„Aus dem „Pestizid-Atlas“: 1995 wurden in Deutschland 220 verschiedene Pestizidwirkstoffe verkauft. Etwa die Hälfte davon hatte bis 2019 bereits die Zulassung verloren. Trotzdem befanden sich 2019 wieder 251 Wirkstoffe auf dem Markt. Das bestärkt zivilgesellschaftliche Organisationen in der Annahme, dass die Reduzierung der Abhängigkeit vom chemischen Pflanzenschutz – so wie es von der europäischen Pestizidgesetzgebung gefordert wird – bislang nicht erfolgt.
Bis ins Jahr 2030 sollen 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel in der deutschen Landwirtschaft ausgebracht werden. Ein realistisches Ziel?Kraus: Das ist so, als wenn die Regierung heute ankündigt, dass im Jahr 2030 nur noch Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. So ein Ziel ist erstrebenswert, aber keiner kann glaubhaft sagen, dass es auch erreicht wird. Wir werden sicher eine Reduzierung hinbekommen, aber um wie viel Prozent kann ich nicht sagen.
Was müsste passieren, damit die Zahl beträchtlich sinkt?Kraus: Wir bräuchten resistentere Sorten gegen Pilzbefall und andere Krankheitserreger und eine kostengünstige Technik, die beispielsweise die Bekämpfung der Beikräuter übernimmt. Im Moment ist die mechanische Beikrautbekämpfung sehr aufwändig, die dafür nötigen Gerätschaften entsprechend teuer.
Das heißt?Kraus: Wir brauchen weiterhin eine Förderung für die Anschaffung dieser Geräte, aber vor allem muss es bei der Forschung Fortschritte geben.
In welchen Bereichen?Kraus: Bei der Züchtung von neuen Sorten genauso wie beim gezielten, sprich möglichst umweltverträglichen Einsatz von Wirkstoffen und bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe.
Und da gibt es Hoffnung?Kraus: Na ja, es wird beispielsweise an verschiedenen Sorten im Getreide- und Futterbau geforscht. Das Problem ist, dass es nur noch eine Handvoll Konzerne gibt, die weltweit tätig sind und an Forschungsprojekten interessiert sind, die tatsächlich eine große Wirkung entfalten könnten. Diese Konzerne konzentrieren sich auf bestimmte Fruchtarten wie Weizen, Mais oder Raps. Die Züchtung von resistenten Sonnenblumen oder Zuckerrüben lohnt sich für diese Konzerne eher weniger.
Aus dem Pestizid-Atlas: Im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2020 waren Herbizide, die als Mittel gegen Beikräuter verwendet werden, mit durchschnittlich 49 Prozent die größte Gruppe der eingesetzten Pestizide, gefolgt von Fungiziden gegen Pilze mit 37 Prozent. Insektizide – Mittel gegen schädliche Insekten – machen knapp drei Prozent aus und Wachtumsregulatoren, die beispielsweise das Längenwachstum von Getreidehalmen verkürzen, neun Prozent. Sonstige Mittel, darunter unter anderem solche gegen Nager und Schnecken, machen weniger als zwei Prozent aus.
Warum tut sich die Landwirtschaft so schwer mit dem Umwandlungsprozess?Kraus: Tut sie das? In Unterfranken bewirtschaften mittlerweile rund 1000 Betriebe ihre Flächen ökologisch. Diese Zahl steigt stetig, aber es wird nicht jeder auf biologischen Anbau umstellen können. Bayerns Bauern erbringen auf rund 40 Prozent ihrer Flächen bereits jetzt freiwillig spezielle, ökologische Maßnahmen. Beispielsweise im Kulturlandschaftsprogramm sowie im Rahmen des bayerischen Vertragsnaturschutz. Man kann wirklich nicht behaupten, dass wir nicht tätig geworden sind.
Apfel vor Wein
Um die Intensität des Pestizideinsatzes darzustellen, verwenden Behörden den Behandlungsindex (BI). Dieser Wert beschreibt, wie oft eine Anbaukultur auf der ganzen Fläche mit der maximal erlaubten Aufwandsmenge eines Pestizidprodukts behandelt wurde.
Demnach ist die pestizidintensivste Anbaukultur in Deutschland der Apfelanbau mit einem Behandlungsindex im Jahr 2020 von 28,2 – gefolgt von Wein mit 17,1 und Hopfen mit 13,7. quelle: „Pestizid-Atlas“