Kleiner Feigling

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Jury-Sitzung Fair ist mehr 2015: Eike Lenz, Sportredaktion
Jury-Sitzung
Theresa Müller

Die weißen Turnschuhe des ehemaligen Fußball-Bezirksspielleiters Christof Hille haben als Wertmaßstab für Fußball-Spielabsagen fast schon Kultstatus erreicht.

Gegen die Mächte der Natur ist der Mensch hilflos. Ja, er wird dabei mitunter gar zum Spielball. Die Frage, die sich uns bei dieser Gelegenheit im- mer wieder stellt, ist: Hätte Gott gewollt, dass der Mensch sich aus einem Flugzeug stürzt, hätte er ihm dann nicht Flügel gegeben? Und wäre es Gott eingefallen, dass der Mensch über meterhohe Wellen reitet, hätte er ihn nicht besser mit Schwimmhäuten ausgestattet? Obwohl der Mensch über all das nicht verfügt, setzt er sich ein ums andere Mal, an einem Fallschirm hängend, dem freien Spiel der Kräfte aus. Und riskiert es immer wieder, mit einem Holzbrett unter den Füßen Poseidon herauszufordern und den Ozean zu durchpflügen.

Im Vergleich dazu nimmt sich der Fußballer eher wie ein Feigling aus. Mit der Natur steht er auf Kriegsfuß. Doch statt es mit ihr aufzunehmen, kapituliert er in den meisten Fällen. Kaum dass seine Spielwiese mal ein paar Tropfen Regen abgekriegt hat, rammt er statt seiner Stollenschuhe in bester pazifistischer Absicht eine Tafel in den Rasen: Platz unbespielbar. Ach Gottchen! Den Mutigen gehört die Welt. In einem westfälischen Kaff mit Namen Lotte ist Dienstagabend das Viertelfinalspiel des DFB-Pokals abgesagt worden.

Ein Schneesturm war zuvor über die Region hinweggefegt, dummerweise wirbelte zum Zeitpunkt der Fernsehübertragung kein einziges Flöckchen mehr vom Himmel. Doch die Kameras fingen wichtige Menschen ein, die immer wieder über den Platz tigerten und ihre Absätze in den Rasen hieben – zum Beweis, dass hier nichts mehr geht. „Zu gefährlich für die Gesundheit der Mitwirkenden“, hörte man Dr. Felix Brych später im Interview sagen. Kein Allgemeinarzt, sondern ein promovierter Jurist und Schiedsrichter, der eine weitreichende Entscheidung traf: Die vielen Tausend Besucher in der Arena mussten alle wieder heim – und dürfen bei Interesse noch einmal kommen, wenn die Begegnung am 14. März nachgeholt wird. In Abtswind waren es nicht ganz so viele am Samstag. Auch wenn in dieser Zeitung ausführlich für die Landesliga-Partie des TSV geworben wurde, hatten die meisten offenbar rechtzeitig mitbekommen, dass das Spiel ausfallen würde. Freitagabend hatte der Verein eine entsprechende Mitteilung veröffentlicht – leider zu spät für die Redaktion, um noch reagieren zu können.

Doch um allen Spekulationen vorzubeugen, hat der Abtswinder Pressesprecher Michael Kämmerer, ein PR-Profi (geschult in dieser Redaktion!), Vereinsmanager Christoph Mix zitiert: „Der Platz ist nicht bespielbar, ohne Folgeschäden zu verursachen.“ Und wenn es noch Zweifel gab, so versuchte Kämmerer sie mit dem Satz zu zerstreuen, dass die Fußballspiele zu dieser Jahreszeit immer wieder ein Opfer der Wetterkapriolen seien. Erinnert sei an das Jahr 2008, als sich hierzulande eine gewisse Emma austobte – ein Sturmtief, das Dächer abdeckte, Bäume ausriss und sich auch sonst wie die Axt im Wald aufführte. Damals kamen die Abtswinder um eine Spielabsage umhin, diese Entscheidung nahm ihnen der Gegner ab. Beim SV Erlenbach hielt man die Reise ins gut 110 Kilometer entfernte Kräuterdorf für zu riskant. Lebensgefahr, hieß es. Das Sportgericht sah das anders – und schob die Punkte dem TSV Abtswind zu. Auch andere Teams hätten sich an diesem Tag auf den Weg gemacht, stellte die Kammer fest. Dass da nichts passiert sei, so entgegneten die Erlenbacher, sollte die Herren des Verbands dazu veranlassen, „in Münsterschwarzach ein paar Kerzen zu stiften“.

Dass sie das taten, ist unwahrscheinlich. Der Fußballbezirk war damals noch von Christof Hille regiert – einem Mann, der die Angewohnheit besaß, bei gewissen Zweifeln an einer Absage mit einem Paar weißer Schuhe den Platz abzuschreiten. Blieben seine Schuhe sauber, hatte der Verein ein Problem. Er war einer, der die harte Welle ritt. Der echte Kerle sehen wollte. Lange her, die Zeit.