So geht es einer fränkischen Familie mit acht Kindern in der Corona-Krise

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In der Corona-Krise ist der Alltag der zehnköpfigen Familie Dehn aus Rehweiler nicht ganz einfach. Vormittags werden die Arbeiten für die Schule erledigt, dann steht das gemeinsame Mittagessen für ...
Daniela Röllinger
Die Großfamilie ist auch in Corona-Zeiten gut gerüstet: An die Masken haben sich Cincia, Lucian, Jelina, Finnian, Malena und Lennian schon gewöhnt und setzen sie auch fürs Bild gerne auf ...
Daniela Röllinger

Sabine und Oliver Dehn aus dem Geiselwinder Ortsteil Rehweiler im Landkreis Kitzingen haben acht Kinder. Sieben von ihnen gehen noch zur Schule. Doch das ist nur eine der Herausforderungen, die zu Corona-Zeiten zu bewältigen sind.

Acht Kinder zwischen acht und 19 Jahren. Sieben davon gehen noch zur Schule, einer macht eine Ausbildung. Wie funktioniert das Leben einer Großfamilie in Zeiten von Corona und Home-Schooling? „Es ist eine Herausforderung“, sagt Sabine Dehn aus Rehweiler in Unterfranken.

Jelina ist 14 und besucht die achte Klasse. Bock auf Schule? Hat sie eher wenig. Sie zu motivieren, ist schwierig, schon zu normalen Zeiten und noch mehr, wenn Schule daheim stattfinden soll. Die Pubertät hat voll zugeschlagen. „Die Mutter zwingt mich zu lernen“, sagt sie und blickt leidend. Alle anderen lachen: „Weil du sonst nichts machst.“

Acht Kinder werden zur Herausforderung

Alle anderen, das sind Malena (19 Jahre), Damian (18), Cincia (13), Lucian (12), Brian (11), Lennian (9) und Finnian (8), die Geschwister von Jelina. Alle wohnen unter einem Dach. Alle, bis auf Damian, der eine Ausbildung macht, gehen noch zur Schule. Damit hat das Haus von Familie Dehn im beschaulichen Geiselwinder Ortsteil Rehweiler seit Wochen etwas von einer Dorfschule. Seit die Schulen in Bayern am 16. März geschlossen wurden, lernen jeweils ein Zweit-, Viert-, Fünft-, Sechst-, Siebt- und Achtklässler sowie eine Fach-Abiturientin unter einem Dach.

Die Älteste, Malena, arbeitet dabei natürlich selbstständig. Als die Schule für die Abschlussklassen noch geschlossen war, saß sie täglich von 8 bis 16 Uhr in ihrem Zimmer, um zu lernen. „Das hat ganz gut geklappt“, sagt sie rückblickend. Seit zwei Wochen geht sie im Gegensatz zu ihren Geschwistern wieder in die Schule. Die anderen Familienmitglieder hätten schon Rücksicht darauf genommen, dass sie sich auf die Prüfungen vorbereiten muss. „Und wenn es mal zu laut war, hab ich sie halt zusammengeschissen.“

Schule im "Schichtbetrieb"

Die Jüngeren arbeiten unter der Aufsicht der Mutter in Schichten. „Ich fang früh um halb neun mit den Kleinen an“, erklärt Sabine Dehn die Struktur des Home-Schoolings. „Danach kommen die nächsten.“ Lucian, der Sechstklässler, und Cincia, die Siebklässlerin, erledigen ihre Arbeiten sehr zielstrebig, lobt die Mutter. Die anderen allerdings brauchen mehr Anleitung. Und Jelina ab und zu doch eher deutlichere Aufforderungen, ihre Sachen zu erledigen. „Ihr habt halt eine blöde Mutter“, sagt Sabine Dehn in Richtung der genervten 14-Jährigen. „Ich könnte auch sagen, es ist mir wurscht.“

Ist es aber nicht, und daher gilt es, die „Herausforderung“ zu meistern. Unterschiedliche Schularten, unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Programme, unterschiedliche Dateien für sieben Schulkinder – und das bei nur einem Computer im Haus. „Würde mir nicht unser Nachbar helfen, der sich mit IT auskennt, wären wir aufgeschmissen“, sagt Sabine Dehn. „Der hat uns schon öfter was eingerichtet, was wir für die Schule brauchen.“ Am Nachmittag werden die geforderten Aufgaben an die Lehrer zurückgesendet, die Mutter fotografiert sie ab und schickt sie per WhatsApp. Größere Dateien zu übermitteln sei auf dem Land schwierig, die Videos mit der Buchvorstellung und dem Gedichtvortrag zum Beispiel. Gleichzeitig viele Daten abzurufen, klappt auch nicht immer. „Wenn einer ein Lernvideo anschauen soll, wird es für die anderen schon schwierig.“ Jetzt werde deutlich, dass man „hintendran“ sei beim Thema Digitalisierung, findet Vater Oliver Dehn.

Jeder Schultag daheim will vorbereitet sein. Nachts druckt die Mutter die neuen Arbeitsblätter aus, damit am nächsten Tag jeder wieder loslegen kann. Für jedes der Kinder liegt ein Stapel auf dem Bügelbrett im Esszimmer, neben dem sich die Bügelwäsche stapelt – bei einem Zehn-Personen-Haushalt ist der nicht klein. Doch in Zeiten von Home-Schooling bleibt Sabine Dehn nichts anderes übrig, als bei der Hausarbeit Abstriche zu machen. „Die bleibt fast auf der Strecke.“ Normalerweise arbeitet sie zudem zweimal die Woche. Daran ist momentan nicht zu denken, selbst wenn die Kinder daheim mit anpacken.

Es wird mehr gemeinsam gemacht

„Ich backe jetzt öfter Kuchen“, sagt Jelina. „Wir kochen gemeinsam. Das machen wir sonst nicht“, fügt Mutter Sabine an. Weil alle gleichzeitig daheim sind, gibt es mittags warmes Essen und nicht, wie sonst, am Abend, wenn der Vater von der Arbeit kommt. Auch sonst hat sich manches geändert. Damian, der eine Ausbildung zum Fachmann für Systemgastronomie absolviert, spielt abends öfter als sonst mit seinen kleinen Brüdern Fußball. Auf einer Wiese allerdings, den Sportplatz darf man ja nicht nutzen. Die Kleineren haben mit dem Schrittzähler die Gegend erkundet. „Bis zur Quelle sind es 2000 Schritte“, erzählt Lennian, der die vierte Klasse besucht. Es ist eben Einfallsreichtum gefragt, um sich die Zeit zu vertreiben. Durch Corona haben die Kinder Spiele neu entdeckt, stellen die Eltern fest. Jetzt sitzen sie öfter bei Monopoly zusammen oder spielen Karten.

Denn trotz der großen Familie ist es durch Corona schnell langweilig geworden. Freunde besuchen, mit anderen abhängen, am Wochenende mit der Fußballmannschaft kicken, alles das fehlt. „Ohne Fußball ist es schlimm“, findet der zwölfjährige Lucian, der sonst mehrfach in der Woche Training hat, in der U13 spielt und manchmal auch in der U15 aushilft. Durch den fehlenden Sport – die anderen Kinder gehen anderen Sportarten nach – „fehlt auch die Möglichkeit, Energie draußen auszuleben“, merkt Sabine Dehn. Wenig verwunderlich also, dass es im Haus dann doch eher laut zugeht.

Selbst die Schule wird vermisst. Die Zeiten, in der es cool war, dort nicht hingehen zu müssen, waren schon nach zwei Wochen vorbei, hat Oliver Dehn festgestellt. Sogar Jelina sagt: „Ich wünsche mir, dass die Schule bald wieder angeht.“ Die restliche Familie quittiert die Aussage der 14-Jährigen mit überraschten Blicken. „Ich vermisse meine Freunde“, fügt sie an. Da geht es ihr wie allen anderen.

Wie ist die Stimmung zuhause?

Wie ist die Stimmung, wenn so viele Personen in einem Haus aufeinander hocken? „Kommt drauf an“, sagt Jelina. „Manchmal ist es schon anstrengend, wenn alle schlecht drauf sind. Aber manchmal verstehen wir uns auch gut.“ Sie geht ab und zu mit ihrer Freundin spazieren. „Wir schauen uns den Sonnenuntergang an.“ Hätte man ihr das vor Corona vorgeschlagen, sie hätte genervt mit den Augen gerollt. „So was habe ich früher nicht gemacht.“ Der Spaziergang erfolgt auf Abstand. „Wir dürfen uns ja nicht umarmen.“ Im sonst eher trotzigen Blick taucht eine Traurigkeit auf, die Bände spricht.

So wenig Kontakte nach außen wie möglich, das ist wichtig für Familie Dehn. „Es darf keiner herkommen und keiner jemanden anderen besuchen“, da ist die Mutter streng. Verstehen können das alle, denn der elfjährige Brian ist lungenkrank, hat schweres Asthma. „Er ist ein Hochrisikopatient“, das hat Sabine Dehn immer im Kopf. Deshalb wird Abstand gehalten. An Ostern haben die Paten lediglich die Osternester ans Haus gebracht und von der Straße aus gewunken, es wurde nur aus der Entfernung geplaudert.

Hamster-Vorwurf und böse Blicke

Corona hat nicht nur die Schule und das Freizeitverhalten verändert, sondern auch das Einkaufen. Manch einer hat anfangs gehamstert, also besonders viel eingekauft. Leere Regale waren die Folge, und Verbote, zu viel auf einmal zu kaufen. Doch wer den Wochen-Einkauf für eine zehnköpfige Familie erledigt, muss zwangsläufig viel besorgen. „Unser Einkaufswagen ist immer soooo...“, sagt Sabine Dehn und malt mit der Hand einen Bogen in die Luft – mehr als gut gefüllt also. „Wenn man jetzt vier Päckchen Nudeln oder drei Kilo Mehl kauft, wird man manchmal schon von anderen Kunden angemault“, musste Sabine Dehn feststellen. „Aber wir brauchen das halt.“ Vor allem ältere Leute seien teils sehr unhöflich, werfen ihr vor, wie würde hamstern.

Im Laufe der Unterhaltung ist zu spüren, dass es viele kleine und große Punkte sind, die das Leben einer Großfamilie zu Corona-Zeiten erschweren. Und es wird deutlich, wie sehr die Last der Mütter in dieser Krise unterschätzt wird, in großen wie in kleinen Familien. „Ich bin immer die Blöde, die sagt, du musst dies, du musst das...“, sagt Sabine Dehn. Die Situation hinterlässt auch bei ihr Spuren, auch wenn sie das nur selten zugibt. Und so geht ein Satz von ihr, mitten im Erzählen über Kinder, Arbeit, Schule, Haushalt, Einkaufen, über die ganze „Herausforderung Corona“ fast unter. „Manchmal“, sagt sie, „sitze ich abends da und heule.“