Landarzt werden ist out. Die 33-jährige Medizinerin Jessica Kohlmann-Löblich stellt sich gegen den Trend. Sie will künftig in ihrer Heimatgemeinde Pressig praktizieren. Und wirkt so einem drohenden Ärztemangel im Kreis Kronach entgegen.
Halbgott in weiß, angesehen und sehr wohlhabend: Das ist ein überholtes Klischee vom Hausarzt. Vor allem im ländlichen Bereich wartet auf Mediziner, die sich niederlassen wollen, viel Arbeit für überschaubares Geld. Wenige wollen das machen. Jessica Kohlmann-Löblich ist so eine Überzeugungstäterin. "Ich weiß, das klingt kitschig, aber ich möchte etwas bewegen", sagt die Assistenzärztin, die in Tettau praktiziert und in Zukunft eine Praxis in Pressig führen möchte. Ganz nah bei ihrer Familie.
Wenn die 33-Jährige Medizinerin mal Kinder hat, dann sollen die im Kreise der Verwandten aufwachsen. In Pressig, "so wie ich", sagt Jessica Kohlmann-Löblich. Die Ärztin zog mit ihren Eltern als Kind in die Frankenwald-Gemeinde. Heute engagiert sie sich als Gemeinderätin (CSU) und Jugendbeauftragte für eine familienfreundliche Zukunft ihres Heimatorts.
Wenn sie sich hier als Medizinerin niederlässt, ist das nur konsequent.
Wenn ständig das Handy klingelt Sie kennt die größeren Städte, hat in Würzburg Medizin studiert und ihre ersten Erfahrungen als angehende Ärztin gemacht. Als Assistenzärztin ging sie für zwei Jahre an das Coburger Klinikum, danach zurück in den Kreis Kronach, nach Tettau. Ein weiteres Ausbildungsjahr absolviert sie dort als Assistenzärztin in einer Allgemeinarztpraxis. Danach will sie mit dem Stockheimer Allgemeinmediziner Christof Daum eine Praxis im geplanten Pressiger Ärztezentrum beziehen.
Als Mediziner in einer kleinen Gemeinde zu arbeiten, habe Vorteile: "Es ist schmeichelhaft, wenn man um Rat gefragt wird", sagt Kohlmann-Löblich.
Aber was, wenn die dritte Nacht in Folge das Handy klingelt und ein Patient versorgt werden will? Für die Assistenzärztin sind die Stundenzeiten noch auf ein festes Maß begrenzt. Aber die junge Ärztin bekommt es bei Kollegen mit: "Man ist immer verfügbar. Das kann anstrengend sein. Emotional wie körperlich." Trotz der Belastung liegen Allgemeinmediziner auf dem letzten Rang im Vergleich der Facharzt-Gehälter. Das stört die junge Ärztin nicht: "Landarzt wird man nicht, weil das besonders lukrativ ist."
Wohl aus diesem Grund kommen in ganz Deutschland wenige Landärzte nach. In Kronach ist es noch so, dass genügend Ärzte für eine flächendeckende Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) ermittelt regelmäßig den Versorgungsstand, zuletzt im September: Im Planungsbereich Kronach Nord praktizieren demnach 15 Hausärzte, was einem Versorgungsgrad von 96,26 Prozent entspricht (100 ist Vollversorgung). 2,5 freie Hausarztsitze meldet die KVB für diesen Bereich - zwei volle und eine Halbtagsstelle. Im Planungsbereich Kronach Süd hat die Vereinigung einen Versorgungsgrad von 112,65 Prozent und 30 Hausärzte ermittelt. Nach den Messungen der KVB liegt der nördliche Landkreis im Regelbereich und der südliche Teil ist mit Hausärzten überversorgt.
Viele Hausärzte sind über 60 Der Kreis Kronach wurde in diesem Jahr in die Bereiche Nord und Süd aufgeteilt.
Damit sollten die Bedarfsplanung erleichtert und neue Niederlassungsmöglichkeiten geschaffen werden (der FT berichtete im September). Die bundesweit einheitlicheVerhältniszahl liegt bei einem Hausarzt je 1671 Einwohner. Kronach hat derzeit knapp 70.000 Einwohner.
Uwe Fleischmann, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Kronach relativiert die Zahlen der KVB. "Ich glaube auch, dass wir noch genug Allgemeinmediziner im Landkreis haben. Aber das kann sich bald ändern", sagt er. Spontan fielen ihm sieben oder acht Ärzte im Kreis Kronach ein, die über 60 sind. Viele von ihnen suchten Nachfolger. Einige seit Jahren.
Der Pressiger Allgemeinarzt Joachim Calles suchte zwei Jahre nach einem Nachfolger. Vor sechs Jahren war das. Interessenten, die seine Praxis in Pressig übernehmen wollten, gab es nicht.
"Ich habe teilweise zwei Wochen am Stück Notarztdienste übernommen, war zu jeder Zeit erreichbar." Für junge Ärzte - teils mit einer frisch gebackenen Familie - sei das wohl keine Option gewesen. Hinzu kämen die finanziellen Risiken, die mit einer Praxisgründung oder -übernahme einhergingen. So etwas hinterlässt Spuren im Ort: Vor zehn Jahren gab es in Pressig drei Allgemeinarztpraxen. Heute nur noch eine.
Mittlerweile wird versucht, dem medizinischen Nachwuchs den Job als Landarzt attraktiv zu machen. Es gibt hohe finanzielle Zuschüsse für Praxisgründungen (bis zu 60.000 Euro) oder -übernahmen und Notdienst-Reformen, die die Belastung auf mehr Schultern verteilen soll. "Junge Ärzte wollen nicht jedes zweite Wochenende Dienst schieben", meint Calles. Er arbeitet mit 66 Jahren weiter in seiner alten Praxis. Die ist jetzt allerdings Zweigstelle eines Kollegen und Calles ist angestellt.
Die neue Generation braucht Zeit Calles glaubt wie Uwe Fleischmann, dass "die Zukunft Probleme bei der Versorgung bereithalten könnte." Bis 2013 war der Pressiger Vorsitzender des ärztlichen Bezirksverbands Oberfranken. "Ich habe schon vor 15 Jahren gewarnt, man solle die Problematik eines möglichen Landärztemangels im Auge behalten", sagt er. Seit etwa fünf Jahren hätten Gesundheitsministerium, Vereinigungen und Krankenkassen das Problem erkannt und versucht, den Beruf mit Reformen attraktiver zu machen. Aber ein angehender Arzt brauche mehr als zehn Jahre, um eine Praxis führen zu können. "Die neue Generation, für die unser Beruf wieder attraktiver scheint, braucht also noch ein paar Jahre." Was ist in der Zwischenzeit?
Eine Sprecherin der KVB bestätigt Calles Sorge.
Eine Versorgungslücke auf dem Land sei in den nächsten Jahren zu erwarten, wenn viele Ärzte in den Ruhestand gehen.
"Nur wenn die Bedrohung der ambulanten Versorgung allen Akteuren im Gesundheitswesen klar ist, können effektive Gegenmaßnahmen ergriffen werden", meint die Sprecherin der KVB.