Den Betrieben gehen die Azubis aus. Ein Kitzinger Friseur berichtet.
Ein Blick in die Jobbörse der Arbeitsagentur beweist es: In einem Umkreis von 20 Kilometern um Kitzingen finden sich auch jetzt, Mitte Oktober, noch knapp 180 freie Ausbildungsstellen. Und das, obwohl das neue Ausbildungsjahr schon zum September begonnen hat. Mechatroniker, Zahntechniker, Bäcker, Verkäufer - in vielen Bereichen gibt es noch offene Stellen. Auch Friseure werden gesucht.
„Die Politik hat über Jahre die Menschen aus dem Handwerk getrieben.“
Thomas Walter Friseur
„Früher hatten wir viele Bewerbungen“, sagt Thomas Walter, der in Kitzingen einen Friseursalon betreibt. Derzeit wollen immer weniger junge Leute den Beruf ergreifen. „Die Auswahl, die wir noch vor zehn Jahren hatten, die gibt es heute nicht mehr.“ Die Zahlen bestätigen das: Ende Juli gab es laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) noch über 4000 unbesetzte Plätze bei den Friseuren in ganz Deutschland. Abschließende Zahlen sind erst in einigen Wochen zu erwarten, doch da es im Juli laut DIHK noch etwa 24 000 Ausbildungsangebote mehr als suchende Jugendliche gab, muss man kein Prophet sein, um zu erahnen: Auch dieses Jahr werden am Ende nicht alle offenen Stellen besetzt werden können.
Für Thomas Walter ist das ein drängendes Problem. „Ich glaube, wir haben schon jetzt zu wenige Friseure“, sagt der 46-Jährige. Die Gründe sind seiner Meinung nach vielschichtig. Die schwachen Geburtengänge sind sicher das Hauptproblem der Ausbildungsbetriebe. Es gibt schlicht zu wenige Jugendliche für zu viele Stellen. Der Mangel an Auszubildenden habe auch negative Folgen für die Ausbildungsqualität, meint Walter. Manchmal müsste er auch mal Druck aufbauen, erzieherisch eingreifen. Aber das könne er sich gar nicht mehr leisten. „Da laufen einem die Auszubildenden ja reihenweise weg.“
Eigentlich habe er ja schon einen Auszubildenden für dieses Jahr gehabt, erzählt Thomas Walter. Doch der sei Anfang September erst gar nicht aufgetaucht, habe sich nie wieder gemeldet. „Ich will das ja nicht alles schlecht reden“, sagt Walter vorsichtig. „Aber es ist sicher nicht unnormal, dass so etwas passiert.
“ Seine Wahrnehmung wird von einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) unterstützt. Jeder fünfte Ausbildungsvertrag werde demnach vor Ausbildungsende beendet. Viele Jugendliche könnten sich nur schwer an einen geregelten Arbeitstag und feste Arbeitsstunden gewöhnen. Außerdem hätten sie teilweise falsche Vorstellungen von ihrem Traumberuf.
Das Image des Traumberufs hat der Friseur schon länger nicht mehr – auch wenn Friseurin bei den Mädchen immer noch unter den Top 10 der beliebtesten Ausbildungsberufe rangiert. Das fehlende Prestige seines Berufes ist für Thomas Walter eine weitere Hauptursache für die fehlenden Bewerbungen. „Die Politik hat über Jahre die Menschen aus dem Handwerk im Allgemeinen und dem Friseurberuf im Speziellen getrieben.“ Gefördert werden höhere Bildungsabschlüsse, die Zahl der Hochschulabsolventen soll weiter gesteigert werden. „Heute muss man sich ja fast schämen, wenn man etwas Handwerkliches macht“, sagt Walter und schüttelt den Kopf.
Dabei lobt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die duale Berufsausbildung als „herausragende Stärke des deutschen Bildungssystems.“ Gerade wegen dieses Systems wäre die Jugendarbeitslosigkeit im internationalen Vergleich so gering. Die Gefahr von Arbeitslosigkeit sei bei einer betrieblichen Ausbildung geringer, als bei Akademikern, betont auch DIHK-Präsident Eric Schweitzer.
Schuld an der falschen Wahrnehmung tragen für Thomas Walter vor allem die Medien. „Unser Beruf wurde doch über Jahre zusammen mit den Metzgern immer wieder als negatives Beispiel vorgezogen.“ Keine beruflichen Chancen, Ausnutzung und geringer Verdienst – „Unser Beruf wird falsch eingeschätzt.“ Sicher, reich werde man nicht, gibt auch Walter zu. „Aber auch als Friseur kann man beruflich weiterkommen, sich selbstständig machen.“ Man arbeite mit Menschen, man könne kreativ sein. Außerdem glaubt Walter, dass kaum ein anderer Beruf so familienfreundlich ist.