Unsere Mitarbeiterin Monika Schraut stellte sich dem Poetry Slam in Haßfurt - und schildert ihre Eindrücke und Erfahrungen von dem Auftritt: Da sitzen sie a...
Unsere Mitarbeiterin Monika Schraut stellte sich dem Poetry Slam in
Haßfurt - und schildert ihre Eindrücke und Erfahrungen von dem Auftritt:
Da sitzen sie also. Die Zuschauer. Und alle schauen auf genau eine. Nämlich auf mich. Und nicht nur das. Etliche haben auch noch Tafeln in der Hand. Wertungstafeln. Punkte, die sie mir geben oder verwehren. Noten zwischen eins und zehn, wobei eine Eins heißt: "Du bist hier komplett durchgefallen". Und eine Zehn heißt: "Besser geht's nimmer." Wir befinden uns auf einem Poetry Slam. Genauer gesagt, dem achten Poetry Slam in Haßfurt.
An den ersten Haßfurter Poetry Slam in der Stadthalle kann ich mich noch erinnern. Da hatte ich vielleicht einen Bammel, da war alles absolutes Neuland.
Auch damals hatte das Bibliotheks- und Informationszentrum Haßfurt Christian Ritter als Moderator eingeladen. Auch am Freitag führte er im "Silberfisch", der Mensa des Schulzentrums, durch das Programm und fungierte als "Opferlamm". So bezeichnet man den Poeten, der jenseits des Wertungsspiels zu Beginn einen eigenen Text vorträgt, um das Publikum aufzutauen und einzustimmen.
Inzwischen hat er Hunderte Slams moderiert und lebt von den Veranstaltungen. Als profunder Kenner der Szene hatte er Profi-Slammer aus ganz Deutschland eingeladen. Und so durfte ich hinter der Bühne kennenlernen: Nadine Dubberke, Hank W. Flemming, Erik Leichter, Raphael Breuer und Volker Surmann, die mir allesamt lachend bestätigten: Wir sind ganz normale Menschen, die gerne Texte verfassen und vortragen. Die Themen und Inhalt ihrer Texte erlauschen sie mit offenen Ohren dem Alltag: die Beobachtung eines Lächelns beim Martinszug, das Ausdenken einer Flirt-Strategie, die Differenz zwischen den Generationen bei dem Thema Familienplanung oder Sinn und Unsinn des Small-talks.
"Offene Liste"
Ich kam über die sogenannte "offene Liste" in die Veranstaltung. Jede und jeder, der einen Text selbst verfasst hat und ihn vortragen will, kann sich melden. Für den Mut mitzumachen, wird man schon mal belohnt, indem man keinen Eintritt bezahlen muss und vielleicht gewinnt man am Schluss eine Flasche Bier oder eine Flasche Sekt.
Der Preis kann es also nicht sein, warum Menschen sich so einem Wettbewerb stellen. Hinter der Bühne erfahre ich Näheres. Man will bekannt werden, oder seine Bücher verkaufen, auf sich selbst aufmerksam machen, damit man mal wohin eingeladen wird, wo es richtig Kohle dafür gibt. Oder einfach nur Spaß miteinander haben.
Die Wertung des Publikums ist auch nicht so wichtig für die Profis. Sie haben erfahren, dass das eine Publikum auf ein und den selben Text komplett unterschiedlich reagiert. Was in einer Veranstaltung voller Begeisterung aufgenommen wurde, wurde woanders gerade mal höflich beklatscht. Lag es am Ort? An der Reihenfolge der Texte? Wollten die Leute heute Tiefsinn oder Klamauk? Oder haben sie andere Lebenserfahrungen?
Geübte Slammer haben mindestens 20 Texte zur Auswahl dabei. Im Kopf, in der Hosentasche, in einer Mappe. Und sie entscheiden in der Regel beim Durchschreiten des Vorhangs, mit welchem ihrer Texte sie anfangen, um möglichst passend auf das Publikum zu reagieren.
Bei mir ist das anders. Ich habe gerade zwei Texte, genau zwei Texte. Da kann ich nicht viel jonglieren. Beim ersten verknüpfe den Kauf unserer neuen Haustür mit dem Thema öffentliche Sicherheit und beim zweiten denke ich über die Kurznachrichten nach. Nach einer Beratung mit meiner Familie und einer Freundin habe ich zuhause schon die Vortragsreihenfolge festgelegt. Und da steh' ich nun. Applaus zur Begrüßung. Jetzt gibt's kein Zurück. Zum Glück hab' ich die Erfahrung gemacht, dass meine innere Aufregung sich an den Knien und an den Fingern austobt und nicht in meiner Stimme. Das ist in Veranstaltungen, wie dieser, ziemlich nützlich. Also los geht's. Ich schaue ins Publikum, aber der Raum ist zu dunkel, die Bühnenbeleuchtung blendet ein wenig. Ich muss nah ans Mikro. Ich bin froh, wenigstens meine Buchstaben sehen zu können. Hoffentlich kein Versprecher.
Vom Publikum krieg ich fast nichts mit. Mal lacht einer, oder einer hustet. Bei meinem zweiten Text ist es ziemlich still im Raum. Ich zähle nach dem letzten Wort die Sekunden bis zum Applaus. Einundzwanzig, zweiundwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig. Dann Klatschen! Gottseidank keine Buh-Rufe. Ich lache nervös. Ich weiß ja, dass es um nichts geht. Und trotzdem ist da ja doch in jedem Menschen so ein Wunsch, nicht durchfallen zu wollen. Zumindest hab' ich den Vortrag hinter mir.
"Und nun die Punktwerdung", fordert Christian Ritter. Gemäß Regelwerk werden 26 Punkte errechnet. Damit ziehe ich mit drei anderen sogar ins Finale ein. Erleichterung! Freude! Also noch mal rauf auf die Bühne. Aber irgendwie ist nun gar keine Aufregung mehr da. Langsam glaube ich es meinen Profi-Kollegen: alles nur Übung.
Am Ende kürt das Publikum Raphael Breuer mit tosendem Applaus zum unumstrittenen Sieger. Mit seiner Flasche Bier postieren wir uns auf dem roten Sofa. Pressefoto. Bitte Lächeln.
Schön war's. Vielleicht passt beim nächsten Mal der Termin auch? Und wie wär's mal mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser? Immerhin wissen Sie jetzt, wie sich's anfühlt.
Monika Schraut