"Es war die Hölle": Omikron zwingt unterfränkische Pflegekräfte zu Notlösungen

Das Gröbste ist geschafft, die schlimmste Zeit überstanden. Jetzt gilt es, Strukturen zu schaffen, damit sich so eine Situation nicht wiederholt. „Es war die Hölle“, sagt Helmut Witt. Der Leiter des Hauses der Pflege in Sickershausen ist an und für sich ein rationaler Mensch. Die letzten Wochen haben allerdings auch ihm zugesetzt. Reihenweise sind die Mitarbeiter ausgefallen, Omikron hatte seine Spuren hinterlassen.
Ein Bereich musste komplett in eine Isolierstation umgebaut werden, etwa die Hälfte der Beschäftigten hat sich angesteckt. „Zum Glück sind die gesunden Kollegen cool geblieben und wir konnten diese Phase überstehen“, berichtet er. Aber natürlich haben sich jede Menge Überstunden aufgebaut – und die Frage steht im Raum, wann sie abgebaut werden können. „Die Personaldecke ist sehr dünn.“
Omikron bringt Caritas an personelle Grenzen
Georg Sperrle geht es nicht anders. Der Geschäftsführer der Caritas-Einrichtungen GmbH berichtet von mehreren Einrichtungen, in denen Omikron gewütet hat. „Von heute auf morgen sind zehn bis 20 Mitarbeiter ausgefallen“, erzählt er. „Das kannst du kaum kompensieren.“ Zeitweise griff die Caritas über Zeitarbeitsfirmen auf externe Hilfe zurück, Sperrle hat auf dem Höhepunkt der Welle sogar überlegt, Angehörige anzurufen und um Hilfe zu bitten. „So eine schwierige Situation haben wir noch nie erlebt.“
Das Wichtigste: Fast alle Mitarbeiter und auch die Bewohner haben die Omikron-Welle gut überstanden, nur einer musste in die Klinik eingeliefert werden. Das Boostern hat Wirkung gezeigt. Mittlerweile sind auch rund 95 Prozent der Beschäftigten geimpft. Die 60 bis 70 ungeimpften Mitarbeiter möchte Sperrle keinesfalls verlieren. Die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht könnte aber genau dazu führen. „Das würde uns auf jeden Fall weh tun.“
Carsten Bräumer hat Anfang März die Geschäfte des Diakonischen Werkes in Schweinfurt von Jochen Keßler-Rosa übernommen. „Die Belastung der Mitarbeiter ist im Moment extrem“, weiß er. Dennoch: Für die Bewohner konnten auch in den schwierigsten Momenten alle Leistungen erbracht werden. „Aber wir sind personell überall auf Kante genäht.“ Zeitweise haben Führungskräfte im Pflegebereich ausgeholfen, um die Lücken zu füllen. „Zum Glück haben wir eine Menge intrinsisch motivierter Mitarbeiter“, sagt Bräumer. Auf Dauer müsse sich die Personalsituation aber grundlegend verändern.
Bestseller: Corona-Selbsttests bei Amazon ansehenDie Diakonie hat deshalb schon seit längerem das Projekt „Personalgewinnung“ aufgelegt. Mitarbeiter werden darin beispielsweise aufgerufen, neue Mitarbeiter zu werben – und erhalten im Erfolgsfall drei Urlaubstage. „Wir wollen unsere Attraktivität als Arbeitgeber ganz grundsätzlich weiter steigern“, nennt Bräumer das übergreifende Ziel. Im Kern gehe es um die Atmosphäre am Arbeitsplatz, um die Verlässlichkeit der Dienstpläne. „Das Finanzielle ist für die meisten Mitarbeiter gar nicht das Entscheidende“, sagt er.
Mitarbeiter verzichten wegen Omikron auf freie Tage
Georg Sperrle sieht das ähnlich. Die Mitarbeiter würden sich vor allem eines wünschen: Mehr Zeit für die Pflege. Und die Gewissheit, dass ein freies Wochenende nicht kurzfristig gestrichen wird, weil wieder ein Notfall eingetreten ist. Gerade während der Omikron-Welle haben die Mitarbeiter auf freie Tage, Wochenenden und Urlaub verzichtet, sind eingesprungen, wenn es in anderen Einrichtungen zu Engpässen kam. „Das Image des Berufes muss sich verändern“, wünscht sich Sperrle und sieht die Politik in der Pflicht.
Schon jetzt gebe es rund 3,5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, die Zahl wird in den kommenden Jahren zunehmen. „Bis ins Jahr 2030 werden nach Schätzungen der Branche rund 100.000 Pflegekräfte fehlen. Schon jetzt könnten etliche Pflegeplätze in Stadt und Landkreis Würzburg nicht belegt werden, weil es an Fachkräften mangelt.
OP-Masken bei Amazon ansehenNeben der Steigerung der Arbeitsplatz-Attraktivität arbeitet die Caritas in Zusammenarbeit mit Kolping-International daran, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Aus den Philippinen und dem Kosovo sind bereits Pflegekräfte nach Mainfranken gekommen, ab April fangen elf Mexikaner in den hiesigen Einrichtungen der Caritas an – auch in Kitzingen. „Das sind ausgebildete Fachkräfte“, informiert Sperrle. „Aber natürlich müssen sie erst einmal die Sprache lernen und ins deutsche Arbeitsleben integriert werden.“ Viel Arbeit, die auf die Kollegen vor Ort zukommt.
Arbeitskräfte aus Indien arbeiten im Kreis Kitzingen
Helmut Witt hat sehr gute Erfahrungen mit seinen drei Arbeitskräften gemacht, die im letzten Jahr aus Indien nach Sickershausen kamen. Die Anerkennung sei schnell erfolgt, der Familiennachzug sei möglich. „Sie wollen langfristig bleiben“, freut er sich. Die Sicherheit und das soziale System in Deutschland seien für diese Kräfte attraktiv und ausschlaggebend für den Schritt gewesen. Dennoch müsse gleichzeitig an der Gewinnung neuer Kräfte im Inland gearbeitet werden. „Uns fehlt es leider auch an Auszubildenden“, bedauert Helmut Witt. Er weiß: Es gibt noch sehr viel zu tun, damit sich die dramatische Lage der letzten Wochen nicht wiederholt.