Der Glaube an die Existenz von Hexen vergiftete auch nach dem Erlöschen der Scheiterhaufen im 17. Jahrhundert noch viele Jahrzehnte das Leben in Zeil.
Heute vor 400 Jahren hat man in Zeil erstmals vermeintliche Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Mit dem Ende des Hexenwahns zwischen 1616 und 1631, der rund 400 Opfer forderte, endete der Glaube an Zauberei und Hexerei jedoch nicht. Die Zeit hat im Gedächtnis der nachfolgenden Generationen ihre Spuren hinterlassen. Da ist es nicht verwunderlich, dass bei Streitereien immer wieder Mitbewohnern die angeblichen Verfehlungen ihrer Vorfahren vorgehalten wurden.
Schon die aktenkundigen Fälle, mit denen sich die städtische Gerichtsbarkeit befassen musste, sind ein Beweis hierfür.
Kaum dass die Glut des Hexenwahns in Zeil ausgetreten war, meldet sich bereits 1633 ein in Zeil aufhaltender Reitschmied auf dem Rathaus. Er gab an, des Nachts hätte ihn die Witwe Eva Wermut auf die Achsel geschlagen und ihn behext. Der Mann glaubte anderntags, dass seine Schmerzen, die jeden Tag schlimmer wurden, von ihr kämen. Er bat die örtliche Obrigkeit, diese Frau vor den Rat zu fordern und ihr vorzuhalten, dass sie seinen Arm krank gemacht habe; sie solle ihn auch wieder gesund machen.
Schimpfen und schlagen
24 Jahre nach dem Ende der Hexenprozesse in Zeil, taucht 1655 in den Ratsprotokollen erneut der Vorwurf der Hexerei auf. Vor dem Rat beschwerte sich Stoffel Gullmann, dass Andres Baunacher seine Frau eine Hexe gescholten habe. Der Verleumder behauptete, ihr Vater und ihre Mutter seien einst verbrannt worden. Der Ehemann war darüber so ungehalten, dass er den Mann übel beschimpfte und daraus eine Schlägerei entstand. Beide mussten sechs bzw. vier Tage für die Kommune arbeiten. Außerdem mussten sie sich einander "mit Hand und Mund" vergeben und verzeihen.
Wären die Rechtsnormen der Hexenverfolgung noch voll praktiziert worden, hätten derartige Bezichtigungen für manche Zeiler schlimm enden können. Jedenfalls - so belegen es die Einträge in den Ratsakten - war es viele Jahrzehnte lang noch üblich, Mitbürger als Hexer und Hexen zu bezichtigen. Dabei spielten noch so manche tief verwurzelte abergläubische Rituale eine Rolle.
1663 beklagte sich Hans Kerner, sein Nachbar Sebastian Leisentritt (ein früher Vorfahre des Autors) lasse ihn nicht in Frieden. Dieser bezeichnete ihn zu nächtlicher Zeit "mit losen Schmähworten als Hexerey Kind". Leisentritt rechtfertigte sich, "dass er in vielen die Wahrheit sparen täte", das heißt, er wollte nicht alles sagen, was er zu wissen glaubte. Im Übrigen kam heraus, dass "das meiste Geschwätz" von den Eheweibern der Beteiligten herrührte und auch Geschwister nicht ganz unschuldig waren. Sie wurden vor den Rat zitiert, wo man ihnen androhte, als Strafe fünf Pfund Wachs für das Gotteshaus zu spenden, wenn dergleichen Rederei und Uneinigkeit nicht aufhörten.
Gotteslästerliche Reden
Bei einem Trinkgelage beschimpfte 1666 Johann Spieß einige Zecher als Schelme und Diebe und einen Gast als einen Hexenmeister. Auch ließ er sich zu gotteslästerlichen Reden hinreißen. Michael Flasch und seine Leute seien Hexengesind, trügen alle Rosenkränze und täten in der Kirche, als wollten sie unserem Herrgott die Füße abbeißen. In Wirklichkeit seien sie die ärgsten Hexenleut, die man im Brennofen verbrennen sollte. Neben dem in früheren Jahrhunderten am häufigsten gebrauchten Schmähwort "Schelm" waren 50 Jahre nach den Hexenverfolgungen "Hexenleut", "Hexengesind" und "Hexenmeister" die am meisten gebrauchten Schimpfworte.
Unverständlich erscheint, dass der Ehrbare Zeiler Rat 1666 einem Bürger Strafe androhte, weil er seine Magd, welche angeblich "der Hexerei wegen berüchtigt und aller Orten schon abgeschafft worden" sei, nicht unverzüglich aus die Stadt gebracht habe. Wären die Ratsherren gerecht gewesen, hätten sie die Magd vor einer solchen Unterstellung in Schutz nehmen müssen.
1681 wurde Elisabeth Kestler, als sie aus ihrem Weinberg in der Mittelsetz einige Trauben schnitt, von einer Frau als eine Hur und Hexe gescholten. Die Angeschuldigte verteidigte sich damit, die Klägerin habe sie zuerst eine Hure genannt. Das Stadtgericht hielt beide für schuldig: Weil sich die beiden Frauen beschimpften und Zeugen fehlten, mussten sie einander Abbitte leisten. Wer wieder mit dem Schmähen anfange, sollte künftig mit der Geige oder mit dem Tragen des eisernen Schnabels abgestraft werden. Beides waren Strafinstrumente für Verleumdungen.
... auf dass er ausdorre
In dieser Zeit war eine besondere Form von Hexenglauben weit verbreitet. Wenn jemand widerrechtlich einen Baum ausgegraben oder gefällt hatte, glaubte man, durch Beschwörungen das Ausdorren und Sterben des Diebes herbeiführen zu können. Für einen so Beschuldigten war es in den Augen der Mitbürger so ehrenrührig, dass er das nicht auf sich sitzen lassen konnte. Katharina Kurz beklagte sich, Klaus Dietlein erzähle überall, sein kranker Sohn müsse ausdorren und sterben, weil er ihr angeblich einen Baum ausgegraben haben soll. Beide wurden ermahnt "gute Nachbarschaft zu halten".
Einen weiteren Einblick in den doch recht weit verbreiteten Teufelsglauben dieser Zeit gibt ein Vorfall aus dem Jahre 1686. Stefan Niehl wehrte sich gegen den Vorwurf der Ehefrau von Conz Wels. Dieser soll ihr etliche weiße Wäschestücke aus dem Haus gestohlen haben. In diesem Zusammenhang hatte sie eine Schachtel mit geheimnisvollem Inhalt in das Grab eines verstorbenen Mannes geworfen. Zwei Frauen hätten ihr erzählt, dass der Wäschedieb dadurch ausdorren werde. Der Pfarrer, der davon hörte, hatte ihr bereits eine Kirchenstrafe von drei Talern auferlegt.
Auch der Stadtrat war höchst ungehalten über derlei Aberglauben. Nach längeren Verhör kam zutage, dass Gertraud Pausewein den zwei Frauen diese "teuflische Lehr" anvertraute. Als Urheberin strafte sie der hohe Rat mit dem Tragen der Geige ab.
Besonders niederträchtig verhielt sich 1738 Hans Georg Reuthe gegenüber seiner Mutter. Am Oberen Tor taxierte der Torwächter Jakob Schönmann eine Fuhr Holz, bevor sie in die Stadt gefahren werden durfte. Der Wagen sollte zur mütterlichen Wohnung des Reuthe gebracht werden. Dabei sagte der Sohn, man sollte seine Mutter auf diese Fuhre Holz setzen und sie darauf verbrennen. Das wäre 107 Jahre nach der letzten Hexenverbrennung in Zeil durchaus noch möglich gewesen. Schließlich ist die letzte Hexe (die Ordensfrau Renata Singer) 1749 in Höchberg verbrannt worden. Schönmann, der dies anzeigte, bat, weil der Frau dieses Reden "zu Hertz gedrungen, den Sohn mit einer der Obrigkeit beliebigen Strafe zu belegen".
Die Nachwirkungen der Hexenverfolgung und die Auswirkungen auf die abergläubischen Menschen sind schließlich allmählich verebbt.
Glaube an mystische Kräfte
Dennoch waberte der Aber- und Hexenglaube wohl auch noch im 19. Jahrhundert unter der Bevölkerung weiter. Jahrhundertelang griffen unsere Vorfahren auf unzählige volksmedizinische und magische Mittel gegen allerlei Krankheiten zurück. Noch 1861 schreibt der Eltmanner Amtsarzt Dr. Schneider in einem Bericht an die Regierung in München: "In Zeil ist der Irrglaube noch ziemlich in der Blüthe. Man glaubt hier an mystische Kräfte der Amulette und an den Einfluss böser Wesen."
Heute darf sich jedermann als Hexer bezeichnen. Und mancher zahlt sogar Steuern. Laut Umfragen glauben noch immer 10 bis 20 Prozent der Deutschen an Hexerei.