"Menschen am Rande" brauchen Lobby

2 Min
Christof Lawall, Wiebke Voigt, Professor Andreas Koch und Volker Weisinger (von links) bei der Podiumsdiskussion Foto: Katharina Müller-Sanke
Christof Lawall, Wiebke Voigt, Professor Andreas Koch und Volker Weisinger (von links) bei der Podiumsdiskussion Foto: Katharina Müller-Sanke

Der deutsche Reha-Tag fand erstmals nicht in Berlin, sondern in der Fachklinik Haus Immanuel in Hutschdorf statt.

Katharina Müller-Sanke

Normalerweise findet der deutsche Reha-Tag in Berlin statt. Mit ihm werden die jährlich stattfindenden Aktionen rund um das Thema Rehabilitation eingeleitet. In diesem Jahr steht die Rehabilitation im Bereich Sucht im besonderen Fokus. Die Veranstaltung feierte hierzu eine ganz besondere Premiere. Erstmals haben sich die Entscheidungsträger nicht in Berlin, sondern in einer Klinik auf dem Land getroffen: im Haus Immanuel in Hutschdorf.
Die Hutschdorfer Fachklinik ist einzigartig. Suchtkranke Frauen können dorthin nämlich auch ihre Kinder mitbringen. Dass das für die Zukunft richtungsweisend ist, darin waren sich alle Besucher einig.


Vernetzung wichtig

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, ist Schirmherrin des Reha-Tages. "Rehabilitation gelingt dann, wenn die Akteure miteinander gut vernetzt arbeiten und den Mensch in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen', sagte sie (siehe Bericht unten). Der intensive Austausch beim deutschen Reha-Tag ermögliche es, "die Leistung sowohl der medizinischen als auch der beruflichen Rehabilitation weiterzuentwickeln und kontinuierlich zu verbessern", so Mortler.
Dass die Behandlung suchtkranker Menschen von zentraler Bedeutung ist, belegen die Zahlen: Über die Hälfte der alkoholabhängigen Patienten bleibt nach einem Jahr noch abstinent. 85 Prozent der behandelten Personen stehen nach der Therapie wieder im Erwerbsleben und zahlen Sozialversicherungsbeiträge. In vielen Fällen sind die Kosten der Behandlung schnell wieder amortisiert.


Namhafte Referenten

Unter den Referenten waren Ärzte und Vertreter der wichtigsten Reha-Verbände Deutschlands. Wiebke Voigt zum Beispiel sprach zum Thema Traumabehandlung in der Suchthilfe. Sucht und traumatische Erfahrungen sind demnach eng miteinander verknüpft. So kann man zum Beispiel feststellen, dass die Rate der Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, bei den Drogenabhängigen um ein vielfaches höher ist als in der gesunden Kontrollgruppe.
Christof Lawall von der Gesellschaft für medizinische Rehabilitation sprach über Integration und Teilhabe und die damit verbundenen neuen Aufgaben für die Rehabilitation. Bisher haben Asylsuchende zwar Anspruch auf Gesundheits-, nicht aber auf Reha-Leistungen.
Volker Weisinger vom Fachverband Sucht referierte über neue Zugangswege in der Behandlung Suchtkranker bei alkoholbezogenen Störungen. Problem sei, dass Deutschland zwar über ein differenziertes und qualifiziertes System der Suchthilfe verfüge, dieses System aber nur etwa zehn Prozent der Betroffenen erreiche. Ein frühzeitiger und nahtloser Zugang zur Rehabilitation sei daher von entscheidender Bedeutung.
Georg Wiegand von der Deutschen Rentenversicherung stellte das System Bora vor, bei dem die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im Fokus steht. Schließlich sei Persönlichkeitsbildung auch in der Sucht erfolgt. Strukturen sollten aufgebrochen und ein neuer Lebensinhalt geschaffen werden.
Zum Abschluss des Tages wurde eine Podiumsdiskussion veranstaltet. Es ging dabei um die Problemstellungen und mögliche Lösungen der Reha-Einrichtungen. Insbesondere stellte Georg Wiegand die starke Vernetzung der einzelnen Reha-Einrichtungen heraus. "Eine Normierung auf europäischer Ebene, wie es derzeit wieder einmal diskutiert wird, wäre fatal", da Reha-Leistungen grenzübergreifend ausgeschrieben werden müssten.
Wiebke Voigt plädierte dafür, die Schnittstellen innerhalb des Sozialversicherungssystems besser auszugleichen. Dabei wurde vor allem auch über die Möglichkeit der gemeinsamen Therapie von Kindern Suchtkranker und deren Eltern diskutiert. Bislang können Kinder nur während der Therapie der Eltern betreut werden. Jedoch war man sich einig, dass Kinder Suchtkranker immer auch selbst eine Therapie bräuchten. Volker Weisinger betonte, das bisherige System sei zu kompliziert und die Stigmatisierung Suchtkranker leider immer noch zu groß.
Joachim Drechsel von der DGD-Stiftung, die auch Träger des Hauses Immanuel ist, beendete den Reha-Tag mit dem Appell, die Anwesenden sollten "Botschafter des Wahrnehmens" sein: "Lobbyarbeit für Menschen am Rande der Gesellschaft ist wichtig und richtig und deren Rehabilitation lohnt sich für die Gesellschaft immer. Nicht nur in finanzieller Sicht."


Schiedsstellen kommen

MdB Emmi Zeulner hat unterdessen in einem Brief an die Klinikleitung betont, dass die Fachkliniken die aktive politische Unterstützung brauchen. Ziel müsse eine auskömmliche Finanzierung ein. Daher freue sie sich sehr, "dass die lange von uns erhobene Forderung zur Einrichtung von Schiedsstellen als Ort des Dialogs zwischen Rehaträgern und Leistungsanbietern nun im Bundesteilhabegesetz etabliert werden sollen". Die Verhandlungen sollten künftig vor einer Schiedsstelle gleichberechtigt und auf Augenhöhe stattfinden können. "Nur so kann ein fairer Interessenausgleich zwischen den Leistungsträgern und -erbringern ermöglicht werden", so Zeulner.