Die Vielfalt erhalten

3 Min
Köstliche Tafelbirne, gute Saftbirne, ideal zum Einkochen, super für Schnaps: Welche Birnensorte sich wofür am besten eignet, erklärt Pomologe Steffen Kahl beim Streuobst- und Sortentag in Markt ...
Daniela Röllinger
Welche Sorte ist das? Während die Besitzer ratlos sind, hat Steffen Kahl fast immer die Antwort. So mancher Landkreisbürger weiß jetzt, welche Äpfel und Birnen auf seinem Grundstück wachsen.
Daniela Röllinger
Die Röhrlesbirne und viele weitere Sorten wachsen auf den Wiesen und Feldern im Landkreis Kitzingen.
Daniela Röllinger
Die Ausstellung zeigt die häufigsten Streuobst-Sorten in der Region.
Foto: Daniela Röllinger
Größe, Farbe, Kelch, Kerngehäuse, Geschmack... Pomologe Steffen Kahl erkennt etwa 500 Streuobstsorten. Er kartiert mit Jonas Braun vom Landschaftspflegeverband den Bestand im Landkreis Kitzingen.
Foto: Daniela Röllinger
Die Streuobstbestände rund um Markt Herrnsheim sind nicht nur wunderbar anzusehen, sondern liefern auch schmackhaftes Obst. Jonas Braun vom Landschaftspflegeverband holt ein paar Kostproben vom Baum.
Foto: Daniela Röllinger
Wächst diese Sorte auch auf meiner Wiese oder in meinem Garten? In der Sorten-Ausstellung werden die häufigsten Äpfel und Birnen der Region vorgestellt.
Foto: Daniela Röllinger
Etwa 30 Interessierte informierten sich beim Streuobst- und Sortentag in Markt Herrnsheim.
Foto: Daniela Röllinger
Schaffen die äußeren Merkmale keine Antwort, schaut sich der Pomologe die Frucht von innen an, inspiziert das Kerngehäuse, kontrolliert Geruch und Geschmack.
Foto: Daniela Röllinger
Auf die Spuren alter Streuobstsorten machten sich etwa 30 Personen auf dem Streuobstlehrpfad in Markt Herrnsheim. Sie lernten dort unter anderem den Roten Böhmischen Jungfernapfel kennen.
Foto: Daniela Röllinger
Große und kleine Bäume, veredelte, seltene und häufige Sorten: Die Gruppe schaut sich die Bäume rund um Markt Herrnsheim genau an.
Foto: Daniela Röllinger
Steffen Kahl zeigt die Veredelungsstelle des Baumes.
Foto: Daniela Röllinger

Streuobstwiesen sind ein wichtiger Teil unserer Kulturlandschaft, bieten vielen Tieren ein Zuhause und liefern gesundes, leckeres Obst. Doch sie sind in Gefahr.

Purpurroter Cousinot, Gräfin von Paris, Lohrer Rambour und Mollebusch – das hört sich fremd an. Ist es aber nicht. Diese und viele weitere alte Apfel- und Birnensorten wachsen auf den Streuobstwiesen im Landkreis Kitzingen. Um sie zu erhalten, braucht es die Hilfe der Bevölkerung.

Etwa 30 Frauen und Männer stehen am Ortsrand von Markt Herrnsheim inmitten von Bäumen. Sie sind der Einladung des Landkreises zum Streuobst- und Sortentag gefolgt und hören den Ausführungen von Steffen Kahl aufmerksam zu. Er ist Pomologe, befasst sich also mit Obstsorten und dabei besonders mit dem Streuobst. Gemeinsam mit Jonas Braun vom Landschaftspflegeverband kartiert er derzeit die Streuobstbestände im Landkreis Kitzingen. Die Sorten werden bestimmt, Altersstruktur und Vitalität der Bäume, Unterwuchs und Pflegezustand vermerkt. Die Bürger sind zur Mithilfe aufgerufen: Sie sollen Jonas Braun melden, wie viele und welche Bäume auf ihren Grundstücken stehen.

Bäume prägen die Landschaft

Die blühenden Bäume prägen im Frühjahr das Landschaftsbild – die Streuobstbestände im südlichen Landkreis, der Erwerbsanbau an der Mainschleife. Es gibt 13 Schwerpunktgebiete, in denen der Bestand erfasst wird. Ziel ist es, Nutzungsmodelle für die Zukunft zu erarbeiten. Denn wenn sich nichts tut, sind die Bestände in Gefahr. Viele Bäume wurden bereits gerodet, andere werden, weil die Besitzer zu alt geworden sind, nicht mehr gepflegt und das Obst wird nicht mehr genutzt.

„Wir wollen die Leute motivieren, wieder Streuobstbäume zu pflanzen und die Früchte zu verwerten“, sagt Jonas Braun. Das Problem dabei ist allerdings, dass es mit der Pflanzung neuer Bäume alleine nicht getan ist. Die Jungpflanzen müssen in den ersten Jahren auch gegossen und später gepflegt werden. Ein Aufwand, den manch einer scheut.

Ein Blick in die Geschichte des Streuobstbaus zeigt, dass sich im Landkreis schon viel verändert hat. „Ursprünglich war der Landkreis Kitzingen ein Obstlandkreis“, sagt Andrea Bätz, die Geschäftsführerin des Fränkischen Klein- und Obstbrennerverbandes. 19.000 Zwetschgenbäume standen einst allein auf der Gemarkung Kleinlangheim, von dort wurden Dörrpflaumen nach England und sogar bis nach Amerika verschifft. Noch heute erinnert der Baum im Gemeindewappen daran, dass der Ort einst quasi ein Monopol im Zwetschgenanbau und -handel besaß. Ein anderer Schwerpunkt lag in Marktsteft, so Jonas Braun: Um das Jahr 1900 standen dort noch 78.000 Obstbäume.

Heute gibt es in den repräsentativen Schwerpunktgebieten, die für das bis 2021 laufende Projekt „Streuobstkartierung im Landkreis Kitzingen“ ausgesucht wurden, nur noch wenige tausend Bäume. 1728 hat Steffen Kahl bisher kartiert. Es sei wichtig, die Sorten und den Pflegezustand der Bäume zu erfassen, sagt er. Denn wenn sich niemand um die Bäume kümmert, werden die alten Sorten verschwinden. Und mit ihnen ein Stück Kulturlandschaft und Vielfalt.

Mehrere tausend Sorten

Rund um Herrnsheim ist diese Vielfalt noch gegeben. An den teils über 100 Jahre alten Bäumen wachsen ganz verschiedene Sorten. Steffen Kahl geht von Baum zu Baum, pflückt ein Stück Obst, erklärt die Besonderheiten beispielsweise von Jakob Lebel, Raafs Liebling und dem Purpurroten Cousinot bei den Äpfeln, von Hänser, der Köstlichen aus Charneux und der Nordhäuser Winterforelle bei den Birnen.

Etwa 2000 verschiedene Apfelsorten gibt es in Deutschland, dazu noch einmal so viele Birnensorten. Sie unterscheiden sich durch ihre Wuchseigenschaft, die Rinde, das Laub und den Ertrag. Und natürlich an den Früchten. Kahl kennt etwa 500 verschiedene Sorten. Ganz genau schaut er sich Größe, Form, Farbe der Schale, Kelch und Stiel an. Weiß er dann noch nicht genau, worum es sich handelt, schneidet er die Frucht durch, riecht daran, betrachtet das Kerngehäuse, probiert ein Stück. Zu jeder Sorte hat er die Eigenschaften parat: Saftig, mürbe, gut zu lagern, druckempfindlich, ideal zum Backen, gut für Schnaps....

Viele der Besucher beim Streuobst- und Sortentag vermerken sich diese Besonderheiten. Sie haben selbst Bäume und Obst, einige schon seit längerer Zeit, andere erst seit kurzem. Da ist die junge Frau, die im Außenbereich eines Ortes gebaut hat und nun Bäume als Ausgleichsmaßnahme pflanzen will. Ihr ist wichtig, dass es alte Sorten sind, die in die Region passen. Eine andere hat Grundstücke gepachtet, auf denen Jahrzehnte alte Bäume stehen. Sie macht Saft und Most, pflanzt regelmäßig nach.

Ein Paar hat eine Wiese mit 150 Bäumen geerbt und weiß nicht, was da so alles wächst. Die beiden haben, so wie die meisten anderen Teilnehmer auch, Äpfel und Birnen zum Sortentag mitgebracht, um sie im Anschluss an den Rundgang in der Marktschänke bestimmen zu lassen. Die ganze Gruppe drängt sich um den Tisch, verfolgt gespannt, was Steffen Kahl zu sagen hat. Einer nach dem anderen legt seine Früchte vor und vermerkt auf den Tüten genau, wie die Sorte heißt, um die später wieder anzupflanzen oder veredeln zu lassen. Nur ein einziges Mal muss Kahl passen. „Das ist ein Apfel“, sagt er, was großes Gelächter in der Gruppe auslöst.

Alois Brückner ist Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins in Hüttenheim. Er hat selbst Streuobstwiesen, pflegt seine etwa 60 Bäume seit vielen Jahren, pflanzt regelmäßig nach und veredelt selbst. Ein Wissen, das nur noch wenige Leute haben. „Viele nehmen es mit ins Grab“, befürchtet er und lobt daher Initiativen wie die im Nachbarort. „Und vielleicht“, so hofft er, „interessieren sich im Rahmen der Klimadiskussion wieder mehr Leute für das Streuobst.“ Es wäre zum Wohle der Natur.