Noch nie gab es so viele Betreuungsangebote für Kinder. Aber es besteht eine Diskrepanz zwischen der Quantität und der Qualität, sagt Gymnasiallehrer Paul Schamberger.
Ist Bildung eine Zeitfrage? Ein Lehrer wie Paul Schamberger müsste auf diese Frage eine ganz einfache Antwort haben, denn das Zeitkorsett, in dem er und seine Schüler sich bewegen, ist klar vorgegeben: Der Stundenplan markiert die Arbeits- und die Freizeit, und das war schon zu den Zeiten der "Feuerzangenbowle" so.
Doch der 62-jährige Pädagoge, der seit fast 40 Jahren am Gymnasium in Haßfurt Englisch und Französisch unterrichtet, hat keine einfache Antwort auf die Zeitfrage. Er differenziert: "Entscheidend ist nicht die Zahl der Stunden, entscheidend ist die Qualität des Unterrichts", sagt der gebürtige Aschaffenburger.
Seit Schamberger selbst in die Schule ging, so erzählt er, seit mehr als 50 Jahren "wird ständig am Bildungssystem herumgedoktert", und rundum zufrieden sei immer noch keiner: weder Lehrer noch Schüler noch Eltern und Politiker. "Wir haben kein Zeitproblem in der Schule, wir haben ein Strukturproblem", sagt Schamberger, der Vater von zwei inzwischen erwachsenen Kindern ist und sich als "Bildungspessimist" bezeichnet. "Ich habe als Bub alle Bücher verschlungen, die in meine Reichweite kamen", erzählt er. "Meine eigenen Kinder waren da ganz unterschiedlich."
Das zeigt für ihn, dass Bildung Grenzen hat. "Man darf die Ansprüche an die Schule und auch an die Kinder nicht ins Unendliche schrauben. Wenn ein Kind keinen Spaß am Lesen hat, erreiche ich mit Zwang nichts."
Zu wenig Zeit für zu viel Stoff
Spaß in der Schule? Genau das Gegenteil empfinden viele Kinder heute in der Schule, sagt Schamberger, gerade im achtstufigen Gymnasium (G8), das nicht nur wegen der längeren Unterrichtszeit viele Schüler überfordere.
"Auf der einen Seite hat man den Stoff von bisher neun Schuljahren in acht gepresst, ohne große Abstriche beim Stoff zu machen."
Auf der anderen Seite wechselten immer mehr Grundschüler ins Gymnasium: auf Druck der Eltern, aber auch politisch gewünscht. "Aus meiner Klasse sind vor 50 Jahren drei oder vier Schüler ins Gymnasium gegangen. Heute haben wir Übertrittsquoten von 40 Prozent und mehr. Dabei sind die Kinder heute bestimmt nicht so viel schlauer als damals."
Die Folge laut Schamberger: Immer mehr Kinder im Gymnasium sind noch nicht reif für die Anforderungen, die an sie gestellt werden, sagt der Lehrer. Den Lehrern fehlt umgekehrt durch den dichten Lehrplan im G8 die Zeit, die sie für die Schüler bräuchten. "Ein paar wenige schaffen den Stoff mit links, viele andere schleppen sich durch oder werden durchgeschleppt."
Das Kultusministerium würde Schamberger erwidern, dass es gerade diese Punkte sind, die an das Bildungssystem immer größere Anforderungen stellen und ständige Anpassungen erfordern. In einer Welt, die sich rasant verändert, "können Schule und Bildungspolitik nicht statisch sein", sagt ein Sprecher von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU).
"Gegen Veränderungen habe ich auch nichts", sagt der Pädagoge. "Aber sie dürfen nicht dazu führen, dass Bildung für immer mehr Kinder zu einer Quälerei wird." Französisch in der Grundschule, Englisch schon im Kindergarten, frühkindliche Förderung in der Kita und Babyschwimmen: Viele Kinder, so ist Schambergers Eindruck, dürfen heute gar nicht mehr Kind sein. "Kaum geboren, stürzen sich alle auf sie und machen Programm."
Was passt in 24 Stunden?
Dabei ist die Rechnung am Ende ja doch ganz einfach: Der Tag hat 24 Stunden. Anders als zu Schambergers Schulzeit konkurriert aber der länger werdende Stundenplan heute mit einer Fülle von Freizeitangeboten, einer medialen Überflutung und einem im Vergleich zu früher viel breiteren Spektrum von Lebensentwürfen in den Elternhäusern. Kein Widerspruch: Mehr Kinderbetreuung im weitesten Sinn hat es wohl noch nie gegeben. Aber trotzdem oder gerade deswegen bleibt immer weniger Zeit für das Kindsein.
Der Artikel steht für sich, leider muss er zwanghaft kommentiert werden. So schreibt Frau Schreiber, Mütter müssten heute "schaffen", und zwischen den Zeilen heißt das wohl "besser wäre es, wenn es die schöne Rollenteilung von früher gäbe", oder wie? Nein, Frau Schreiber, viele Mütter wollen (!!) schaffen, wie die Männer auch. Ja, wir sind im Jahr 2012 angekommen! Und diese bösen Mütter vernachlässigen ihre Kinder dabei auch nicht. Wenn ich mich umschaue, erlebe ich weitaus mehr entnervte "Nur-Mütter" als entnervte arbeitende Mütter. Und dann müssen die Mütter natürlich ihre öde Zeit füllen - mit Kinder-Unterhaltungsprogramm, das in Wirklichkeit Mütter-Unterhaltungsprogramm ist. Dann sitzen die Kinder im Auto und fahren zu Animationsprogrammen, statt sich mit ihren Freunden selbst Beschäftigung zu suchen und auf diese WEise selbständig und sozial kompetent zu werden, so ist das bei arbeitenden Müttern ... (ja, so platt kann es manchmal sein)
...ist hier nur ein Kommentar... und den muss man eigentlich nicht mal zwanghaft kommentieren...
Wenn ich mich umschaue ist die Welt nicht so einfach in schwarz und weiß einteilbar.
Das mir bekannte Spektrum an Lebensentwürfen geht von der klassischen Ehe mit Kind und einem gutverdienenden Ernährer über jede Menge Alleinerziehender beider Geschlechts bis zu komplexesten Patchwork. Und die Realitäten und Nöte all dieser Gruppen sind so vielfältig wie eben jene oft nicht geplanten Lebensverläufe.
Schön wäre es wenn man endlich mal aufhören würde die verschiedenen Gruppen gegeneinander aufzuhetzen und jeder Gruppe erzählen zu wollen das ihre Ansichten falsch sind. Häufig hatten die Menschen gar keine Wahl zwischen beruflicher Verwirklichung und Kindererziehung und wenn Sie Sachzwänge in meist schlecht bezahlte Arbeit zwingen und Sie sich dann Vorwürfe bzgl Rabenmutter anhören müssen ist das für die Betroffenen doch der reinste Hohn. Genauso die Leute welche arbeiten wollen aber keinen Kindergartenplatz bekommen, die landen als Alleinerziehende oft in Hartz4 und dürfen sich was vom Sozialschmarotzer anhören. Wenn halt nur alles so schön einfach wäre..