Studie ist Gegenteil von Vertrauen

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Der unterfränkische Polizeipräsident Gerhard Kallert. Foto: Thomas Obermeier
Der unterfränkische Polizeipräsident Gerhard Kallert.  Foto: Thomas Obermeier

Gerhard Kallert über die Themen racial profiling, Rechtsradikale in der Polizei, Rassismusstudie und die erneuten Ermittlungen zu einem Suizid in der Polizeizelle.

Die Polizei in der Kritik: Beim Racial Profiling würden Menschen mit anderer Hautfarbe bei Kontrollen rausgepickt, viele Beamte hätten rechtes Gedankengut und spätestens seit den Übergriffen von US-Polizisten auf Schwarze scheint die Polizei einem Generalverdacht ausgesetzt zu sein. Seit fünf Jahren steht Gerhard Kallert an der Spitze der unterfränkischen Polizei. Im Interview erklärt er, warum er gegen eine Rassismusstudie ist und warum "seine" Polizistinnen und Polizisten kein Querschnitt der Bevölkerung sein sollten.

Herr Kallert, wenn Sie sich die Bilder aus Amerika ansehen, wie schnell dort geschossen wird - was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Gerhard Kallert: Ich habe sofort gedacht, dass das Auswirkungen für uns haben kann. Und ich bin überrascht, wie undifferenziert manche Menschen in ihrer Kritik agieren. Es wird zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass die US-Polizei völlig anders aufgestellt ist als die unsere. Hier dauert die Ausbildung zweieinhalb Jahre lang, in den USA nur wenige Wochen. Dazu rekrutiert die US-Polizei viele Soldaten. Wir haben in der Ausbildung ganz andere Inhalte, gerade, was die Werte unseres Grundgesetzes angeht. Dazu kommt eine große interkulturelle Kompetenz, die wir unseren Auszubildenden beibringen - und das geht nicht in acht Wochen. Von daher überrascht es mich schon, dass all das in der öffentlichen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle spielt. Auch der Vergleich, wie oft in den USA die Waffen eingesetzt werden und wie selten in Deutschland - der scheint keine Rolle zu spielen. Was mich beruhigt: Kürzlich ergab eine Befragung des Umfrageinstituts Infratest dimap, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht die Kritik an der Polizei teilt.

Nun wäre es absurd abzustreiten, dass es eben auch bei der Polizei rassistische Umtriebe oder rechtes Gedankengut gibt - schließlich arbeitet bei der Polizei der Durchschnitt der Gesellschaft.

Das kann ich diesen Punkt nicht eins zu eins teilen - und das ist auch nicht mein Anspruch.

Wie meinen Sie das?

Wir vermitteln in der Ausbildung Werte, nicht nur im Unterricht. Der Anspruch muss sein, dass wir nicht die gleichen Anteile beispielsweise an Rechtsradikalen haben wie im Schnitt der Bevölkerung, sonst wären unsere Auswahl und die Ausbildung an den Menschen vorbeigelaufen. Unser Anspruch ist, durch Bildung und Führung zu erreichen, dass wir weniger Menschen beschäftigen, die rechtsradikale Gedanken teilen. Rassismus ist nicht vereinbar mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wir müssen jedem Verdachtsfall nachgehen. Wir können unseren Anteil sicher nicht auf null reduzieren, aber wir müssen besser sein und deshalb ganz genau hinschauen und versuchen, jedem Bürger mit Offenheit und Fairness zu begegnen.

Sie sprechen die Ausbildung an - aber die ist bei vielen ja schon Jahre her.

Stimmt, deshalb gibt es tolle Ansätze, um immer wieder für Austausch und Information zu sorgen. So hat der Sachbereich Verbrechensbekämpfung ein Fußballturnier mit Flüchtlingen gemacht. Für die Beamten war das toll, den jungen Zuwanderern auf einer alltäglichen Ebene zu begegnen - und die Flüchtlinge haben gesehen, dass die deutsche Polizei ganz anders agiert als die heimische, vor der sie eventuell flüchten mussten. Die Bereitschaftspolizei besucht Moscheen, so wird der theoretische Unterricht untermauert. Nicht alle Kollegen, die wir einstellen, kommen aus einer Großstadt und haben Freunde aus aller Herren Länder. Das sind ein paar von vielen Dingen, die sich im Laufe der Jahre bei der Polizeiausbildung geändert hat.

Wie viele Fälle prüfen Sie derzeit, in denen es um Rechtsradikalismus bei der unterfränkischen Polizei geht oder um kritikwürdiges Verhalten von Polizisten?

Sechs. Allerdings reicht das Spektrum von Anticoronahaltung bis zum Auffinden von Fotos rechtsradikaler Symbole, ob auf dem Handy oder in sozialen Medien. Ein weiterer Fall ist die Prüfung eines Widerstands und ob die Zwangsanwendung durch Beamte rechtmäßig war.

Ich stelle es mir schwierig vor, als Mitglied einer Schicht einen Kollegen, eine Kollegin zu verpfeifen, wenn mir etwas auffallen würde. Die einen nennen es Corpsgeist, die anderen Teamgeist - er kann verhindern, dass der Chef Informationen erhält.

Ja, wenn der Corpsgeist, der auch durchaus positiv sein kann, aus falschen Beweggründen eingesetzt wird. Hier stelle ich fest: Die Kollegen sind mittlerweile viel bereiter, auf Vorgesetzte zuzugehen.

Sie sind seit 1976 Polizist, richtig?

Ja, deshalb kann ich es auch gut beobachten. Die Kollegen können gut unterscheiden: Wiegt es schwer? Und ist es rechts? Dann wird der Hinweis an den Vorgesetzten nur noch selten als verpetzen angesehen, sondern als Stärkung und Schutz der Polizei. Weil wir der Meinung sind: Wenn wir uns hier nicht selbst helfen können und uns nicht positionieren, dann haben wir wirklich ein Problem. Das ist kein Nestbeschmutzen, das ist der richtige Weg.

Warum hat sich das geändert?

Auch weil seit den 1980er Jahren der Corpsgeist mit seinen positiven wie negativen Elementen fester Bestandteil in der Führungslehre ist. Das ist der einzige Weg, die Problematik zu minimieren.

Wie halten Sie es dann mit der Rassismusstudie?

Mich ärgert die Unterstellung. Und man macht ohne Verdacht keine Untersuchung. Ja, es gibt Fälle, aber die sind prozentual betrachtet weniger als in der Bevölkerung. Diese Studie ist das Gegenteil von Vertrauen. Und wenn ich höre "Aber die Studie kann die Polizei doch ein für allemal entlasten", dann bedeutet das für mich: Wer nicht beschuldigt wird, muss sich nicht entlasten. Die Beleidigung liegt in der Frage, schrieb der Journalist Jan Fleischhauer - und da spricht er mir aus der Seele.

Stichwort Beleidigung: Die scheint ja an der Tagesordnung für Polizisten zu sein. Immer mehr Beamte, Feuerwehrleute und Sanitäter berichten dazu, dass es immer öfter zu körperlichen Angriffen kommt. Haben Sie eine Idee, warum die Menschen so auf die Blaulicht-Organisationen reagieren?

Ich finde ein ganzes Bündel an Ursachen. Die Angreifer sind zu 70 Prozent alkoholisiert oder stehen unter Drogen. Nebenbei: Mittlerweile haben wir im Straßenverkehr in Unterfranken fast so viele Drogenfahrten wie Alkoholfahrten, es steht 1400 zu 1600. Und das, obwohl Drogen im ersten Augenschein schwerer feststellbar sind. Aber auch die psychischen Erkrankungen nehmen zu. Und unabhängig davon: Immer mehr fühlen sich berufen, sich einzumischen, obwohl sie gar nicht betroffen sind.

Aber diesen Respektverlust gab es doch früher nicht so ausgeprägt.

Es ist eine Einstellungssache und auch eine Erziehungssache. Wobei: Der Distanzverlust hat auch eine gute Seite - die Hemmungen, sich an die Polizei zu wenden, fallen und das ist positiv.

Die Polizeiinspektion in Schweinfurt steht aktuell im Fokus der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es geht um den Suizid eines Somaliers in der Polizeizelle. Der Staatsanwalt hat nach Kritik am Ermittlungsergebnis den Vorfall nochmals aufgenommen. Sehen Sie das als Zweifel an Ihren Beamten in Schweinfurt an?

Überhaupt nicht. Erstens stehen wir zur Gewaltenteilung. Und zweitens ist es die Pflicht der Staatsanwaltschaft, sie muss unabhängig bleiben. Ich habe da keinerlei Misstrauen. Wenn Organisationen oder Einzelpersonen die Staatsanwaltschaft auf mögliche Ungereimtheiten hinweisen, muss dem nachgegangen werden. Was hätten wir für einen Staat, der das nicht tun würde? Und: Die Ungereimtheiten werden nicht böswillig geäußert. So fragen sich manche, ob es möglich ist, sich an einer vertikalen Gefängnistürstange zu erhängen. Wir haben kein Problem damit, das nochmals zu untersuchen. Und die Staatsanwaltschaft muss sensibler agieren als noch vor 20 Jahren, sie muss auch aktuelle Diskussionen berücksichtigen, sie muss berücksichtigen, dass alles intensiver beobachtet wird als noch vor 20 Jahren.

Das Gespräch führte

Susanne Will.