"Mein Großvater hat da schon ganz gut mitgedacht. Gleich nebenan waren die Post und der Metzger", erzählt er. Der besondere Clou: Einen Gottesdienst gab es in dem katholischen Ort täglich. Und die frommen Hausfrauen statteten der Bäckerei, die gleichzeitig "Tante-Emma-Laden" war, auf dem Heimweg regelmäßig einen Besuch ab.
Noch heute finden sich in den Regalen links und rechts der Ladentheke noch allerlei andere Lebensmittel. "Früher war das aber viel mehr. Da verkauften wir ja sogar Schulhefte", erinnert sich Böhm, der seine Lehre 1974 aber im Kronacher "Café Thron" begann und neun Jahre später nach der Meisterprüfung in Köln als Konditor nach Steinberg zurückkehrte.
Gefragt sind aber eher seine Fähigkeiten als Bäcker.
Schweißtreibende Stunden
Würde man ein Vorschulkind bitten, einen Bäcker zu malen, sähe der wohl in etwa so aus wie Bernd Böhm. Weißes T-Shirt, weiße Schürze, ein Schnauzbart zieren seine markante Statur. Ungewöhnlich ist hingegen die farblich passende Kopfbedeckung: eine gehäkelte Kappe. "Die hat mir meine Mutter im Urlaub in der Türkei gekauft. Die setze ich in der Backstube eigentlich immer auf. Außer im Sommer, da werden es da drin teilweise an die 50 Grad", erzählt er gut gelaunt.
Auch wenn sein Arbeitstag um drei Uhr nachts begann und schon acht schweißtreibende Stunden hinter ihm liegen, führt der 57-Jährige den Reporter freudig durch seinen Arbeitsplatz.
Links der Steinofen mit vier Etagen aus den 60er Jahren, rechts der Holztisch, der schon seit der Gründung benutzt wird. Auch die anderen Geräte haben schon einige Jahre auf dem Buckel. "Unsere Rührmaschine ist so alt wie ich und diese Brötchenwirkmaschine hier haben wir vor über 40 Jahren gebraucht gekauft. Die funktioniert aber immer noch perfekt", sagt Böhm stolz und zeigt auf einen hüfthohen weißen Metallkasten. "Fortuna" steht in fingergroßen roten Buchstaben darauf.
Es ist der Name einer längst Insolventen Düsseldorfer Brotfabrik - der nicht nur in Böhms Backstube weiterlebt, sondern auch an jedem Spieltag in der 2. Fußball-Bundesliga. Denn ein Pferdefuhrwerk mit dem Schriftzug der Fabrik diente den Gründungsmitgliedern des rheinischen Traditionsvereins Fortuna Düsseldorf 1895 als Inspiration bei der Namenssuche.
Perfekt geformt
Böhm dürfte der fußballhistorische Hintergrund herzlich egal sein. Nicht nur, weil er seit seiner Kindheit Anhänger des 1. FC Köln ist - und Düsseldorf und die Domstadt sich bekanntlich so freundschaftlich gegenüberstehen wie Nürnberg und Fürth. Für ihn zählt nur, dass mit einem kräftigen Zug am orangefarbenen Hebel der Fortuna-Maschine aus einem Batzen Hefeteig nach wie vor verlässlich mehrere perfekt geformte Semmeln werden.
Auf knapp 30 Quadratmeter schätzt er sein Reich, in dem täglich Semmeln, Brote, Kuchen und Gebäck entstehen. Bis in die 80er Jahre stand sogar nur die Hälfte zur Verfügung, ehe die Wand zu einem dahinterliegenden Raum eingerissen wurde. Entstanden hier einst nur zwei Sorten Brot, sei es jetzt das Vielfache.
Mit Gewürzen oder ohne. Mit hohem Vollkornanteil oder geringem.
Rund oder als Kastenform. Wieviele verschiedene Brote er inzwischen herstellt? Böhm kratzt sich am Kinn und schaut an die dunkle Holzdecke: "Das weiß ich gar nicht so genau. Allein bei den Semmeln sind es 14 oder 15 Sorten. Der Kunde will mehr Vielfalt." Der Brotverkauf sei zwar insgesamt zurückgegangen, der Trend gehe aber wieder hin zu mehr Qualität. Ob es nun trotz oder wegen der Discounter ist? Böhm kann auch nur vermuten. Umsatzeinbußen habe seine Bäckerei nicht hinnehmen müssen. Auch nicht, als nur wenige hundert Meter entfernt der deutlich leichter zu erreichende Steinberger Rewe-Markt eröffnete. "Da hatten wir schon etwas Angst." Sie blieb unbegründet.
Undurchsichtiges Kaufverhalten
"Gerade für Brot hat man hier eine gute Stammkundschaft", erzählt Böhm. Auch aus den Nachbargemeinden würden die Kunden kommen.
"Sogar aus Tschirn", fügt seine Mutter Ursula hinzu, die gerade in der ersten Hälfte des Tages noch mit anpackt. Für die 77-Jährige klingelt der Wecker unter der Woche ebenfalls um drei Uhr. Für die Samstagsproduktion, wenn die doppelte Menge gebacken wird, sogar schon am Freitag um 23.30 Uhr. "Das Meiste verkaufen wir morgens. Wir könnten theoretisch auch schon um 16 Uhr schließen. Danach wird kaum noch gekauft", sagt Bernd Böhm. Das Kaufverhalten seiner Kunden will ihm aber auch nach jahrzehntelanger Berufserfahrung nicht einleuchten. "Da steige ich immer noch nicht durch", sagt er. "Gestern hatten wir nach Ladenschluss noch Brot über und heute ist schon um 11 Uhr keins mehr da."
Dieser große Zuspruch sei es jedoch auch, der ihn täglich aufstehen lasse, während sich andere noch von der linken auf die rechte Seite ihres Bettes wälzen. "Inzwischen merke ich, dass ich mir früher doch leichter getan habe.
Aber es freut mich, dass weiterhin so viele Kunden kommen und die Ware loben. Das ist eine Bestätigung des Handwerks." Er selbst arbeitet 15 bis 16 Stunden pro Tag. "Aber das geht vielen Selbstständigen so", vermutet er lapidar. Und welches Brot bevorzugt Böhm? "Ich esse am Liebsten das Bauernbrot. Das mache ich mit vier verschiedenen Sorten Mehl. Die Mischung ist Erfahrungssache."
Wieviele Kundengenerationen zukünftig für die Frühstückssemmeln auf den Schloßberg pilgern können, steht indes noch in den (Zimt)Sternen. "Meine Lebensgefährtin und ich haben keine Kinder. Mein Neffe ist zwar Bäckergeselle und fährt für mich aus, aber noch hat er sich nicht dazu durchringen können, die Bäckerei mal zu übernehmen." Doch noch bleiben ihm einige Jahre Zeit, um Überzeugungsarbeit zu leisten.
Darin, weshalb es sich lohnt, auf Qualität zu achten - und Großbäckerei-Vertretern mit ihren Fertigmischungen freundlich die Tür zu weisen.
Welttag des Brotes
Am 16. Oktober ist der Welttag des Brotes. Dass dieser mit dem Welternährungstag zusammenfällt, ist wohl kein Zufall. Das eine ist eine Kampagne der Bäcker, um ihr Hauptprodukt, dessen Kultur und Vielseitigkeit ins rechte Licht zu rücken. Das andere ist eine Mahnung, das "täglich Brot" wertzuschätzen - weil nach wie vor viele Menschen in der Welt es nicht haben und Hunger leiden.