Das elfte Ragnarök-Festival ist Geschichte. Die "Schwarzkutten" des Heavy-Metal-Festivals sind abgereist. Aber viele von ihnen haben etwas in Lichtenfels ge...
Das elfte Ragnarök-Festival ist Geschichte. Die "Schwarzkutten" des Heavy-Metal-Festivals sind abgereist. Aber viele von ihnen haben etwas in Lichtenfels gelassen: Dosen- und Flaschenpfand. Der FT begleitet einen professionellen Sammler.
Nennen wir ihn Max. Woher er genau kommt, möchte er nicht sagen. Wie er genau heißt, erst recht nicht. Dass er über 40 ist, gibt er gerne zu, aber ob er schon an den 50 kratzt, mag er auch nicht mitteilen. Nicht etwa darum, weil die Frage danach indiskret wäre, sondern die Antwort womöglich verräterisch. Max ist ein Dauergast bei Ragnarök, und was er tut, ist ein wenig halbseiden und steuerfrei: Dosenpfand sammeln.
Max trägt ein Käppi und Arbeitsschuhe. Ob sie bequem sind, weiß nur er. "30 Kilometer an Spitzentagen", sagt der Mann, lege er auf dem Festival-Gelände zurück. Dabei ist sein Blick zumeist auf den Boden gerichtet. In gewisser Weise ein Tunnelblick, aber einer, der auch aus den Augenwinkeln wahrnimmt. Ein 13., 14., 15. Monatsgehalt erarbeite er sich auf diese Weise. Weil er aufhebt, was andere auf Festivals liegenlassen, wegwerfen oder ihm sogar bereitwillig anbieten: Getränkedosen mit Pfand. Einmal bücken - 25 Cent.
"Es ist eine symbiotische Geschichte", holt Max aus. Festival-Veranstalter hätten erkannt, dass man Leute wie ihn gewähren lassen könne, da sie auf ihre Weise dazu beitragen, den bei Festivals anfallenden Müll zu verringern. Und immerhin stehen Veranstalter nicht selten in der Pflicht, solchen auf den Geländen zu beseitigen. "Manche Dosenpfandsammler gehen Deals mit Veranstaltern ein", weiß er. Er selbst tue das nicht, denn er kaufe sich stets die Eintrittskarten für Festivals.
Ein relativ bekanntes Gesicht
Wir gehen Seite an Seite auf dem Oval der Aschenbahn des Sportplatzes hinter der Stadthalle. Hier ist der Zeltplatz des Ragnarök-Festivals, hier lebt für zwei, drei Tage ein Großteil der maximal 4500 Gäste. "Man braucht zwei, drei Jahre, um sich eine Vertrauensbasis aufzubauen", führt Max aus, "einen langen Atem". Nach zwei, drei Jahren, meint er damit, sei man schon bei vielen Besuchern ein relativ bekanntes Gesicht, einer, der mit ihnen freundlich und höflich ins Gespräch kam. Vertrauensbildende Maßnahme sozusagen, denn er möchte nicht in falschen Verdacht geraten, sobald etwas passiert, was auf solchen Festivals auch immer wieder mal geschehen könne: Jemand vermisst etwas aus seinem Zelt, aus seiner Habe.
Wir drehen unsere Runde und betrachten die Bierdosen, die auf dem Gelände des Tennisclubs jenseits des Absperrzaunes liegen. "Unerreichbar nah?", sage ich herausfordernd. Max winkt ab und hebt mal wieder eine Dose auf. Während wir sprechen, scannt er die auf dem Boden liegenden Dosen beiläufig und mit erstaunlicher Präzision nach Pfandsiegeln ab. Er kennt die Marken, kennt die Import-Dosen ausländischer Gäste und weiß, dass ausländische Dosen in Deutschland keinen Wert besitzen. "Es ist wie eine Sucht", erklärt er sein deutschlandweites Tun, zu dem er im Jahr auf bis zu 15 Festivals ausrückt. Dafür nimmt er Urlaub und 460 Kilometer Anfahrtswege in Kauf, dazu noch die Eintrittspreise. Und doch kommt unterm Strich ordentlich was raus? "Genau", bekräftigt Max schmunzelnd.
Überhaupt zeigt er sich unzufrieden mit dem deutschen Steuersystem. Man zahle zu viel, würde geschröpft, arbeite für den Staat. Darauf habe er keinen Bock. Dass er in einer Grauzone unterwegs ist, weiß er gut. Aber er ist nicht allein. Der Grund nämlich, weshalb er nicht nur seinen Namen nicht nennt, sondern sich auch nicht fotografieren, Angaben zu Alter oder gar Wohnort machen möchte, liege an der Missgunst seiner Kollegen auf anderen Festivals. "Die (Pfandsammler-)Szene kennt sich", so Max. "Beobachtet sich und zeigt sich womöglich an?", frage ich. "Ja", antwortet er.
"Es ist wie eine Sucht" - der Satz arbeitet und hallt nach. Süchte wollen gelebt und womöglich gesteigert werden. "Ich führe eine Excel-Tabelle über meine jährlichen Einnahmen", führt Max hierzu aus. Das klingt nach Logistik. Und er erzählt von Datenauswertung und von langen Abenden, an denen er daheim vor dem Fernseher sitzt und mit einem Gegenstand plattgedrückte Dosen ausbeult, damit ein Scanner im Supermarkt das Pfandsiegel wieder lesen kann. Als ich Max auf eine Cola-Plastikflasche aufmerksam mache, winkt der Logistiker und Statistiker in ihm ab: "Die nimmt zu viel Platz im Beutel weg", erklärt er mir. Seine Logistik berücksichtigt den Cent-Bereich. So denken und kalkulieren Profis. Aber auch sie wissen: Der erste Festival-Tag ist der beste. Da sind die Gäste ausgelassen und pfandspendabel. Am zweiten schon besinnen sie sich und die Einkünfte werden schmaler. Der "Arbeitstag" aber bleibt gleich lang. Er liegt so um die 18 Stunden.