Jeder sucht und findet Geborgenheit an anderer Stelle. Aber viele von uns fühlen sich besonders gut aufgehoben, wenn sie zwischen mächtigen Bäumen im Wald danach suchen.
Es kommt wohl aus einer Zeit, die sehr weit zurückliegt. Nicht ein paar Jahre oder Jahrhunderte, Jahrtausende zurück. Damals, als es für unsere Ahnen im Alltag erst einmal um die echten, die reinen Grundbedürfnisse ging. Also nicht um WLAN, damit das Smartphone den Weg zum nächsten Burgerladen anzeigen kann. Eine Zeit, als Grundbedürfnisse tatsächlich Nahrung, Kleidung und Wohnung hießen. Aus dieser Zeit kommt dieses tiefe Gefühl von Geborgenheit, das der Wald geben kann.
Einen Wald zu erreichen, bedeutete für die Menschen damals mit Sicherheit, Wasser zu finden, essbare Pflanzen und Wild, das sie jagen konnten. Hier gab es Holz für ein Wärme spendendes Feuer und zum Bau einer Behausung. Der Wald schützt den, der es versteht, vor hungrigen Blicken. Seine Bäume sind dem Zuflucht, der klettern kann - wenn es sein Jäger nicht kann.
All das scheint noch in uns zu stecken, aufgeschrieben im Code der DNA. Ohne uns solcher Gründe erst lange bewusst zu werden, treten wir ein in diese Welt aus Licht, das durch Äste schimmert, in Baumkronen rauschenden Wind, ein Plätschern vielleicht, den Ruf eines Vogels. Waldbaden ist eine neue Mode, die Menschen dazu bringen soll, diese Geborgenheit wieder bewusst wahrzunehmen. Sogleich sind Wissenschaftler zur Hand, die nachweisen können, wie der Puls langsamer wird, der Blutdruck sinkt, wenn wir uns der Geborgenheit eines Waldes anvertrauen. Danke dafür. Ihr könnt es euch schenken.
Geborgenheit zu empfinden, ist etwas, das zu messen, zu erforschen gar nicht notwendig ist. Empfinden wir es, nehmen wir es dankbar an - und lassen wir es etwas sein, das wir nicht in Grad oder Meter messen. Es ist nicht nötig zu kartieren, an welcher Stelle, welcher Wald wie viele Grad Geborgenheit spendet. Es ist nicht einmal möglich. Jeder empfindet es anders.
Geborgenheit. Im Wald. Was labert der denn? Gerade gedacht? Dachte ich mir! Es gibt gewiss nicht wenige, die mit Abscheu an die Spinnweben des Altweibersommers denken, die ihnen im Spätsommer schon mal ins Gesicht geweht wurden. Menschen, die bei dem Wort Wald an Zecken denken, die ihnen Erreger der schlimmsten Krankheiten in die Blutbahn impfen. Gibt es nicht sogar schon wieder Wölfe im Wald? Nein? Aber Dreck gibt es da an allen Ecken, Ungeziefer und nicht mal Handy-Empfang. Wald, nee, also echt nicht.
Daher gibt es diese Menschen im Wald nicht. Es ist eine neue Funktion, die er denen bietet, die Geborgenheit suchen. Wir sitzen dann zwischen den Wurzeln eines mächtigen Baumes, hören das Plätschern eines Baches zu unseren Füßen, lauschen und genießen neben den vertrauten, vertraulichen Geräuschen des Waldes, all das was wir nicht hören - vielleicht sogar mehr als das, was wir hören. Niemand sitzt am Nebentisch und schwadroniert in sein Telefon, um jemandem etwas mitzuteilen, was den wahrscheinlich kaum, uns aber gewiss gar nicht interessiert. Niemand streitet, keift Kind oder Ehepartner an. Kein Chef, kein Kunde, kein Klug... äh, daher Redender, nur der Wald ist um uns. Geborgenheit.
Warum wir ihn verlassen, wieder heraustreten, aus dieser Welt, die uns gerade so viel Ruhe gegeben hat? Weil wir heute Nahrung, Kleidung und Wohnung andernorts finden. Weil wir diese Bedürfnisse auch gar nicht mehr alle im Wald befriedigen könnten, wo wir so viele geworden sind. Unser Platz ist nicht mehr im Wald. Wir leben nicht mehr in ihm. Aber wir dürfen ihn besuchen, uns bei ihm willkommen fühlen und geborgen - immer wieder.