Heinrich Bätz nimmt Abschied von seinem Vater, den er kaum kannte

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Heinrich Bätz unterschreibt auf der Grabliegeplatte den Brief, den er für seinen Vater verfasst hat. Fotos: Monika Kukowski
Heinrich Bätz unterschreibt auf der Grabliegeplatte den Brief, den er für seinen Vater verfasst hat.  Fotos: Monika Kukowski
Der Soldatenfriedhof bei Saldus Foto: Monika Kukowski
Der Soldatenfriedhof bei Saldus Foto: Monika Kukowski
 
Im Informationsraum des Eingangsgebäudes des Soldatenfriedhofes Foto: Monika Kukowski
Im Informationsraum des Eingangsgebäudes des Soldatenfriedhofes Foto: Monika Kukowski
 

Heinrich Bätz war erst eineinhalb Jahre alt, als sein Vater im Krieg im August 1944 starb. Im Mai dieses Jahres reisten nun drei Generationen der Familie nach Lettland, um das Grab auf dem Soldatenfriedhof bei Saldus zu besuchen. Eine sehr berührende Geschichte.

Otto Bätz Grenadier - geb. 20. März 1906, gestorben 21. August 1944 - das ist alles, was über Otto Bätz auf einer Liegeplatte auf dem Gräberfeld des Soldatenfriedhofes bei Saldus in Lettland geschrieben steht. Ein Gänseblümchen liegt neben seinem Namen. Die siebenjährige Maria Kukowski hat es für ihren toten Uropa gepflückt und dort abgelegt. Heinrich Bätz bückt sich zur Platte und unterschreibt darauf einen Brief. Er hat ihn an seinen Vater Otto Bätz geschrieben, an den er keinerlei Erinnerung hat.

Otto Bätz wurde im Dezember 1943 in den Krieg eingezogen, zurück ließ er seine Ehefrau Anna Bätz und drei Kinder. Heinrich Bätz ist der Jüngste von ihnen. Als sein Vater starb, war er eineinhalb Jahre.
"Solange ich denken kann, war es mein größter Wunsch, einmal das "Grab" meines Vaters zu besuchen", sagt Heinrich Bätz.

Ein Brief vom Kriegskameraden

Als Lettland noch unter sowjetischer Führung war, war das für ihn unmöglich. Danach begab sich seine Tochter Monika mit ihrem Ehemann Robert Kukowski auf Spurensuche. Sie hatten eigentlich nur einen Brief. Er stammt von einem Kriegskameraden des Gefallenen, gerichtet an dessen Ehefrau. Zusammen mit dem Geldbeutel und der Erkennungsplakette des Gefallenen hatte er ihr diesen zugeschickt.

Ein Geldschein mit Blut

Sichtlich bewegt zeigt Heinrich Bätz diesen handgeschriebenen, inzwischen stark vergilbten Brief. Die Schrift ist noch gut lesbar. Darin heißt es, dass sein Vater durch einen Bauchschuss bei schweren Gefechten in der Nähe von Mitau gefallen ist. "Er konnte noch sagen: "Sagt meiner lieben Frau, dass ich sterben muss". Dann ist er gestorben", sagt Heinrich Bätz und ringt mit den Tränen. Dann zeigt er einen Geldschein, der im Geldbeutel seines Vaters war. Am Geldschein befindet sich getrocknetes Blut - das Blut seines Vaters.

Über die Kriegsgräberfürsorge fand die Familie nach jahrelangem Suchen heraus, wo Otto Bätz seine letzte Ruhe gefunden hat. Dennoch dauerte es einige Jahre, bis sie tatsächlich nach Lettland fuhr.

Heuer feierte Heinrich Bätz seinen 70. Geburtstag. "Zu seinem Geburtstag hat mein Mann mit mir die Entscheidung getroffen, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Im Mai flogen wir nach Lettland und erlebten dort Unvergessliches und Unbeschreibliches", erzählt Monika Kukowski. Eigentlich war zunächst geplant, dass die Erwachsenen alleine fliegen, doch die siebenjährige Maria und ihre elfjährige Schwester wollten mitkommen. Sie spürten nach den langen Vorbereitungen, wie "anders" diese Reise sein wird.

Nach der Landung in Riga fuhren sie gemeinsam zum Soldatenfriedhof südlich von Saldus. Es ist die größte deutsche Kriegsgräberstätte in den baltischen Staaten. Neben einem siebeneinhalb Meter hohen Kreuz ist die Liegeplatte von Otto Bätz.

Dem Großvater ganz nah

Vor dieser Platte standen Heinrich Bätz und seine Familie. "Wir heulten Rotz und Wasser. Es gibt Dinge, die kann man nicht beschreiben. Wir waren auf einem riesigen Areal inmitten von Gräbern von mehr als 20 000 Gefallenen. Wie viel Leid! Man kann es nicht fassen", kämpft Monika Kukowski mit den Tränen. Niemals hätte sie vorher gedacht, dass sie die Situation so bewegen würde. Sie seien sich auf einmal bewusst geworden, dass sie ihm körperlich noch nie im Leben so nahe waren wie in diesem Moment.

Heinrich Bätz, seine Ehefrau Mathilde und die vier Kukowskis beteten eine kleine Andacht und lasen einen Brief an den Verstorbenen vor. In einem Schrank in der Gedenkhalle durfte etwas für die Verstorbenen hinterlassen werden - Erinnerungen wie Kerzen, Bilder und Briefe.

Die Familie vermisst ihn sehr

Die Familie hinterließ ein Sterbebildchen und den Brief, den sie alle zuvor auf der Liegeplatte unterschrieben hatten. Darin steht geschrieben, dass sie die Neugier und vor allem die Sehnsucht hierher geführt hatte. "Es heißt immer: Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen. Aber das ist völliger Quatsch. Dein Sohn Heinrich hat dich sein Leben lang vermisst. Und auch wir stellen uns oft vor, wie das Leben wohl mit dir als Vater, Großvater und Urgroßvater verlaufen wäre."

An die letzten Momente mit seinem Vater hat Heinrich Bätz keine Erinnerungen mehr. "Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie sich von meinem Vater bei Kübelberg, auf dem Fußweg Leitschenstein oberhalb von Steinwiesen, auf einer Steinbank verabschiedet hat. Wir drei Kinder - ich selbst im Kinderwagen - waren dabei. Mein Vater hatte ein Schriftstück zuhause vergessen. Mein großer Bruder Eugen musste es ihm noch mit dem Fahrrad hinterherfahren."

Eine Kindheit ohne Vater

Seine Mutter sei mit den drei Kindern und der Landwirtschaft zurückgeblieben. Hilfe vom Staat habe es nicht gegeben. Sie habe ihm oft erzählt, dass er, weil er so klein und fröhlich gewesen sei, ihr sehr über diese schwere Zeit hinweggeholfen habe. "Mein Leben lang klammerte ich mich nur an diese wenigen Geschichten über meinen Vater. Meine Mutter bedrückte der Gedanke, dass wir den Ort, an dem das Schicksal zuschlug, niemals sehen und niemals das Grab mit Blumen schmücken werden", erinnert sich Heinrich Bätz tief gerührt und ergänzt: "Jetzt war ich dort. Was ich am Grab meines Vaters empfand, kann ich nicht in Worte fassen!"

Die Familie kann jedem, der sich in einer ähnlichen Situation befindet, zu einer solchen Reise raten.

Die Familie von Otto Bätz ist der Kriegsgräberfürsorge sehr dankbar. "Sie hat durch ihre Recherchen den Besuch möglich gemacht. Wir haben vor Ort erlebt, welche hervorragende Arbeit die Kriegsgräberfürsorge leistet. Das sollten wir unterstützen", appelliert Heinrich Bätz. Für ihn und seine Familie sei es sehr wichtig, zu wissen, dass die Ruhestätte von Otto Bätz liebevoll umsorgt und gepflegt wird.

"Mahnmal für den Frieden"

Heinrich Bätz ist noch immer sehr bewegt. "Die Reise ist jetzt sechs Monate her. Aber sie beschäftigt und berührt mich noch immer jeden Tag. Ich werde diese Tage in Lettland nie vergessen. Der Besuch auf dem Soldatenfriedhof war mein persönlicher Besuch bei meinen Vater. Saldus ist nicht nur eine Gedenkstätte, sondern ein Mahnmal für den Frieden."

Sammelfriedhof Saldus

Wenige Kilometer südlich der Stadt Saldus hat der Volksbund am 4. September 1999 den größten Sammelfriedhof in den baltischen Ländern eingeweiht. Auf der über sechs Hektar großen Anlage können bis zu 30 000 Tote bestattet werden. Vor allem Gefallene aus den Kämpfen in Kurland (Ende 1944 bis Anfang 1945) erhalten hier ihre endgültige Ruhestätte.