Der Hamburg-Hype um Hollerbach

2 Min

Wir leben in einer Welt in der ein Ereignis sofort durch das nächste übertroffen wird. Die Präsentation des neuen HSV-Trainers ist dafür nur ein Beispiel.

Der Hamburger SV ist nicht nur gemessen am eigenen Selbstverständnis ein besonderer Klub. Als einziges Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga ist er noch nie abgestiegen. So etwas elektrisiert die Leute, mehr noch scheint es die Medien zu bewegen, die in der zum Dauerzustand gewordenen Krise des Klubs nicht müde werden, diese Besonderheit zu betonen.

Man hat das Gefühl, wenn der Abstieg doch eines Tages wie ein Naturereignis über die Hansestadt kommen sollte, dann sei es geschehen um den stolzen Verein. Es klingt, als würde man über einen Menschen sagen, er sei noch nie gestorben, und wenn es doch mal passiert, . . . nun ja.

Als „Dino der Liga“ wird der HSV gerne bezeichnet, was ein etwas schiefes Bild ist, denn die Dinosaurier sind seit etwa 65 Millionen Jahren ausgestorben – andererseits war auch ihr Niedergang Folge einer Naturkatastrophe, unvermeidbar also, als ein Meteorit auf der Erde einschlug.

In Hamburg haben sie ihr Schicksal nun in die Hände des Mannes gelegt, dem sie allem Anschein nach zutrauen, es selbst mit einem Meteoriten aufnehmen zu können. Glaubt man den Experten, dann steht Bernd Hollerbach bei seiner Mission kaum mehr zur Verfügung als eine Axt.

Damit hat er schon als Spieler eifrig geholzt. Legendär die Wetten der Fans vor jedem Spiel im Volksparkstadion, wieviel Minuten wohl vergehen, bis der Würzburger sich die Gelbe Karte abholt; oft genug lagen die Werte im einstelligen Minutenbereich. Hollerbach-Lotto nannten sie es. Disziplin und Leidenschaft waren Hollerbachs Tugenden als Spieler – darauf legt er auch als Trainer Wert.

Man hat dem Mann, zu dessen Vita es zwingend zu gehören scheint, „Metzgerssohn aus Rimpar“ zu sein, nach seinem selbst gewählten Ausstieg letzten Sommer bei den Würzburger Kickers reichlich Häme hinterhergetragen; etwas von diesen Rufen hallt bis zum HSV. Ich will das nicht kommentieren. Meine persönlichen Erfahrungen mit Bernd Hollerbach beschränken sich auf ein paar flüchtige Begegnungen Anfang der 1990er Jahre bei der Bundeswehr in Hammelburg.

Schon damals war Hollerbach ein kleiner Star. Nun, bei seiner Ankunft in Hamburg, wurde er beinahe messianisch empfangen. Die „Hamburger Morgenpost“ räumte pflichtschuldigst die Titelseite frei, und die „Bild“ hängte die Geschichte höher als die Romanze des liebestollen Ex-Kanzlers Schröder. Ich frage mich, ob es am Wochenende nicht ein Votum der SPD für Koalitionsgespräche gab.

Aber meine Haltung in dieser Sache ist wohl so bieder wie der Ort dieses SPD-Parteitages: Bonn. Das war einmal die Hauptstadt dieser Republik, aber der Bär steppt heute woanders. In Berlin oder in München, manchmal auch in Köln oder in Hamburg.

Auch diese Redaktion schaltete zum geplanten Auftritt Hollerbachs einen Liveticker im Internet, Journalismus in Echtzeit, Leser erwarten das heute und danken es mit Klickzahlen. Um 13.10 Uhr twittert ein Nutzer: „Hier kommt der neue HSV-Trainer!!!“ Auf einem Bild ist, noch in einiger Ferne, ein Auto zu sehen. Man kann nicht erkennen, wer am Lenkrad sitzt. Um 16.14 Uhr schreibt ein Kollege: „Es ist nasskalt. Zu sehen ist von Bernd Hollerbachs erstem Training nicht allzu viel.“

Das alles erinnerte an die Jamaika-Sondierungen in Berlin, an die Bilder von Merkel, Lindner und Seehofer auf dem Balkon. Man sah nicht viel. Und doch blieb man auf Sendung.

Ein Tag lang schien Hamburg in heller Aufregung, dann zog die Karawane weiter, zur nächsten Party, zum nächsten Brennpunkt. Die Gesellschaft feiert sich, ohne zu wissen, wofür. Sie hyperventiliert, theatralisiert: ob bei Trump oder dem neuen Trainer.

Sie lebt in einer Welt, in der ein Hype sofort durch den nächsten übertroffen und abgelöst wird. Einer Welt, in der immer etwas wartet, das scheinbar noch größer, noch exklusiver und noch begehrenswerter ist. Sie lebt nur noch für den Augenblick, sie könnte ja jederzeit etwas Besseres verpassen. Heute war es Hollerbach. Und morgen?

Vorschaubild: © Thomas Obermeier