Frühestens im Sommer 2019 kommt Moritz zurück nach Unterschleichach. Als Wandergeselle pflegt er einen fast ausgestorbenen Handwerkerbrauch.
"Der Moritz geht auf die Walz". Die Nachricht sprach sich wie ein Lauffeuer in Unterschleichach herum. Viele Fragen gab es in den vergangenen Wochen, viele guten Wünsche und eine große Feier am Samstag. Jetzt ist er weg, der 19-jährige Schreiner. Vor Sommer 2019 darf er seinen Heimatort nicht mehr betreten oder den Umkreis von 50 Kilometern. Eine abenteuerliche Zeit liegt vor ihm, geprägt von einer alten Tradition.
Auf der Walz sollen Handwerksgesellen Erfahrung sammeln, die Welt kennenlernen. Genau das ist auch Moritz Spiegels Absicht: möglichst weit rumkommen, dazulernen, das Schreinerhandwerk in anderen Ländern und anderen Betrieben erfahren - und die besondere Gemeinschaft, die Gesellen auf der Wanderschaft trägt.
Auf jeden Fall möchte er nach Skandinavien.
Über ein halbes Jahrhundert her
Der letzte Unterschleichacher auf der Walz war Ende der 50er Jahre der inzwischen verstorbene Maurer Berthold Keller. Kurz davor stand in den 80ern Steinmetz Thomas Bäuerlein. Weil sein Vater überraschend starb, blieb er daheim. Sein Halstuch von damals gab er Moritz mit.
Die Idee, auf die Walz zu gehen, kam Moritz schon zu Beginn seiner Lehrzeit: "Da kam eine Gruppe Wandergesellen durch Unterschleichach und ich habe mal im Internet nachgeschaut." Die Ausbildung schloss er letztes Jahr mit hervorragenden Noten ab, sehr zur Freude seiner Eltern und seines Ausbildungsbetriebs.
Leo Rottmann von den Möbelwerkstätten Rottmann geht es wie den Eltern: mit einem lachenden und einem weinenden Auge sieht er Moritz ziehen.
Kontakt zur Gemeinschaft der Wandergesellen knüpfte Moritz über Johannes Christa aus Weisbrunn. Der kehrte vor einigen Jahren zurück. Und noch immer ist er eng verbunden mit den Wandergesellen. Er nahm Moritz mit zu Treffen und fand für Moritz seinen "Export-Gesellen" Ralf. Wer einen Neuling "losbringen" will, muss mindestens ein Jahr auf der Walz, also "Altgeselle", sein. Etwa drei Monate dauert die Bewährungszeit, dann bekommt der Neue die Ehrbarkeit, das typische Halstuch der Wandergesellen - dann beginnt die Frist der Wanderschaft: Mindestens drei Jahre und einen Tag dauert die Walz - also wird es mindestens Sommer 2019, bevor Moritz wiederkommt.
So sehr er sich auf die Wanderschaft auch freut: Er will anschließend sesshaft werden.
Denn eigentlich ist er ein ganz bodenständiger junger Mann, der sich schon immer im Ort engagiert hat - als Ministrant, in der Jugendfeuerwehr, jetzt auch in der aktiven Wehr. Einer, der nur eigentlich nie ablehnt, wenn man ihn um Hilfe bittet. Dieses anpackende und hilfsbereite Wesen wird ihm auch auf der Wanderschaft helfen. In die Traditionen und regeln wurde Moritz bei den bisherigen Treffen schon ein Stück weit eingeführt.
Dazu gehört die "Kluft", die traditionelle Kleidung. Alle Holzberufe sind in Schwarz unterwegs. Schlaghose, Weste, weißes Hemd, die "Staude" und der "Deckel" (der Hut), gehören dazu. Moritz hat sich für den Schlapphut entschieden "der ist bei Regen und bei Sonne praktisch", erklärt er. Neben einem bisschen Wechselwäsche haben Wandergesellen nur einen Schlafsack dabei - und nur einen Notgroschen.
Für Reisen und Schlafen dürfen sie kein Geld ausgeben, sie sind auf die Gastfreundschaft der Menschen auf ihrer Reise angewiesen. In den größeren Städten gibt es so genannte "Buden", Anlaufstellen für Wandergesellen. "Reise, um zu arbeiten und arbeite, um zu reisen", lautet das Motto. Moritz ist zuversichtlich, dass es nicht allzu schwer sein wird, unterwegs Anstellungen zu finden.
Digitaler Kontakt
Beim Arbeitgeber darf er, wenn dieser das zulässt, Telefon und Internet nutzen. "Mal die E-Mails abrufen", erklärt Moritz. Ein digitales Endgerät wie Handy oder Tablet wäre aber auf der Walz ein absolutes No-Go.
Zum Abschiedsfest kamen Wandergesellen aus allen Richtungen und natürlich feierte das halbe Dorf mit Moritz.
Auch geistlichen Beistand nimmt Moritz mit: Pfarrer Ottmar Pottler, für den er in so vielen Gottesdiensten ministrierte, segnete seinen en ehemaligen Ministranten - und von Oma gab es eine Madonnenplakette. Gegen Mitternacht wurde es noch einmal sehr archaisch: Mit Hammer und Nagel wurde ihm das Ohrloch gestochen, in dem jetzt sein Gesellen-Ohrring baumelt - handgemacht von einer Oberschwappacher Goldschmiedin: ein winziges Stemmeisen.
Fast jeder Unterschleichacher, der nicht arbeiten musste, stand am Ortsschild, um die Abschiedszeremonie mitzugestalten. Mit gemeinsamen Kräften wurde das Loch für die Andenkenkapsel gegraben und gemeinsam halfen Familie und Freunde, das Ortsschild zu erklimmen. Auf der gegenüberliegenden Seite warteten seien "Brüder": Die Wandergesellen fingen ihn auf und in der Gruppe ging es los in sicherlich spannende Jahre. Die Zurückgebliebenen beschlossen, zur Rückkehr ein rauschendes Dorffest zu organisieren.