Ist Teuschnitz eine Stadt am Gehstock?

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Bezeichnend für die Stadt Teuschnitz im nördlichen Landkreis ist, dass es viele alte und wenig junge Einwohner gibt. Die Statistik spricht gegen ein langes Fortbestehen der Stadt. Konzepte wie die Arnika-Akademie lassen allerdings Hoffnung durchscheinen. Foto: Hendrik Steffens
Bezeichnend für die Stadt Teuschnitz im nördlichen Landkreis ist, dass es viele alte und wenig junge Einwohner gibt. Die Statistik spricht gegen ein langes Fortbestehen der Stadt. Konzepte wie die Arnika-Akademie lassen allerdings Hoffnung durchscheinen.  Foto: Hendrik Steffens
Zehn Jahre Unterschied: Eine Gegenüberstellung der Bevölkerungsstruktur von 2004 und 2014.
Zehn Jahre Unterschied: Eine Gegenüberstellung der Bevölkerungsstruktur von 2004 und 2014.
 
Fast ein Dutzend Häuser an der Teuschnitzer Hauptstraße stehen leer. Fotos: Hendrik Steffens
Fast ein Dutzend Häuser an der Teuschnitzer Hauptstraße stehen leer.  Fotos: Hendrik Steffens
 
Die gelbe Blume Arnika soll Teuschnitz voranbringen. Foto: Archiv
Die gelbe Blume Arnika soll Teuschnitz voranbringen.  Foto: Archiv
 

Gemessen an ihrer Bevölkerungszahl und Infrastruktur, hat Teuschnitz die Bezeichnung Stadt kaum mehr verdient. Sie hat ihre großen Arbeitgeber verloren und damit Bewohner. Ein hoffnungsloser Fall ist Teuschnitz trotzdem nicht.

Gäbe es eine Liste der bedrohten Städte im Kreis Kronach, Teuschnitz stünde wahrscheinlich drauf. Das belegen Zahlen: Im laufenden Jahr stehen zwei Geburten 25 Todesfälle gegenüber. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung ausgedünnt und viele Wohnungen stehen leer. Trotzdem steckt Bürgermeisterin Gabriele Weber (CSU) den Kopf nicht in den Sand. Ihre Hoffnungen ruhen vor allem auf Arnika.

"Im Moment würde es einem Wunder gleichen, wenn wir einen großen Betrieb mit ein paar hundert Arbeitsplätzen herlocken könnten", sagt Weber. Doch Teuschnitz braucht Zuwanderung - am besten von jungen Familien - um den Bevölkerungsschwund zu kompensieren. In den vergangenen Jahren schwand die Einwohnerzahl von 2396 auf 2085. Das entspricht 13 Prozent. Gleichzeitig ist die Gruppe der unter 50-Jährigen von 1453 auf 1087 geschrumpft. Das entspricht 25 Prozent.
Größer geworden ist nur die Gruppe der Senioren. Gabriele Weber schluckt, als sie die Zahlen sieht. Sie weiß um die Lage ihrer Stadt, aber wie drastisch die Statistik ausfällt, überrascht sie.

Viel Bildung? Wenig Perspektive!

Bürger im arbeitsfähigen Alter kämen eigentlich nur nach Teuschnitz, wenn sie nahe gelegene Arbeit fänden, meint Weber. Davon gibt es nicht viel. Einzig die größeren Glasfirmen der Region geben noch etwas her - allerdings vor allem für Ungelernte und Arbeiter. "Junge Menschen, die mehr als den Hauptschulabschluss haben, finden ganz schwer eine passende Stelle", sagt Weber. Und für Betriebe ist es nicht reizvoll, sich niederzulassen, und neue Stellen zu schaffen. Die nächste Autobahn ist gut 45 Kilometer in jede Richtung entfernt. Damit scheidet Teuschnitz als lohnender Produktionsstandort aus. 2004 schloss mit der Porzellanfabrik Goebel der letzte große Betrieb in Teuschnitz - und nahm hunderte Arbeitsplätze mit sich.

Seitdem stockt die Gewerbesteuer, die für jede Stadt eine Lebensader der Infrastruktur ist. Für heuer beträgt sie in Teuschnitz rund 150 000 Euro. "Und das ist ein guter Wert", sagt Geschäftsstellenleiter Thomas Weber mit einem wehmütigen Lächeln. Damit kann sich keine Gemeinde finanzieren. Von 2006 bis 2012 unterstützte der Freistaat mit Konsolidierungshilfen, seitdem mit Stabilisierungshilfen. 2,5 Millionen Euro flossen in den vergangenen acht Jahren in die Stadt. "Wenn wir eine Straße bauen, kriegen wir auf den Eigenanteil 90 Prozent Zuschuss", sagt Weber.

Doch dass die Straßen in einem ordentlichen Zustand sind, reicht nicht, um sie zu bevölkern. Ein Spaziergang entlang der Teuschnitzer Hauptstraße zeigt viele leere Fenster, einige mit "Zu verkaufen"-Schildern, und Gaststättenzeichen, unter denen keine Öffnungszeiten mehr stehen.

Stadtumbaumanagerin Bettina Seliger leitet eine Erhebung, bei der die Leerstände im Ort festgestellt werden. "Wir haben gerade begonnen. Für eine Prognose ist es zu früh", sagt die gelernte Architektin. Die Erhebung folgt auf eine vorbereitende Untersuchung, die von 2010 bis 2012 durchgeführt wurde (der FT berichtete). In der wurden zehn leer stehende und neun teilweise unbewohnte Häuser allein an der Hauptstraße bilanziert.

Keine tote Stadt

Die Untersuchung war Voraussetzung, damit Teuschnitz vom Städtebauförderungsprogramm "Kleinere Städte und Gemeinden" bei Baumaßnahmen finanziell unterstützt wird. "In eine tote Gemeinde investiert man nicht", weiß Bürgermeisterin Weber. Doch die Erhebung zeigte Potenziale der Stadt. Allem voran die 60 Hektar große Teuschnitz-Aue, die eine seltene Blumenart beherbergt: die unter Naturschutz stehende Heilpflanze Arnika.

Wohnraum für Touristen

Gesundheit und Natur sind Schlagworte, die die Basis der Zukunft von Teuschnitz bezeichnen sollen. Doch damit der Trumpf Arnika ausgespielt werden kann, braucht es neue Strukturen.

"Wir benötigen Wohnraum und Gastwirtschaften für Touristen", sagt Gabriele Weber. Stadtumbaumanagerin Bettina Seliger soll Bürger beraten, die in ihren Häusern Ferienwohnungen schaffen wollen. Wie Bettina Seliger erklärte, habe sie schon Anfragen von Besitzern leer stehender Immobilien. Die können sich bei ihr Rat holen, wenn es um Finanzierungsmodelle und Fördermöglichkeiten geht.

Teuschnitz wäre ein Anwärter für die Liste bedrohter Städte, wenn es sie gäbe. Aber die Arnikastadt mit ihrer Bürgermeisterin Gabriele Weber ist auch ein Beispiel für Ideenreichtum und Überlebenswillen. Wenn Weber den Geburtenrückgang sieht, schluckt sie. Dann krempelt sie die Ärmel hoch.

Gelbe Blume der Hoffnung

Die Zukunft von Teuschnitz hängt mit der Blume Arnika zusammen. Die gleichnamige Akademie, die im Oktober in den ehemaligen Räumen der Grundschule eingeweiht wurde, soll auf lange Sicht eine kränkelnde Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf wecken.

Eine Schlüsselfigur in der Vermarktung der Akademie ist der Netzwerkmanager und Gartenbautechniker Oliver Plewa. Er will die 2005 mit dem ersten "Arnika-Fest" begonnene Idee zu einem nachhaltigen Erfolg führen. "Die Akademie soll zum einen traditionelles Wissen erhalten, zum andern ein Impulsgeber für Seminartourismus sein", so Plewa. Für 2015 sind rund 40 Veranstaltungen angedacht, die mehrere hundert Touristen locken dürften. Um allerdings "ausreichende wirtschaftliche Impulse" zu setzen, so Plewa, muss das Arnika-Projekt weit über die Nutzung der Blume hinausgehen: "Auch die anderen Heilpflanzen der Region, naturmedizinische Anwendungen und ökotouristische Begleitangebote sind einzuschließen."

Und das Projekt wächst: Für einen Kräutergarten an der Akademie werden noch in diesem Jahr die Erdarbeiten erledigt. Auch will man langfristig ein naturmedizinisches und ein Therapiezentrum ansiedeln und der Schlossgarten soll neu gestaltet werden. "Wenn man das Stadtschild passiert, soll man wissen, dass man in der Arnikastadt ist", sagt Bürgermeisterin Gabriele Weber.

Anni Förtschs Puppenhaus

Auf dem Esstisch steht ein Blumenstrauß, auf der Kommode ein mit Keramik verkleidetes Wählscheiben-Telefon. An den blassrosa Wänden hängt ein golden gerahmter Spiegel und an der Decke ein Kronleuchter: Wie ein Puppenhaus ist die Wohnung der 85-jährigen Reichenbacherin Anni Förtsch eingerichtet. Das große Haus, in dem sie bis vor einem Jahr wohnte, hätte sie allein auf Dauer nicht mehr bewältigt. Jetzt hat sie es leichter - aber ohne die Kühle eines Altenheims.

Als die Kinder und dann die Enkel aus dem Haus waren, entschied Förtsch, dass auch ihre Zeit gekommen sei, das alte Heim zu verlassen. Nicht ihre Autonomie aufzugeben, Sondern etwas praktischer zu leben. "Ich mache alles allein, brauche keine Betreuung", sagt Förtsch. Für ein Altenheim ist sie zu fit. Sie kocht, wäscht, sorgt für Ordnung. Nur nicht mehr auf über 100 Quadratmetern, sondern bloß noch auf knapp 50. "Und wenn ich mal nicht mehr so kann, wie ich will, bekomme ich Hilfe", weiß die 85-Jährige. Anni Förtsch ist Bewohnerin des Projekts "In der Heimat wohnen". Es ermöglicht alternden Teuschnitzern einen autonomen Lebensabend. "Wer Hilfe braucht, weiß, wo er sie findet", sagt Janet Januszewski, Ansprechpartnerin für Bewohner. Das Projekt hat Teuschnitz in Kooperation mit der Bamberger Joseph-Stiftung und der Caritas gestemmt. Es ist derzeit ausgebucht - und damit ein Erfolg.