Wie der Ausbruch des Krieges das Alltagsleben der Bevölkerung in der Heimat veränderte.
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, der das alte Europa einstürzen ließ. Schon Jahre vor Kriegssaubruch war das Kaiserreich geprägt von Militarismus. Der ehemalige Zeiler Bürgermeister Geisel der selbst an der Front stand, erzählte einmal: Die wichtigsten Fragen bei Beurteilungen und Bewerbungen waren: "Wo haben Sie gedient?" Im wilhelminischen Reich war der Soldat das Rollenvorbild auch für die Zivilgesellschaft. Gehorsam, Unterordnung und Disziplin waren die wichtigsten Tugenden.
Patriotische Aktionen waren in dieser Zeit an der Tagesordnung. So veranstaltete 1912 der Zeiler Turnverein auf der Schmachtenburg ein Bergturnfest, das am Morgen mit Kriegsspielen auf der Hohen Wann eingeleitet wurde. Die Soldaten- Krieger- und Veteranenvereine in Eltmann und Haßfurt veranstalteten Anfang 2014 Kriegsfestspiele. Dabei wurden in lebenden Bildern Darstellungen aus der glorreichen Zeit von 1870/71 gezeigt.
Bei der Mobilmachung am 2. August 1914 marschierten die Zeiler am Abend vom Stadtturm zum Marktplatz wo sie sich um den Wittelsbacher Brunnenobelisken scharten. Bis in die Nacht sangen sie patriotische Lieder, wie "Die Wacht am Rhein", oder "Siegreich wollen wir Frankreich schlagen".
Der Kriegsausbruch war in unserer Heimat von einer wahren Hysterie begleitet. Hinter jedem Fremden witterte man damals einen Spion. Offenbar waren jedoch einige Posten überfordert und reagierten völlig kopflos. Am zweiten Kriegstag wurde kurz vor Untersteinbach ein verdächtiges Auto aus Richtung Gerolzhofen gesichtet. Als es anhalten musste, wurden sowohl die Insassen als auch das Fahrzeug mit Stöcken und sonstigen Gegenständen traktiert und übel zugerichtet. Endlich besannen sich die vermeintlichen Retter des Vaterlandes doch und verlangten die Ausweispapiere der Fremden.
Nun stellte sich heraus, daß es sich um einen deutschen Offizier handelte, der mit einem Feldwebel Mobilmachungsbefehle überbringen sollte.
Sehr bald erhielt in Zeil der Apotheker Speth als Reserveoffizier den Stellungsbefehl. Bürgermeister Kraus wollte im Interesse der Bevölkerung seine Unabkömmlichkeit erwirken. Doch der Apotheker lehnte dies aus Pflichtgefühl kategorisch ab: "Ich trage des Königs Rock, die Apotheke wird geschlossen!" Seine Gattin verkaufte nur noch essigsaure Tonerde, Wasserstoffsuperoxid, Pflaster und Kräuter. Die Zeiler mussten nun die Apotheken in Haßfurt und Eltmann aufsuchen.
Am 22. August 1914 verkündet die Heimatzeitung: "In Haßfurt und dem Kreis war alles voller Begeisterung, als die frohe Botschaft von dem großen Siege unserer Truppen bei Metz unter Führung unseres Kronprinzen Rupprecht verkündet wurde.
Der erste große Kampf führte zu einem glänzenden Sieg unserer Truppen. Lieb Vaterland magst ruhig sein!"
Im Schaufenster der Eltmanner Buchdruckerei Wilhelm Koch wurden schon sehr bald serbische Orden und Stiefel als Souvenirs zur Schau gestellt. In der Heimat trachteten die Menschen nach Trophäen. Ende 1914 wandte sich die Zeiler Stadtverwaltung an die Kriegsbeutesammelstelle in Darmstadt. Man wollte den Kindern und den nachfolgenden Generationen zeigen, wie die Feinde aussehen und uniformiert sind, "die unser tapferes Heer bekämpft und von unserem Vaterland fern gehalten haben."
Im Bereich des heutigen Landkreises richteten in der ersten Kriegswoche die Bezirksämter den Aufruf, Bittgottesdienste um einen glücklichen Ausgang des "dem Deutschen Reiche aufgezwungenen Krieges" abzuhalten.
Im Diözesanarchiv in Würzburg ist der zweite von mehreren Briefen erhalten, den der Zeiler Pfarrer Dümler 1916 mit christlich verbrämten Durchhalteparolen an die 250 Zeiler Soldaten geschickt hat.
Seine Sorge war, dass die Zeiler in den Schützengräben ihr Gottvertrauen verlieren, zumal doch viele ein Koppelschloss tragen mit dem Spruch "Gott mit uns!" "Was haben im Osten unsere schneidigen Heere mit Gottes sichtbarer Hilfe für wunderbare Leistungen vollbracht", versuchte der Pfarrer seine Glaubensbrüder aufzumuntern.
Gegen die englische Blockade wurde 1916 von nationalistischen Eiferern versucht, Gott besonders infam zu vereinnahmen indem sie vorschlugen, den üblichen Tagesgruß "Grüß Gott!" durch "Gott strafe England!" zu ersetzen.
Von welchem Geist die Jugend damals beseelt war, zeigt ein Schreiben eines Königsberger zwölfjährigen Volksschülers, der in seinem Durst nach Kriegstaten einen Brief folgenden Inhalts an eine Dienststelle in Kassel sandte: "Lieber Herr General, bin bereit, mich als Munitionsträger oder für andere Posten zur Verfügung zu stellen, Körpergröße 1,32 m, Alter 12 Jahre, bin gesund, erwarte baldige Antwort. "
Im März 1916 teilte das Bezirksamt in einem vertraulichen Schreiben an die Stadt Zeil mit, dass im Interesse der Schlagfertigkeit der Armee sofort alles entbehrliche Heu und Klee an die Heeresverwaltung abgeliefert werden müsse "auch wenn dies nur auf Kosten der heimischen Viehbestände möglich ist." Die Bürgermeister mussten darauf sämtliche Scheunen und Futterböden nach entbehrlichem Futter durchsuchen.
Es fehlt an warmer Kleidung Während des Krieges hatten die Sander und Knetzgauer Korbflechter buchstäblich alle Hände voll zu tun, um Geschoßkörbe für die Front zu flechten. Die Sander Korbmacher mussten sich bei der Militärverwaltung einen guten Ruf erworben haben. Denn im Juli 1918 erhielt ihre Genossenschaft das "Verdienstkreuz für Kriegshilfe" durch den Preußischen König Wilhelm II verliehen.
Den Winter vor Augen war der Heeresleitung klar, dass die meisten Vaterlandsverteidiger von der Bekleidung her gar nicht dem Klima entsprechend ausgestattet sind. Das Kaiserreich schickte seine Söhne in einen Krieg, ohne dass es ausreichend geeignete Unterbekleidung bereitgestellt hatte. Vier Wochen nach Kriegsbeginn meldete die Regierung von Unterfranken, dass nunmehr die Vorräte an Leibbinden, Schuhen, Pantoffeln und Sandalen langsam zu Ende gehen.
Viel Erfolg versprach sich 1915 die Heeresleitung von alten Gegenständen, die Edelmetalle enthielten. In einer Annordnung hieß es: "Die Sammlungen haben den Zweck, totes Kapital lebendig zu machen zum Kampf gegen unsere Feinde." Im Amtsblatt wurde Anfang 1917 die Abgabe der für beschlagnahmt erklärten zinnernen Teller, Schüsseln und Bierkrugdeckel verfügt. Noch blieben die zinnernen Orgelpfeifen in den Kirchen verschont. Doch bestand die Verpflichtung, sie anzumelden.
Die Jugend im Steigerwald und den Haßbergen musste 1916 mit allem Eifer das Einsammeln von Maikäfern betreiben. Sie waren in dieser Notzeit als Hühnerfutter sehr willkommen, denn das Getreide benötigte man dringender für die Volksernährung. Im gleichen Jahr wurde auch das sonst verbrannte Kartoffelkraut als ausgezeichnetes Viehfuttermittel gepriesen.
Die Milchkühe sollten, damit gefüttert, mindestens das gleiche an Milch, Milchfett und Milchtrockensubstanz wie mit gutem Wiesenheu liefern.
Im dritten Kriegsjahr mangelte es auch an Textilfasern, da die Einfuhr von Hanf und Baumwolle unterbunden war. So ordneten die hiesigen Bezirksämter an, die im Inland verspinnbaren Pflanzen zu nutzen. Die Brennnessel wurde nun als "deutsche Baumwolle" apostrophiert. Die Fasern sollten einen weiteren Importartikel, nämlich die Baumwolle, ersetzen.
Die Not zwang 1916 dazu, alles, was die Natur bot, zu verwerten und restlos auszunutzen. Bei der herrschenden Fettnot waren daher Nüsse, Obst- und Weintraubenkerne sowie Bucheckern für die Ölgewinnung sehr gefragt. Das bischöfliche Ordinariat Würzburg ordnet an, dass, soweit es die gottesdienstlichen Handlungen und die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in den Kirchen zulassen, jeder Wachsverbrauch zu unterbleiben hat.
Durch sparsamen Gebrauch von Seife sollten Fett und Öl gespart werden. Die Behörden empfahlen die Verwendung von Sand, Bimsstein, Holz- und Zigarrenasche sowie Scheuergras.
Ersatz für Tabak und Kaffee Neben dem Nahrungsmangel infolge der englischen Seeblockade traf der Mangel an Tabak vor allem die männliche Bevölkerung sehr schwer. An die Männer in der Heimat wurde appelliert: "Sorgt für Tabak, der die todmüden Männer auf einsamer Wacht munter hält und während des Marsches erfrischt. Leicht könnt ihr hierfür einen Bruchteil von dem täglichen Rauchzeug zur Seite legen."
Als Tabakersatz wurde Waldmeister, Buchenlaub, Huflattich und Zichorieblätter propagiert. Auch wurden den Rauchern Holunderstängel (Süßholz) empfohlen.
Sie sollten an die Zeit ihrer Jugend erinnern, als so manche damit ihre ersten Rauchversuche machten. Echter Bohnenkaffee war wegen der Seeblockade kaum mehr verfügbar. An seiner Stelle war geröstete Gerste und Brotgetreide getreten. Doch auch dieser Rohstoff wurde dringender für die Ernährung und als Futtermittel benötigt.
Vorträge
Ausführlich und mit vielen Bilddokumenten angereichert behandelt Autor Ludwig Leisentritt in zwei Vorträgen die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Region. Die Vorträge finden statt am Dienstag, 2. September, 19 Uhr im Altstadthotel in Haßfurt und am Freitag, 14. November, um 19,30 Uhr im RIZ in Eltmann. red
Von Ludwig Leisentritt/Der zweite Teil folgt morgen